Wurst-Skandal:Was im Fall Wilke falsch lief

Wursthersteller Wilke

Der Wursthersteller Wilke hat viel zu lang gezögert.

(Foto: dpa)
  • Der Fleischhersteller Wilke soll keimbelastete Wurst in Umlauf gebracht haben: Zwei Menschen sollen daran gestorben, weitere 37 erkrankt sein.
  • Trotz früher Hinweise ist das mittlerweile insolvente Unternehmen viel zu spät aktiv geworden.
  • Andere Unternehmen haben längst erkannt, dass Rückrufaktionen nicht zwangsläufig ihrer Reputation schaden.

Von Silvia Liebrich

Begriffe wie BSE, Ehec oder Nitrofen erinnern Verbraucher vor allem an eines: an Lebensmittelskandale, über die wochen- und monatelang berichtet wurde - und die danach trotzdem wieder schnell in Vergessenheit gerieten. Schlecht weg kamen dabei durchweg Behörden und übergeordnete Ministerien, weil sie meist zu spät und nicht angemessen auf diese Krisen reagierten. In diese Serie reiht sich der Fall des hessischen Wurstherstellers Wilke ein. Er soll keimbelastete Wurst in Umlauf gebracht haben, die mit zwei Todesfällen sowie 37 weiteren Krankheitsfällen in Verbindung gebracht wird.

Obwohl erste Anhaltspunkte bereits Mitte August vorlagen, gaben die Behörden erst in den vergangenen Tagen eine Warnung heraus. Ein großer Teil der mit Listerien belasteten Lebensmittel war da vermutlich schon verzehrt. Dabei können die Keime für Menschen mit geschwächtem Immunsystem tödlich sein.

Erst in den vergangenen Tagen veröffentlichte das hessische Verbraucherministerium eine Liste mit Markennamen, unter denen Wilke-Wurst verkauft wurde - und es bleibt die Frage, warum so spät? "Bei der Dimension des Rückrufs dürfte es in der Produktion schon über einen längeren Zeitraum größere Hygieneprobleme gegeben haben", sagt Professor Alfred Meyer. Der Münchner Anwalt ist auf Lebensmittelrecht spezialisiert und berät Hersteller und Handelsunternehmen bei Rückrufaktionen. "Im Fall Wilke dürften die im Unternehmen Verantwortlichen die Warnzeichen offenbar nicht erkannt haben. Da gibt es noch viel Klärungsbedarf."

In der Regel stößt der Hersteller selbst den Rückruf an

Für den Experten sind die Versäumnisse auch aus einem anderen Grund schwer nachvollziehbar. Die meisten Unternehmen hätten inzwischen erkannt, dass Rückrufaktionen nicht zwangsläufig ihrer Reputation schaden. "Von den Medien gibt es oft sogar Lob, wenn das zügig und transparent geschieht", ergänzt er und erklärt die Vorgehensweise so: In der Regel sei es der Hersteller selbst, der einen Rückruf anstoße, und nicht etwa die Behörde. Zum Beispiel dann, wenn bei internen Kontrollen Keime, Glassplitter oder Metallteile in Produkten entdeckt werden. Zeitgleich würden die Behörden, der Handel und die Verbraucher über die Medien informiert. Die Läden, die die betroffene Ware verkauft haben, hängen Plakate mit Warnhinweisen aus. Rückrufe werden zudem von den Behörden auf der staatlichen Website Lebensmittelwarnung.de veröffentlicht, aber auch auf privaten Portalen wie foodwatch.de, cleankids.de oder produktrueckrufe.de. Warum der nun im Fokus stehende Wursthersteller die Initiative nicht früher ergriffen hat, ist für Meyer unverständlich.

So werden Lebensmittel kontrolliert

Die Kontrolle von Lebensmitteln ist komplex. Ein Grund dafür ist, dass vor allem stark verarbeitete Lebensmittel wie Pizza aus vielen verschiedenen Zutaten wie Tomatensoße, Salami und Käse bestehen, die von unterschiedliche Lieferanten stammen. Doch ein mehrstufige Kontrollsystem soll sicherstellen, dass alle Bereiche abgedeckt sind:

Zuallererst sind die Hersteller selbst verpflichtet, dass ihre Produkte die vorgeschriebenen Hygienestandards erfüllen und die eigenen Qualitätsansprüche. Deshalb überwachen Lebensmittelproduzenten selbst ihre Fertigung. Sie ziehen regelmäßig Proben ihrer Waren und untersuchen diese. Dabei gilt die Faustregel, je verderblicher ein Produkt, desto höher der Aufwand. Hersteller müssen außerdem jederzeit nachweisen können, von wem sie Zutaten und Rohstoffe beziehen und an wen sie ihre Ware liefern.

Dabei stehen die Hersteller unter der Aufsicht staatlicher Stellen. Einzelne Betriebe vor Ort zu überwachen, das ist Ländersache. Risikobehaftete Betriebe wie Schlachthöfe werden täglich kontrolliert, Hersteller, die weniger anfällig sind, nur alle paar Monate oder Jahre. Fällt ein Produzent dabei negativ auf, wird er häufiger geprüft. Im Ernstfall greift ein Warnsystem, das bis auf die Ebene der Europäischen Union reicht.

Kontrolliert wird aber auch auf Umwegen. Hat ein Arzt den Verdacht, dass ein Patient durch Keime im Essen erkrankt ist, meldet er dies den Gesundheitsämtern. Die wiederum schalten etwa das Robert-Koch-Institut ein. Die Experten dort helfen die Quelle der Verunreinigung zu finden. Auf diesem Weg dauert es meist aber deutlich länger, bis der verantwortliche Hersteller gefunden und belastete Ware aus dem Verkehr gezogen ist.

Der Jurist sieht im Fall Wilke Parallelen zu zwei anderen Fällen in Bayern. Vor zwei Jahren musste die Großmetzgerei Sieber nach einem Listerien-Befall Insolvenz anmelden. Die Großbäckerei Müller Brot fiel 2012 wegen gravierender Hygienemängel auf. Die finanzielle Lage sei etwa bei Müller Brot seit Längerem angespannt gewesen, sodass offenbar das Geld für dringend notwendige Investitionen in modernere Produktionsanlagen fehlte.

Kritik übt der Lebensmittelrechtler auch an den Behörden, die bislang nur eine unvollständigen Liste der betroffen Produkte und Empfänger der Wilke-Waren veröffentlicht haben. "Es bestand inzwischen ausreichend Zeit, den Weg der Waren zu verfolgen, trotz zwischengeschalteter Händler." Foodwatch wirft dem zuständigen Ministerium vor, dass es eine Liste mit Abnehmern von Wilke-Ware und Zwischenhändlern weiterhin unter Verschluss halte. Die Verbraucherorganisation Foodwatch will die Herausgabe dieser Liste nun mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Kassel durchsetzen.

Der Jurist stellt aber auch klar: Gravierende Sicherheitsmängel wie bei Wilke seien in der deutschen Lebensmittelbranche die große Ausnahme. "Wir haben so sichere Nahrungsmittel wie noch nie", sagt er. "Mehr als 80 Millionen Menschen jeden Tag zu ernähren, das ist eine große Herausforderung, die von Herstellern und Handel bestens bewältigt wird."

Trotzdem sieht Meyer Verbesserungsbedarf. Zwar würden Europäische Kommission, Bund und Länder ihre Warnsysteme ständig verbessern. "Doch es gibt oft zu wenig Kontrolleure bei den Kreisverwaltungsbehörden vor Ort, bei den Betrieben." Die zuständigen Bundesländer müssten dafür mehr Mittel bereitstellen, fordert er. In einigen Bundesländern, darunter auch Bayern, wurden in den vergangenen Jahren zusätzlich Spezialeinheiten eingerichtet, die besonders risikoanfällige Betriebe überwachen sollen. Dazu gehören Wursthersteller, Molkereien oder Großbäckereien. Eine solche Überwachungsstelle gibt es auch in Hessen. Doch den Hersteller Wilke hatte man dort offenbar nicht richtig im Blick.

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