Wenn es um die Zukunft des Handels geht, hört man oft faszinierende Dinge. Es geht dann um Digitalisierung und maßgeschneiderte Angebote, um Lieferdrohnen und darum, dass überhaupt alles immer schneller und besser und schicker wird. Es klingt aufregend, und doch konzentrieren Deutschlands Handelskonzerne ihre Anstrengungen in diesen Tagen auf ein weit weniger glamouröses Feld: Klopapier. Und Zahnseide. Und Hühneraugenpflaster.
Zwischen den Unternehmen ist ein harter Kampf um den Markt mit Drogerieartikeln entbrannt. Am Freitag schrieben dm, Rossmann und die Parfümeriekette Douglas einen Brandbrief an die Bundesregierung. Darin warnen sie "vor nicht verkehrsfähiger Ware", die vor allem aus China über Online-Anbieter wie Amazon oder Ebay nach Deutschland gelange. Aber nicht nur die Marktplätze im Internet setzen den Etablierten zu. Nun drängen auch andere Größen auf den Markt: Edeka und Otto zum Beispiel.
Was, bitte, ist an Klopapier denn plötzlich so sexy?
Dass die Zukunft in Bremerhaven anfängt, passiert nicht oft. Trotzdem soll die Neuordnung des Drogeriemarkts genau hier starten, das ist zumindest der Plan. Denn hier eröffnet noch in diesem Jahr ein "Budni". Der Familienbetrieb Budnikowsky ist mit seinen gut 180 Drogerieläden in seiner Heimatstadt Hamburg eine Institution - aber bislang eben nur dort.
Die Filiale in Bremerhaven wird die erste außerhalb der Region Hamburg sein, und sie ist das erste Resultat einer Kooperation, die Budni mit dem Handelskonzern Edeka eingegangen ist. Die Bremerhavener Filiale soll kein Solitär bleiben, die Unternehmen wollen in großem Stil expandieren. Erst in Niedersachsen und in Berlin, dann bundesweit. Man werde "mit einer Handvoll Märkten" noch in diesem Jahr starten, umriss Edeka-Vorstandschef Markus Mosa seine Pläne. dm und Rossmann müssen sich auf einen ambitionierten Konkurrenten einstellen: Rund 50 neue Märkte pro Jahr sieht Mosas Angriffsplan vor.
Budni profitiert in der Kooperation von besseren Einkaufskonditionen, Edeka holt sich Fachwissen in einer komplizierten Branche. Zuvor hatte Edeka schon versucht, mit anderen Aktionen das Drogeriegeschäft in seinen Supermärkten anzukurbeln. Deutschlands größter Lebensmittelhändler senkte für Tausende Drogerieartikel die Preise.
Mit Aktionen unter dem Motto "Genauso günstig wie im Drogeriemarkt" versuchen viele der Edeka-Kaufleute die Kunden zu locken. Manche übernahmen sogar das Preismerkmal von dm: Sie ließen die Preise auf fünf Cent enden und nicht wie sonst üblich auf neun, verlangten also beispielsweise 1,95 statt 1,99 Euro für ein Produkt - und hofften auf einen konsumpsychologischen Vorteil.
Ein paar Cent billiger hier, ein Sonderangebot da, das ist nicht Wettbewerb, das ist Stichelei
Bloß: So richtig geklappt hat das nicht. Denn die deutschen Konsumenten kaufen Drogerieartikel nur ungern im Supermarkt. Sie bevorzugen die breite Auswahl im Laden nebenan, bei dm, Rossmann oder Müller. Die drei großen Drogerieketten steigerten ihren Marktanteil in dem Segment in den letzten fünf Jahren um fast fünf Prozentpunkte auf 45,3 Prozent, berechneten die Marktforscher der GfK.
Allein 2017 knöpften sie anderen Händlern 1,6 Prozentpunkte Marktanteil ab. Erich Harsch, Vorsitzender der Geschäftsführung von dm, gibt sich selbstbewusst: "Es wird nicht so leicht sein für neue Mitbewerber", prophezeit er. "Drogeriemärkte sind Spezialisten für Drogeriewaren, Supermärkte eher für Lebensmittel, und die steigenden Ansprüche der Kunden führen eher zu Vorteilen bei den jeweils am besten aufgestellten Anbietern."
Tatsächlich ist die Stärke der Spezialisten beachtlich, zumal der Umsatz mit Drogerieartikeln in Deutschland gar nicht mehr so stark steigt wie noch vor ein paar Jahren. Als Schlecker 2012 in die Pleite rutschte, teilten die Konkurrenten die freien Marktanteile praktisch untereinander auf. Doch der Schlecker-Effekt ist mittlerweile verpufft - und die Ketten luchsen heute Edeka, Rewe, Kaufland und Real die Kunden ab.
Edeka startet nun also einen Gegenangriff, aber es gehört auch zur Wahrheit: Der Handelskonzern hat kaum andere Wachstumschancen. Im Ausland ist er nicht tätig und Übernahmen im Lebensmittelbereich sind in Deutschland seit dem Kauf von Kaiser's Tengelmann kartellrechtlich so gut wie ausgeschlossen. Aber auch die anderen Lebensmittelhändler wirken einigermaßen ratlos. Real setzt den Drogisten überhaupt nichts Nennenswertes entgegen. Rewe gab immerhin seinem Drogerie-Label einen neuen Anstrich. Kaufland bemüht sich, seine Kundschaft mit einer Kosmetikeigenmarke bei Laune zu halten. Ob das hilft?
Von allen Händlern bietet bisher Aldi den drei Drogisten am erfolgreichsten die Stirn. Der Discounter pocht darauf, beim Kunden als günstigster Anbieter zu gelten. Marktführer dm lässt sich das nicht gefallen. Deswegen bieten sich die beiden immer wieder kleine Scharmützel um den besten Preis.
Reduziert der eine den Müllbeutel um ein paar Cent, unterbietet ihn der andere kurz darauf mit einem geringeren Angebot. Anfang des Jahres brach Aldi erstmals mit einem Tabu und machte ganz im Stil der dm-Konkurrenten Rossmann und Müller Sonderangebote auf Markenartikel. Ein stetes Sticheln mit dem Ziel, die Dauerniedrigpreis-Strategie von dm zu durchkreuzen und die eigenen Kunden an sich zu binden.
Rainer Münch ist Handelsexperte beim Beratungsunternehmen Oliver Wyman. Er sagt, aus Unternehmenssicht sei das Geschäft mit Drogeriewaren trotz des harten Wettbewerbs attraktiv. Die Margen seien traditionell gut, zudem seien die meisten Produkte lange haltbar, unkompliziert zu transportieren - und als Produkte des täglichen Bedarfs auch verlässliche Absatzbringer. Zudem seien Konsumenten von heute bereit, für Schönheitspflege auch höhere Preise zu bezahlen.
"Da lassen sich Kunden auch gern mit besonders hochwertigen Produkten verführen", sagt Münch. Bei anderen Warengruppen, beispielsweise bei Grundnahrungsmitteln, sei das erheblich schwieriger. Und frische, schnell verderbliche Produkte seien für den Handel wiederum viel kostspieliger.
Die Produkte halten ewig und sind leicht zu transportieren. Das reizt auch Online-Händler
Münch glaubt, dass der Kampf jetzt erst losgeht. Der Wettbewerb werde sich zuspitzen. Denn neben Drogeriemärkten, Vollsortimentern und Discountern würden vermehrt auch Online-Anbieter in den Markt drängen - was die stationären Händler am Drogeriegeschäft reizt, gefällt den Versandhäusern erst recht.
Das gilt auch für Otto. Der Hamburger Traditionskonzern gilt vielen immer noch als leicht verstaubt, hat sich aber längst zu einem modernen Riesen gewandelt. Das Unternehmen setzt auf eine Strategie mit vielen verschiedenen Marken, viele Kunden von About You oder Bonprix, von Lascana, Baur oder Sportscheck wissen wohl gar nicht, dass sie eigentlich bei der Otto-Gruppe kaufen. Das Unternehmen ist hinter Amazon die Nummer zwei im deutschen Online-Handel - und zielt nun auch auf das Drogeriesegment. Otto-Chef Alexander Birken macht aus seinen Ambitionen kein Hehl, er sehe Potenzial, betonte er mehrmals. Toilettenpapier, Waschmittel oder Deo kann man sich also auch von Otto liefern lassen, zudem habe man angefangen, das Sortiment bei Kosmetik deutlich auszubauen, heißt es im Konzern.

Konsum:Wie wir in Zukunft einkaufen
Bisher bestellen sehr wenige Deutsche Lebensmittel im Internet. Nun wird bald Amazon Salat und mehr nach Hause liefern. Das könnte den Markt verändern und auch unser gesamtes Konsumverhalten.
Zum Auftakt für den Angriff kooperiert Otto seit ein paar Monaten mit L'Oréal, dem Weltmarktführer im Kosmetikbereich. Bislang würden Kosmetikartikel oft als Zusatz-Produkt bestellt: "Wer ein neues Outfit kauft, bestellt oft gleich den passenden Nagellack dazu", heißt es in Hamburg. Die Sortimentserweiterung solle aber auch neue Kunden anziehen, zudem errege das erweiterte Portfolio vielleicht die Aufmerksamkeit von anderen Unternehmen, die ihre Artikel dann über die Website von Otto vertreiben wollten, hofft man im Konzern.
Bei Otto hoffen sie, zur neuen Bluse auch den passenden Nagellack zu verkaufen
Die Strategie scheint aufzugehen: Wegen der hohen Nachfrage habe man die Produktpalette schnell ausgebaut, sagt eine Sprecherin. L'Oréal Paris, Maybelline, Garnier und Essie, Botanicals und Ambre Solaire - neuerdings alles zu haben im Otto-Online-Shop. Wer ohnehin schon bestellt, lege auch schnell noch Make-up, Wimperntusche oder Duschgel in seinen Warenkorb, das sei die Erfahrung bei Otto.
Wenn man bedenkt, dass die Akzeptanz des Onlinehandels in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen hat, wird deutlich: Neben der neuen Allianz aus Budni und Edeka werden auch die Online-Größen wie Otto und Amazon alles daran setzen, den etablierten Akteuren im Drogeriemarkt Marktanteile abzujagen. Zusätzlich angeheizt wird der Wettbewerb durch sogenannte Non-Food-Discounter, also Anbieter wie Action, Hema, Tedi oder Zeeman, die alles Mögliche verkaufen außer frischen Lebensmitteln. Sie drängen teils aus dem Ausland auf den deutschen Markt und befeuern den Preiskampf zusätzlich an, indem sie Filiale nach Filiale eröffnen. Viele haben hohe Erwartungen und glauben, mit ihren Ein-Euro-Produkten gerade im Discounter-Paradies Deutschland zu reüssieren. Denn die Konsumenten in der Bundesrepublik, das ist kein Geheimnis, mögen es quer durch fast alle Segmente gern günstig.
Es ist ein skurriles Schauspiel, das man da bestaunen kann. In Deutschland boomt die Wirtschaft seit Jahren, bei Drogerieartikeln aber tobt ein stiller, zugleich knallharter Kampf. Jeder gegen jeden, es wird um ein paar Cent gefeilscht. Fast möchte man sagen: Die Akteure scheinen alle völlig von der Rolle zu sein.
Für die Verbraucher klingt das nach einer guten Sache. Die Preise sind günstig, das Angebot wird vielfältiger. Für die Hersteller der Produkte aber ist der Preiskampf ein Graus. Denn sie müssen damit rechnen, von den Händlern aus dem Regal genommen zu werden, wenn sie nicht mitspielen. Der Kampf zwischen den Händlern mag gnadenlos sein, aber ihr Einfluss auf den Markt ist riesig: Wer als Hersteller von den großen Händlern nicht gelistet wird, hat kaum eine Chance - zum einen weil viele Menschen vor allem die Produkte online bestellen, die sie schon aus dem stationären Handel kennen. Und zum zweiten, weil es viele praktischer finden, bei großen Händlern wie Otto oder Amazon zu bestellen, als im Online-Shop einer speziellen Marke, wo sie dann womöglich erst ein Kundenkonto eröffnen und ihre Zahlungsdaten neu eingeben müssten.
Auch für die Händler selbst bedeutet der Preiskampf niedrigere Margen. Für den Kampf um die Marktanteile sind die meisten bereit, zwischenzeitlich schrumpfende Erträge in Kauf zu nehmen. Oder gar, wie Edeka und Budni, viel Geld zu investieren, in der Hoffnung, dass sich die neuen Filialen schnell durchsetzen.
Zudem versuchen die Händler, in ihr Sortiment neue Produkte aufzunehmen, die sie von der Konkurrenz abgrenzen. Das passiert etwa über eine Stärkung der Eigenmarken: Wer damit Fans gewinnt, verschafft sich zwangsläufig treue Kunden. Eigenmarken gibt es verstärkt auch im Naturkosmetikbereich, der eine wachsende Zielgruppe hat. Branchenführer dm geht zudem neue Wege und testet etwa bislang unbekannte, aber hochpreisige Marken, bei denen die Marge sicher und der Preiskampf fern ist. Zudem kooperiert man mit Influencern, also Stars aus sozialen Netzwerken, die eine meist sehr kauffreudige Anhängerschaft haben. Bekanntestes Beispiel: Die Kooperation von dm mit der deutschen Influencerin Bianca Heinicke. Die hat jeweils mehr als fünf Millionen Abonnenten auf den wichtigsten Plattformen Youtube und Instagram und vertreibt bei dm unter der Marke "bilou" eigene Duschprodukte - mit durchschlagendem Erfolg bei der jungen Zielgruppe. Das ist dann doch wieder: ziemlich aufregend.