Süddeutsche Zeitung

Windenergie:Angst vor der Flaute

  • Das Wirtschaftsministerium plant eine grundlegende Reform der Ökostrom-Förderung. An die Stelle der gesetzlich fixierten Vergütungssätze sollen Ausschreibungen treten.
  • Über die Ausgestaltung einer Reform gibt es aber offenbar heftigen Streit in der großen Koalition.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Auf hoher See läuft alles nach Plan. Bis 2020 sollen sich in Nord- und Ostsee Windräder mit einer Leistung von 6,5 Gigawatt drehen. Ziemlich genau die Hälfte ist jetzt schon erreicht, in diesem Jahr sollen weitere 700 Megawatt hinzukommen. 41 Windräder stehen bereits, drehen sich aber noch nicht. Weitere 122 Fundamente sind im Meer verankert und warten auf Windräder. Nirgends geht die Energiewende derzeit so flott, so zielstrebig voran wie zur See. Und das könnte an Land noch zu einem echten Problem werden.

Denn das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet gerade an einer grundlegenden Reform der Ökostrom-Förderung. An die Stelle der bisher üblichen, gesetzlich fixierten Vergütungssätze sollen künftig Ausschreibungen treten. Wer zum Beispiel einen Windpark an Land bauen will, der muss erst einmal ein Gebot abgeben. Diejenigen, die mit der geringsten Förderung auskommen, bekommen den Zuschlag. Ein fundamentaler Systemwechsel: Bislang regelte der Preis den Zubau, denn wem die Förderung nicht ausreichte, der baute eben nicht. Fortan aber würde der Bund dies über die Menge regeln. Ausgeschrieben wird immer nur eine bestimmte Ökostrom-Leistung. "Es wird genau so viel ausgeschrieben, wie für die Erreichung der Ausbauziele benötigt wird", heißt es in einem Eckpunktepapier des Ministeriums. Nur: Wo genau liegen diese Ziele?

Innerhalb der Koalition gibt es darüber nach SZ-Informationen heftigen Streit. Denn eine feste Zielmarke gibt es nicht, wohl aber einen Korridor: Bis 2025, so legten Union und SPD schon in ihrem Koalitionsvertrag fest, soll der Ökostrom-Anteil bei "40 bis 45 Prozent" liegen. Was jetzt: 40 Prozent? 45 Prozent? Die Mitte?

Zumindest die Eckpunkte des Wirtschaftsministeriums lassen keinen Zweifel aufkommen. Die Ausschreibungen müssten "abzielen auf den oberen Rand des Ausbaukorridors, das heißt 45 Prozent in 2025". Seit Anfang Dezember liegt der Entwurf für das zugehörige Gesetz im Kanzleramt - zur Prüfung. Das CDU-geführte Haus peilt offenbar einen anderen Wert an, etwa den Mittelwert: 42,5 Prozent. Manchen in der Union geht selbst das zu weit, sie plädieren für eine Drosselung des Ausbaus. "Wir erreichen die Ziele sonst zu früh", warnt etwa Joachim Pfeiffer, energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion. "Der Netzausbau kann damit nicht Schritt halten." Das wiederum verursache unnötige Extrakosten.

Schon jetzt liefern erneuerbare Energien knapp 33 Prozent des deutschen Stroms. Bis 2025 blieben damit, je nach Lesart der Koalitionsziele, zwischen sieben und zwölf Prozent übrig. Hier allerdings kommt wieder die Windenergie zur See ins Spiel. Um den Nordländern mehr Planungssicherheit zu geben, wurde ihr Teil vom Kuchen ja schon festgelegt: eben jene 6,5 Gigawatt bis 2020, 15 Gigawatt bis 2030 - so steht es im Koalitionsvertrag, so haben es auch Bund und Länder vor zwei Jahren noch einmal bekräftigt.

Die Folge: Die Menge, die noch per Ausschreibung für Windparks an Land vergeben werden kann, wird zur Restgröße der Energiewende. Ausgerechnet die kostengünstigste erneuerbare Energie, so klagt die Branche, könnte so das Nachsehen haben. Kein Ökostrom ist so billig wie der von Windrädern auf dem platten Land. Wie viele davon nach 2017 noch gebaut werden können, ist in dem Ausschreibungs-Gesetz Ergebnis seitenlanger Formeln, der Entwurf liest sich stellenweise wie ein Mathebuch - mit der Windenergie an Land als Resultante. Dabei hatten sich Bund und Länder doch vorgenommen, in Zukunft vor allem die kostengünstigen erneuerbaren Energien zu fördern.

"Der Korridor würde uns in ein paar Jahren zum Aufhören zwingen"

Die Länder schlagen Alarm. "Der bisherige Deckel muss entweder ganz weg oder auf mindestens 50 Prozent angehoben werden", verlangt Schleswig-Holsteins grüner Energieminister Robert Habeck. Selbst bei einer Obergrenze von 45 Prozent kämen in den nächsten zehn Jahren jährlich nur höchstens 1,2 Prozentpunkte Ökostrom dazu. "Bei diesem Mini-Wachstum käme die Energiewende faktisch zum Erliegen", sagt Habeck. Auch Rheinland-Pfalz, wo inzwischen 38 Prozent des Stroms erneuerbar sind, will sich mit dem Korridor nicht zufrieden geben. "Er würde uns in ein paar Jahren zum Aufhören zwingen", so die dortige Wirtschaftsministerin Eveline Lemke, ebenfalls eine Grüne. "Dabei geht es gerade erst richtig los." Energieversorger wie Mannheims MVV Energie plädieren ebenfalls für eine Anhebung des bisherigen Ziels. Dies sei wirtschaftlich sinnvoll.

Als die Länder allerdings diese Position kürzlich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vortrugen, erteilte der ihnen eine Abfuhr. Es gebe keinerlei Spielräume für eine Anhebung des Korridors, schließlich sei der auch mit den Ministerpräsidenten der Länder vereinbart.

Damit ruhen die Hoffnungen der Windfreunde nun auf einer Spezialklausel, die Gabriels Leute für Windparks an Land ersannen. Eine "Mindestausschreibungsmenge" soll sicherstellen, dass auch künftig jährlich Windräder mit 2000 Megawatt Kapazität ausgeschrieben werden, die Leistung von zwei Atomkraftwerken. Sollte die Klausel aber dem Koalitionsstreit zum Opfer fallen, könnte es der Windenergie an Land bald so ergehen wie der hiesigen Solarkraft: Auf den Boom folgt der Absturz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2822861
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.01.2016/jasch
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.