Wie der Staat Tarife prägt:Zoff ums Geld

Arbeitgeber und -nehmer verhandeln Löhne in Eigenregie, der Staat mischt sich nicht ein. Allerdings steckt in diesem Prinzip immer auch eine Portion Fiktion - vor allem in diesem Jahr.

Detlef Esslinger

Groß ist die Welt der Floskeln, und besonders groß ist sie, wenn es um Lohnpolitik geht. Immer gern genommen wird der Appell "an die Verantwortung der Tarifparteien", welche "Augenmaß beweisen" respektive die "Konjunktur ankurbeln" sollen - je nach Interesse desjenigen, der gerade in die Zeitung drängt. Jedes Jahr ist es in der Politik unerbittlich so: Zunächst gibt es dieses Dreikönigstreffen der FDP, hernach zelebriert oder zerlegt sich die CSU in Kreuth, schließlich folgt die Tagung des Beamtenbunds, die jahrhundertelang mit der Ortsmarke "Bad Kissingen" verbunden war (vor ein paar Jahren aber nach Köln verzogen ist).

Tarifrunde, AP

In etlichen Branchen werden demnächst Löhne neu ausgehandelt. Das Foto zeigt eine Archivaufnahme von November 2008.

(Foto: Archivfoto: AP)

Diese Zusammenkunft könnte heuer sogar halbwegs interessant sein; denn der Kalender hat es gefügt, dass es schon einen Tag darauf richtig ernst wird. Dann sind all die Warm-Up-Treffen vorbei, dann beginnt die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst. Und die ist eine gute Gelegenheit, nicht nur von der Verantwortung von Tarifparteien zu schwafeln - sondern auch nach der des Staates bei der Lohnfindung zu fragen.

Es werden in diesem Jahr die Löhne von mehr als neun Millionen Beschäftigten verhandelt. Auf die Tarifrunde des Bundes und der Kommunen folgen im Frühjahr zunächst die Chemie- und danach die Metallindustrie. Zu den Wesensmerkmalen der Republik gehört die Regel, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Löhne in eigener Regie aushandeln, also ohne dass der Staat eingreift. Allerdings enthielt dieses Prinzip immer auch eine Portion Fiktion; nur dass dies selten so deutlich wurde wie in diesem Jahr.

In fast allen Branchen stehen Tarifverhandlungen unter außergewöhnlichen Umständen an. Geht es normalerweise darum, das Maß an Lohnerhöhungen auszuloten, so ist diesmal ein anderes Ziel wichtiger. "Unsere Mitglieder erwarten, dass wir vor allem ihre Arbeitsplätze sichern", sagt der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber. Zum ersten Mal seit Menschengedenken erwägt die Gewerkschaft, ohne prozentuale Forderung in die Tarifrunde zu ziehen; bei der IG Bergbau, Chemie, Energie ist diese Linie bereits gewiss. Beide Organisationen werden versuchen, mit den Arbeitgebern einen Deal zu machen: Ihr versprecht uns den Verzicht auf Massenentlassungen, wir verzichten dafür weitgehend auf Tariferhöhungen (was "weitgehend" genau heißt, wird anschließend noch Verhandlungssache sein).

Ganz anders sieht es im öffentlichen Dienst aus, also dort, wo der Staat selbst Tarifpartei ist. Dort werden der Bund und die Kommunen den Begleitschaden jenes Ungetüms erleben, das die Koalition vor Weihnachten unter der Bezeichnung "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" in die Welt gesetzt hat. Es kostet rund 24 Milliarden Euro, es begünstigt eher die Bezieher höherer Einkommen, es verteilt seine Gunst nach Gusto. Keiner Krankenschwester, keinem Fahrer beim Winterdienst ist klarzumachen, dass sie im Ernst auf eine Lohnerhöhung verzichten sollen, "wenn der Staat das Geld im Rahmen dieser Regelung für die Hotels einfach in die Landschaft schmeißt", wie es der Wirtschaftsforscher Ulrich Blum aus Halle sagt.

Wären die Minister Schäuble und de Maizière Unternehmer, die Löhne aus ihrer Firmenkasse zu bezahlen hätten: Man könnte eine Art Gerechtigkeit darin sehen, dass sie sich als Erste mit den Folgen ihrer Voodoo-Ökonomie auseinandersetzen werden. Denn selbstverständlich prägt der Staat die Lohnpolitik nicht nur dort, wo er selbst Tarifpartei ist. Er prägt sie auch durch seine Steuer- und Abgabenpolitik. Dem 24-Milliarden-Paket setzt Peter Heesen, der Chef des Beamtenbunds, den Hinweis entgegen, dass die Forderungen der Gewerkschaften - selbst wenn sie alle erfüllt würden - nur 4,5 Milliarden Euro kosten würden. Die Gewerkschaft Verdi, immer für ein bisschen außerparlamentarische Opposition gut, macht kein Hehl aus ihrem Ziel, über ihre Tarifpolitik auch die Steuerpolitik des Staates auszugleichen.

Und erinnert sich noch jemand an die Passage des Koalitionsvertrags, nach der die Arbeitnehmer künftig mehr für die Krankenkassen zahlen sollen als die Arbeitgeber? Derjenige Unions- oder FDP-Politiker, der als Nächster aus Anlass irgendeiner Lohnrunde meint, die "Verantwortung der Tarifparteien" einfordern zu müssen - der wird die Frage beantworten dürfen: Glaubt er ernsthaft, dass die Gewerkschaften fortan kampflos darauf verzichten, sich dieses Geld von den Arbeitgebern zurückzuholen?

In diesem Frühjahr mögen zumindest die Industriegewerkschaften es noch sein lassen, die Arbeitgeber damit zu martern; dafür ist die Lage dort einfach zu heikel. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes werden allerdings wenig Grund zur Zurückhaltung sehen - zumal auch die Kommunen Leidtragende der Steuerpolitik des Bundes sind und daher versuchen werden, über die Erhöhung von Gebühren Kompensation zu erzielen. Das dürfte den Bürgern einiges von jener Kaufkraft nehmen, die sie angeblich doch bekommen sollen. Im öffentlichen Dienst wird Kampfkraft, und nicht Krise das Kriterium in der Lohnrunde sein; und was immer das Gesetz mit dem Namen eines Ungetüms noch bewirken wird: Ein Tarifverhandlungskomplizierungsgesetz ist es auf jeden Fall.

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