Süddeutsche Zeitung

Windkraft:Breitseite gegen Altmaier

In seltener Klarheit warnt die deutsche Industrie in einem Brandbrief davor, Windkraft zu schwächen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Peter Altmaier hat es nicht leicht in diesen Tagen. Schon am Dienstag hatte der Wirtschaftsminister von der CDU Besuch von Umweltverbänden, mehr als zwei Stunden lang ließen sie ihrem Unmut freien Lauf. Besonders über die geplanten Einschränkungen für die Windkraft. Doch nun bekommt er es mit einem Gegner zu tun, vor dem der Wirtschaftsminister noch mehr Respekt hat: der Industrie. In einem Brandbrief von seltener Klarheit stellt sich der Lobbyverband BDI hinter den Klimaschutz - und gegen die geplanten Einschränkungen der Windkraft. Und das nicht allein: der Deutsche Gewerkschaftsbund, die beiden großen Energieverbände, die Windlobbys BWE und VDMA - sie alle haben unterschrieben. "Sehr geehrter Herr Bundesminister, Energiewirtschaft, Industrie, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft erwarten, dass die Bundesregierung mit Entschlossenheit an einer modernen, zukunftsfähigen, CO₂-freien Energieversorgung arbeitet", heißt es in dem Schreiben. Und: "Die geplanten Einschränkungen der Windenergie an Land stellen allerdings die Realisierbarkeit sämtlicher energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung in Frage."

Hintergrund ist ein Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums. Vordergründig regelt er den Ausstieg aus dem Kohlestrom. Allerdings enthält er auch einen Passus, der für neue Windräder einen Mindestabstand von 1000 Metern selbst zu kleinsten Siedlungen vorsieht. Regionalpläne, die anderes vorsehen und vor 2015 erlassen wurden, sollen ihre Gültigkeit verlieren. Zugleich soll mit dem Gesetz auch das Ökostrom-Ziel der Koalition festgeschrieben werden: 65 Prozent bis 2030.

Industrie und Gewerkschaften fällen ein vernichtendes Urteil über den Vorstoß. "Es ist uns unerklärlich, dass an einer Regelung zu bundeseinheitlichen Mindestabständen festgehalten wird", schreiben sie, "obwohl klar ist, dass damit das Ziel von 65 Prozent erneuerbare Energien in 2030 nicht gehalten werden kann." Der Ausbau der Windenergie an Land werde mit diesem Vorstoß "auf lange Zeit massiv erschwert, unter Umständen sogar zum Erliegen kommen".

Das Wirtschaftsministerium argumentiert mit der Akzeptanz neuer Windräder. Ziel sei es, die Energiewende in Einklang mit den Interessen vieler hundert Bürgerinitiativen zu bringen, erklärte eine Sprecherin am Montag. Im Übrigen könnten Länder und Kommunen über eine "Opt-out-Regel" geringere Abstandsregeln festlegen. Doch nun bahnt sich auch innerhalb der Bundesregierung Streit um die 1000-Meter-Regel an. Der Dissens sei "zu groß", um das Gesetz wie geplant am kommenden Montag zu beschließen, hieß es am Mittwoch aus Regierungskreisen. Neuer Termin ist der 3.

Dezember. Vorläufig. Die Krise der Windkraft hat ohnehin längst begonnen. Seit Monaten finden sich kaum noch neue Projekte, in den ersten neun Monaten waren so wenig neue Windräder errichtet worden wie noch nie in diesem Jahrtausend. Erst vorige Woche hatte Deutschlands Marktführer bei Windrädern, Enercon, die Notbremse gezogen: Er strich Jobs für 3000 Mitarbeiter. Auch ein Krisentreffen in der niedersächsischen Staatskanzlei am Mittwoch änderte daran nichts mehr.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2019
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