Süddeutsche Zeitung

Whistleblower:Reden oder Schweigen

Ein Gesetz soll Whistleblower in der Finanzindustrie besser schützen. Mitarbeiter von Banken, die Gesetzesverstöße melden, dürfen künftig weder arbeitsrechtlich noch strafrechtlich verantwortlich gemacht werden. In der Praxis ist das schwierig.

Von Cerstin Gammelin, Markus Zydra, Berlin/Frankfurt

Die Frage an das Bundesfinanzministerium war relativ simpel: Wäre ein Informant, der vergleichbar mit den Fällen von LuxLeaks und Panama-Papers vertrauliche Daten potenzieller Steuerhinterzieher an Bundesbehörden gibt, durch die gerade beschlossenen gesetzlichen Regeln vor Verfolgung und Preisgabe seiner persönlichen Identität geschützt? Doch statt eines flinken "ja" oder "nein" traf die Antwort aus dem Ministerium erst nach reichlicher Bedenkzeit ein - und noch dazu vage. Man gebe "keine rechtlichen Einschätzungen dazu ab, ob Hinweisgeber in tatsächlichen Fallkonstellationen, die hier nicht vollumfänglich bekannt sind, von den Regelungen erfasst wären oder nicht", teilte ein Sprecher mit.

Wie sollen sich Angestellte einer Firma verhalten, wenn ihnen auffällt, dass Arbeitskollegen oder Vorgesetzte illegale Dinge machen? Soll man schweigen oder die Informationen als Whistleblower an die Öffentlichkeit weitergeben? Soll man das Risiko eingehen, für eine gutes Gewissen den Job zu verlieren? Soll man es wagen, das Richtige zu tun, auch wenn es das direkte Kollegenumfeld für das Falsche hält?

Ein Whistleblower ist eine Person, die Mut beweist und Alarm schlägt, wenn Recht und Gesetz gebrochen werden.

In Luxemburg läuft derzeit ein Strafprozess gegen Antoine Deltour. Dem ehemaligen Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, weil er, so die Anklage, Geschäftsgeheimnisse an einen Journalisten gegeben habe. Deltour sieht das ganz anders. Er hält sich für unschuldig, hatte er doch durch seine Tat auf einen Missstand aufmerksam gemacht. Deltour sicherte sich 2010 bei seinem Arbeitgeber PwC Kundendaten, die belegten, wie globale Großkonzerne in Luxemburg Milliarden Euro an Steuern sparten. Die Geschichte wurde erst 2014 publik. Es war der Beginn des "Luxemburg-Leaks"-Skandals.

Der Bundestag hat in einer Änderung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes einen besseren Schutz für "Whistlebower" beschlossen. Mitarbeiter der Finanzbranche, die Gesetzesverstöße melden, dürfen künftig weder "arbeitsrechtlich" noch "strafrechtlich" verantwortlich gemacht werden. Das Gesetz tritt am 2. Juli in Kraft. Doch inwieweit dieser Schutz vor einem deutschen Gericht Bestand hätte, lässt sich nur erahnen. Das Bundesfinanzministerium jedenfalls will sich nicht festlegen.

Diese Zurückhaltung ist überraschend. Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder hatten erst kürzlich bei den Enthüllungen der Panama-Papiere das Reporternetzwerk, das die Geschäfte enthüllte, aufgefordert, die Daten an staatliche Stellen weiterzugeben. Ein internationales Reporternetzwerk, zu dem federführend die Süddeutsche Zeitung gehört, hatte Anfang April enthüllt, wie über Briefkastenfirmen und spezielle Firmenkonstrukte Steuervermeidung betrieben wurde, gesteuert von einer Kanzlei aus Panama. Die Reporter hatten mit dem Hinweis auf Quellenschutz die Herausgabe abgelehnt.

"Das neue Gesetz sieht vor, dass Banken, Versicherungen, Finanzvertriebe und Emittenten von Finanzinstrumenten die organisatorischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Mitarbeiter gesetzwidriges Verhalten in der Firma anonym melden können", sagt der Münchner Fachanwalt Peter Mattil, der das Gesetz für richtig, aber unvollständig hält. "Man müsste die Wirtschaftsprüfungsunternehmen ausdrücklich mit in das Gesetz aufnehmen. Man sieht ja in Luxemburg, wie wichtig das wäre." Die Finanzindustrie hält wenig von dem Gesetz. Niemand installiert im eigenen Haus gerne eine Abteilung, die im Zweifel die eigene Geschäftspraxis in Frage stellt und Manager vor den Kadi bringt. Der Bundestag folgte mit seiner Entscheidung nur den europäischen Vorgaben. Das Meldeverfahren in solchen Fällen soll europaweit harmonisiert werden. Das ist Teil der europäischen Kapitalmarktregulierung. "Völlig fremd ist dieser Prozess dem deutschen Markt nicht. Schon heute nimmt die Finanzaufsicht Bafin Meldungen entgegen, die per Brief, Telefonat oder E-Mail bei ihr eingehen", so der Bankenverband in einer Stellungnahme. Diese Meldewege würden nun durch eine elektronische Plattform ergänzt.

Neu ist jetzt, dass diese Plattformen auch intern bei den Banken und Versicherungen eingerichtet werden müssen. Unter welche Vorstandsverantwortung diese Aufgabe intern fällt, wie der Schutz des Whistleblowers vor Entdeckung im Detail gewährleistet wird - all das ist noch völlig unklar. Die Finanzaufsicht muss noch einige Vorschriften erlassen. "Dabei wird es wohl auch darum gehen, einer missbräuchlichen Nutzung des Verfahrens vorzubeugen", meint der Bankenverband.

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SZ vom 23.05.2016
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