Wettlauf ins All:Der Mond ist nicht genug

A recycled SpaceX Falcon 9 rocket soars toward space above a Virgin Airlines passenger jet, which had just departed Orlando International Airport, in Orlando

Eine recycelte SpaceX-Rakete vom Typ Falcon 9 startet ins All. Zwar ist deren Einsatz noch nicht so selbstverständlich wie ein Flug mit dem Airbus, bislang galt es jedoch als fast unmöglich, dass Raketen wiederverwendet werden können.

(Foto: REUTERS)

Erstmals hat eine recycelte Rakete einen Satelliten ins All gebracht. Doch das ist nur der Anfang viel kühnerer Pläne, die einige Milliardäre im All verfolgen.

Von Hans von der Hagen

In Deutschland war es tiefste Nacht, als sich im Kennedy Space Center Florida Elon Musk wieder einmal an einer Revolution versuchte. Erstmals schoss seine Firma Space-X in der Nacht von Donnerstag auf Freitag eine recycelte Rakete ins All, setzte dort einen Satelliten in der Umlaufbahn ab - und landete wieder. Sein Konkurrent Jeff Bezos von der Firma Blue Origin, der den meisten als Chef und Gründer von Amazon ein Begriff ist, hatte im Januar ebenfalls eine Rakete ins All geschickt.

Aber die hatte keinen Satelliten dabei und streifte nur kurz den Weltraum, bevor auch sie wieder landete. Musk erinnert bei jeder Gelegenheit daran, dass es eine ganz andere Liga sei, wenn man mit einer Rakete nicht nur knapp das All erreiche, sondern sich auch in der Erdumlaufbahn halten könne. Darum war Elon Musk in der Nacht "unglaublich stolz" und sprach von einem "Meilenstein". Seine Leute von Space-X, die soeben noch den Start bejubelt hatten, bekamen auch gleich das nächste Ziel: Den Neustart künftig bitte innerhalb von 24 Stunden.

Eine Antriebsstufe mit Flüssigbrennstoff auf diese Art wiederzuverwenden, galt bislang als kaum realisierbar. Das Material übersteht die Strapazen beim Start gewöhnlich nur mit bleibenden Schäden. Musk und Bezos haben nun gezeigt: Es geht doch. Die Konsequenz: Womöglich wird die Raumfahrt in Zukunft viel billiger. Die wahre Leistung von Musk und Bezos liegt freilich ganz woanders. Sie schaffen, was in den Jahrzehnten zuvor keiner mehr erreicht hat: Sie erwecken die Raumfahrt zu neuem Leben.

Aus dem Bewusstsein der Menschen ist die Raumfahrt weitgehend verschwunden. Astronauten fliegen eben nicht mehr zum Mond, sondern schweben allenfalls in 400 Kilometer Höhe durch die Raumstation ISS.

Fürs Spektakel gibt es hier und da einen kleinen Marsroboter und manch kühnes, aber im Grunde gefahrloses Kometenabenteuer. In den USA musste die Raumfahrtagentur Nasa mit einem über Jahre hinweg schrumpfenden Budget auskommen, darum konzentriert sich die staatlich finanzierte Raumfahrt nur noch auf das, was sich zu Geld machen lässt oder zumindest nützlich erscheint: Sie koordiniert das Geschäft mit den Satelliten, die Wetterdaten und Bilder liefern oder Menschen und Maschinen an jedem Punkt der Erde den Weg lotsen.

Raumfahrt macht wieder Spaß

Und nun kommen da einige Milliardäre und befeuern mit ihren Weltraum-Visionen erstmals seit Langem wieder die Fantasie der Menschen. Die Raumfahrt beginnt, wieder Spaß zu machen: Neben Musk, der auch mit dem Elektroautohersteller Tesla sowie mit Hyperloop, einem System zur Beförderung von Menschen in Röhren, beschäftigt ist, und Bezos ist Virgin-Chef Richard Branson der Dritte im Bunde. Er hat dazu die Firma Virgin Galactic gegründet.

Musk will mindestens bis zum Mars fliegen und dort eine Stadt errichten, am liebsten aber bis zum Pluto. Bezos denkt zunächst an Touristenflüge, dann an eine Siedlung auf dem Mond, die Amazon beliefern könnte, und später an Industriezonen im All. Branson indes spezialisiert sich nur aufs Reisegeschäft - den Tourismus ins All. Von den drei Milliardären ist er für das Spaßprogramm zuständig.

Der gelernte Ökonom und Physiker Musk lässt wenig Zweifel daran, dass ihm der Weltraum wichtiger als alles andere ist. Sein Interesse am All wurde nach eigener Darstellung von den Büchern des Science-Fiction-Schriftstellers Isaac Asimov inspiriert - "eine Art Science-Fiction-Variante von Gibbon's Verfall und Untergang des römischen Imperiums", erzählte er einmal dem Guardian. Was würde man unternehmen, um den drohenden Abstieg zu bremsen? Zum Beispiel eine interstellare Zivilisation errichten.

Musk denkt interplanetar

Interstellar denkt Musk zwar nicht, interplanetar schon. Folgen können ihm die Leute bei seinen fantastischen Plänen nicht immer. Bezeichnend dafür ist eine Szene auf einem Astronautenkongress 2016 in Mexiko, die noch auf Video zu sehen ist. Musk erklärt dort, wie gefährlich es sein könnte, wenn die Menschheit ausschließlich auf der Erde leben würde: Ein einziges unglückliches Ereignis könnte alles Leben auslöschen. Die Alternative wäre, eine multiplanetarische Spezies zu werden. "Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass das der richtige Weg ist!", ruft Musk ins Publikum. Stille. Das ist Musk, der Menschenfänger, nicht gewohnt. Er hebt die Hand und fragt irritiert: "Ja?" Erst dann johlt sein Auditorium, als hätte er gerade "Space Oddity" von David Bowie gesungen.

Die Vorstellungen von Bezos, der Elektrotechnik und Informatik studierte, ähneln indes den Visionen des Raumfahrtpioniers Gerard Kitchen O'Neill, der wohl noch an der Universität Princeton war, als auch Bezos dort in den Achtzigerjahren studierte. O'Neill hatte die Vorstellung, dass das Sonnensystem mit Hilfe künstlich erschaffener Kolonien erschlossen werden könnte, die nicht zwingend auf einem Himmelskörper entstehen müssten.

Schmutzige Industrien sollten dorthin ausgelagert werden, damit die Erde sauberer werden würde. Ähnlich sieht es auch Bezos, der am liebsten freilich mit seiner Liebe zu Star Trek kokettiert. In dem Film "Star Trek Beyond", der 2016 in die Kinos kam, ergatterte er eine kleine Nebenrolle. Bezos zieht gerne Parallelen zur Internetrevolution: Die sei nur möglich geworden, weil die dafür notwendige Infrastruktur Jahre zuvor im Boden verlegt worden war. Vergleichbares will er im All errichten: Eine Hardware im Weltraum, die andere nutzen und ausbauen können - am besten gleich einen "superhighway in space", eine Autobahn im Weltraum, auf der Raumschiffe auch betankt, beladen werden können.

Und Branson? Der hat weder Studium noch schöne Geschichten parat, die für die Legendenbildung taugen, nur Abenteuerlust. Ihm reicht es, wenn er Touristen bis zur Kármán-Linie bringen kann, die in 100 Kilometern Höhe den Beginn des freien Weltraums markiert.

Wer hat die größte Rakete?

Die Visionen der Milliardäre mögen überspannt sein. Tatsächlich aber bereiten sich schon einige Unternehmen auf eine Zukunft im All vor. Erst im vergangenen Jahr unterzeichnete etwa die Regierung von Luxemburg eine Vereinbarung mit dem Unternehmen Deep Space Industries, das den Bergbau auf erdnahen Asteroiden plant. Und doch: Die Wirklichkeit sieht gemessen an den verwegenen Plänen noch bescheiden aus. Sie dreht sich im Moment eher um die sehr irdische Frage, wer die größte Rakete hat. Die Antwort: Elon Musk. Anfangs wollte er seine Versuche mit ausgemusterten russischen Interkontinentalraketen durchführen. Doch das war am Ende zu kompliziert und zu teuer, darum beschloss er, mit seiner 2002 gegründeten Firma Space-X Raketen selbst zu bauen.

Zunächst mit eigenem Geld, das er mit dem Verkauf seiner Anteile am Online-Bezahlsystem Paypal verdient hatte, später mit Mitteln der Nasa. Mehrmals soll Musk am Rand der Pleite gestanden haben. 2012 verhandelte er nach Informationen der Agentur Bloomberg gar den Verkauf von Tesla an Google. Am Ende konnte er aber immer wieder Geld auftreiben.

Derzeit hat er zwei Raketen im Programm: Die Falcon 9 und die Falcon Heavy. Die Falcon 9 ist bereits im Einsatz und in Verbindung mit der Raumkapsel Dragon das derzeit einzige Vehikel der Amerikaner, das an der Raumstation ISS andocken kann. Mehr als 30 Starts gab es seit 2010 für die Falcon 9. Im Sommer sollen die ersten Starts der Falcon Heavy erfolgen. Sie verfügt über zusätzliche Treibstoffeinheiten und kann - je nach anvisierter Höhe - die zwei- bis dreifache Last ins All bringen. Für die erdnahe Umlaufbahn zwischen 200 und 2000 Kilometer Höhe sind das rund 54 Tonnen. Das entspricht etwa dem Gewicht eines Airbus A321.

Saturn V - die Benchmark für Raumpioniere

Für Flüge bis zum Mars liegt die Nutzlast bei knapp 14 Tonnen, für den Pluto, das ist sicherheitshalber auch schon auf der Space -X-Seite notiert, bei 2,9 Tonnen. Die Falcon Heavy ist die derzeit mächtigste Rakete weltweit, sie könnte auch die Basis für die Flüge zum Mars bilden. Übermütig zieht Musk bereits Vergleiche zur Mondrakete Saturn V der Nasa aus den sechziger Jahren, die allerdings mit bis zu 140 Tonnen fast die zweieinhalbfache Last transportieren konnte.

Die Saturn V ist nach wie vor die Benchmark, an der sich Raumfahrtpioniere messen. Mit einer Einschränkung: Sie war eben nur eine Einweg-Rakete. Was ihr Start gekostet hat, ist in heutigen Zahlen kaum zu ermitteln. Schenkt man den Berechnungen im Internet Glauben, war es mehr als eine Milliarde Dollar. Ähnlich hoch veranschlagen Experten auch die Kosten eines Space-Shuttle-Fluges mit wiederverwendbaren Feststoff-Raketen. Die Kosten für einen Start der Falcon 9 beziffert Space-X auf 62 Millionen Dollar, den einer Falcon Heavy auf 90 Millionen. Zum Vergleich: Der Start einer europäischen Ariane-5-Rakete kann mehr als 200 Millionen Dollar kosten.

Bezos geht mit seiner im Jahr 2000 gegründeten Firma Blue Origin die Dinge viel langsamer an - die Schildkröte ist sein Wappentier. Eine ausgewachsene Rakete hat er noch nicht, nur ein Raketchen mit dem Namen New Shepard. Zum Vergleich: Die Falcon 9 misst ohne Frachtmodul knapp 50 Meter, die New Shepard kommt auf 15 Meter. Immerhin trägt New Shepard eine kleine Kapsel für Touristen, die Bezos ja im Nebenerwerb transportieren möchte.

Bis zur Erdumlaufbahn gelangt die New Shepard freilich nicht, sie fliegt nur in den sogenannten suborbitalen Bereich - also ungefähr dorthin, wohin es auch Branson noch schafft. Immerhin: Bezos, der sein Programm anders als Musk weitgehend privat finanziert, könnte bald auch eine große Rakete haben. Einen Namen hat sie schon: New Glenn. Starten soll sie zum ersten Mal 2020. Branson wiederum arbeitet sich gar nicht erst mühsam an Raketen ab, sondern setzt mit seiner Firma Virgin Galactic derzeit auf das Raumflugzeug Space Ship Two, das in gut 15 Kilometer Höhe von einem Trägerflugzeug ausgeklinkt wird und dann bis auf 110 Kilometer Höhe ins All jagt.

Alle drei mussten bereits herbe Rückschläge einstecken. Aber sie wissen, dass sie mittlerweile eine große Gemeinde im Internet haben, die bei jedem Start mitfiebert. Vor allem Musk versucht darum, Niederlagen mit Humor zu nehmen. Als 2016 das Antriebsmodul seiner Rakete nach immerhin erfolgreicher Landung leider umfiel und dann, wie er es formulierte "schnell ungeplant demontiert" wurde, twitterte er: "Zumindest waren die Einzelteile dieses Mal größer!"

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