Whistleblower:Gefeuert und gefeiert

Pre-trial hearing of US Army Private Bradley Manning

Der US-Soldat Bradley Manning war die Quelle für die Wikileaks-Veröffentlichungen über die Kriege im Irak und in Afghanistan. Ihm wird nun der Prozess gemacht.

(Foto: dpa)

Sind Enthüller Verräter oder Helden? Die Unterscheidung ist nicht selten eine Frage der Perspektive. Auch das Datenmaterial von Offshore-Leaks stammt aus anonymen Händen. Ehrliche Tippgeber können sich in einigen Ländern auf rechtlichen Schutz verlassen - in Deutschland aber eher nicht.

Von Hans Leyendecker

So muss man sich wohl eine glückliche, anonyme Quelle vorstellen: Sitzt irgendwo und schaut zu, wie das gelieferte Material Schlagzeilen macht. Wie seit Tagen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender aus der ganzen Welt über Offshore-Leaks berichten, wie Politiker jetzt wieder allerhand fordern, und wie die ersten Steueroasen, wie Luxemburg, tatsächlich einknicken. Und dieser Mensch - falls es nicht mehrere sind - bleibt unsichtbar: Ach wie gut, dass niemand weiß, wer diese 2,5 Millionen Dokumente auf eine Festplatte gespeichert und in die Post gesteckt hat. Empfänger: ein Journalist in Australien.

Wer die Quelle ist, was sie will, und warum sie diese Daten gesammelt hat, weiß nur eine äußerst geringe Anzahl von Beteiligten. Die Quelle will anonym bleiben - damit ihr nichts passiert. Das bedeutet: Sie muss auch anonym bleiben. Das ist ein Imperativ für die Journalisten - keine Geschichte ist es wert, einen Informanten zu verlieren.

In aller Regel betrachten Hierarchen das Aufdecken von Missständen als Verrat, der unbedingt geahndet werden muss und auch die weiter unten sind mit Begriffen wie "Nestbeschmutzung" fix zur Hand. Der Überbringer schlechter Botschaften wird nun mal selten geschätzt. Sind Enthüller Verräter oder Helden? Die Unterscheidung ist nicht selten eine Frage der Perspektive.

Als Held gefeiert, als Denunziant verteufelt

Seit den Sechzigerjahren werden Informanten, die Betriebsinterna oder Amtsgeheimnisse öffentlich machen, mit dem englischen Wort "Whistleblower" bezeichnet. Je nach gesellschaftlichem Standort wird der Begriff mit "Alarmschlagen", "Alarmglocken-Läuten" oder "Verpfeifen" übersetzt. "To blow the whistle" - das steht ebenso für den korrekten wie für den falschen Schiedsrichterpfiff.

Es gibt berühmte Hinweisgeber, die - als ihr Fall und ihre Identität bekannt wurden - furchtbar scheiterten. Unvergessen beispielsweise ist der Fall des Christoph Meili, der 1997 in der Schweiz als Wachmann der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft Dokumente über Vermögen von Holocaust-Opfern vor dem Schredder gerettet und an eine jüdische Organisation weitergegeben hatte. Er verlor seinen Job, wurde als Held gefeiert und gleichzeitig als Denunziant verteufelt. Er bekam 31 Menschenrechtsauszeichnungen und wurde mit dem Tod bedroht. Er zog mit seiner Familie in die USA. Dort trennte sich die Ehefrau von ihm. Die Medien, die ihn gefeiert hatten, demontierten ihn, weil er in völliger Selbstüberschätzung seiner Rolle nicht gewachsen war. Auch die Eitelkeit kann ein schlimmer Feind des Whistleblowers sein.

Fast schon in Vergessenheit ist der tragische Fall des Briten Stanley Adams geraten. Der Mitarbeiter des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche teilte der EU-Kommission in den Siebzigerjahren illegale Preisabsprachen im Vitamingeschäft mit. Er bekam in der Sache recht, wurde aber wegen Verdachts auf Spionage und Verletzung des Dienstgeheimnisses verurteilt. Seine Frau, die ebenfalls verhört worden war, beging Suizid. Stanley Adams hatte sein Leben komplett ruiniert.

Whistleblower werden als illoyale Querulanten gemobbt

Ob solche Hinweisgeber uneigennützig und altruistisch dem Guten zum Durchbruch verhelfen möchten oder aus niederen Motiven agieren, ist manchmal völlig unerheblich: Auch Handlungen aus verwerflichen Gründen können für das Gemeinwohl förderlich sein. Wenn ein charakterschwacher, eitler und vielleicht sogar hinterhältiger Tippgeber auf echte Missstände von erheblicher Bedeutung aufmerksam macht und auf diese Weise großen Schaden abwendet, bleibt er ein unsympathischer Zeitgenosse, aber er hat sich um das Gemeinwohl verdient gemacht.

Der Umgang mit ihm mag nicht einfach sein, aber große Skandale werden oft von solchen Insidern aufgedeckt. Wenn hingegen ein sympathischer, uneigennütziger Whistleblower sich geirrt hat oder seine Klage nicht ausreichend belegen kann, handelt er nicht nur unprofessionell, sondern schadet womöglich dem Gemeinwohlinteresse. Über Risiken und Chancen von Whistleblowern gibt es diverse Studien, Gutachten und Untersuchungen. Das Fazit der meisten Betrachtungen lautet: Sie werden als illoyale Querulanten gemobbt.

Der größte Lump im ganzen Land ...

"Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant", reimte Hoffmann von Fallersleben Mitte des 19. Jahrhundert: "Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt - das ist das gewöhnliche Schicksal desjenigen, der sich im Interesse von Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließt", so beschrieb der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling einmal den Status der Whistleblower in Deutschland.

Während deutsche Behörden von oft zweifelhaften Gestalten für Millionen Steuer-CDs kaufen, haben aber private Hinweisgeber in Deutschland immer noch kaum rechtlichen Schutz. Berühmt wurde der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die Missstände in einem Pflegeheim anzeigte. Heinisch wurde gefeuert und gefeiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab ihr später recht, brummte der Bundesregierung eine Schadensersatzzahlung von 10.000 Euro auf und mahnte mehr Schutz für den privaten Bereich der Arbeitswelt in Deutschland an. Bislang vergeblich. Immerhin hat im vergangenen Jahr nach langem Rechtsstreit das Landesarbeitsgericht Berlin einen Vergleich mit Heinisch geschlossen. Die Altenpflegerin erhielt von einem Klinikkonzern 90.000 Euro. Die fristlose Kündigung wurde in eine ordentliche umgewandelt, und es gab sehr spät ein anständiges Zeugnis.

In anderen Ländern wie Japan, Neuseeland und Frankreich werden Hinweisgeber arbeits- und dienstrechtlich viel besser geschützt. Insbesondere Großbritannien gilt als Musterschüler in Bezug auf Gesetze, die Whistleblower vor Repressalien schützen soll. Der Public Interest Disclosure Act ("Gesetz über Enthüllungen im öffentlichen Interesse") schließt arbeitsrechtliche Schritte oder Schadensersatzforderungen des Unternehmens gegen Mitarbeiter aus, die in gutem Glauben für das öffentliche Interesse bedeutsame Meldungen gemacht haben; bei Rufmord oder Querulantentum findet das Gesetz keine Anwendung.

Unternehmen müssen Möglichkeiten zur anonymen Hinweisgabe schaffen

Das Gesetz orientiert sich am Begriff der "geschützten Enthüllung", von der ein Whistleblower "vernünftigerweise" ausgehen dürfe, und zwar wenn er meldet, dass etwas "gerade begangen worden ist, gerade begangen wird oder wahrscheinlich begangen wird".

In den USA gibt es eine Reihe bundes- und einzelstaatlicher Regelungen zum Whistleblowing und auch ein Schutzprogramm beim Arbeitsministerium in Washington. Die Vorschriften sollen vor allem willkürliche Degradierungen, Entlassungen oder andere Formen der Nötigung verhindern. Börsennotierte Unternehmen müssen interne Informationskanäle aufbauen, über die auch anonym auf Ungereimtheiten hingewiesen werden kann.

Die große Mehrheit der Gerichte der US-Bundesstaaten hält die Kündigung eines Whistleblowers für unzulässig, wenn er sich weigert, eine illegale oder gar strafbare Handlung zu begehen oder an einer solchen mitzuwirken.

Unter Umständen wird Whistleblowern in den USA auch, quasi als Kompensation, ein Teil des durch die Meldung verhüteten Schadens zugesprochen: Ein seit dem Jahr 2006 bestehendes Whistleblower-Programm sieht für Tippgeber einen Anteil an eben der Summe vor, welche die Steuerbehörden nach der Aufdeckung von Delikten eintreiben. Zivilcourage soll sich lohnen, das ist die Botschaft.

Auch in den USA kann Hinweisgebern Unheil drohen

Im vergangenen Jahr sorgte der Fall des früheren Kundenbetreuers der Schweizer Großbank UBS, Bradley Birkenfeld, für Aufsehen, der von der amerikanischen Steuerbehörde IRS 104 Millionen Dollar erhielt, weil er entscheidende Informationen geliefert hatte, um Steuerdelikte bei seinem früheren Arbeitgeber aufzudecken. Einen beträchtlichen Teil der Prämie kassierten allerdings Birkenfelds Anwälte.

Aber auch in den USA, dem Land der Whistleblower, kann Hinweisgebern Unheil drohen, wenn ihre Identität bekannt wird. Der bekannteste Fall ist der Soldat Bradley Manning, der die Quelle für die spektakuläre und gesellschaftlich bedeutende Wikileaks-Veröffentlichungen über die Kriege im Irak und in Afghanistan war. Ihm wird nun der Prozess gemacht. Seine Ankläger werfen ihm vor, den "Feind unterstützt" zu haben, Manning droht lebenslange Haft.

Hat sich der Mut denn gelohnt? Der Whistleblower Stanley Adams, jener Unglückliche, der im Zug der Hoffmann-La Roche-Affäre seine Frau verlor, antwortete auf die Frage, ob er noch einmal genau so handeln würde: "Wenn ich den Tod meiner Frau beiseitelasse, dann würde ich ohne Zögern Ja sagen. Wenn du eine Geschichte zu erzählen hast, dann rate ich: Erzähl sie. Es ist besser, aufrecht zu sterben, als auf Knien zu leben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: