Süddeutsche Zeitung

Wettbewerb:Macht am Rhein

Der Kohleausstieg könnte ausgerechnet dem Kohlegiganten RWE zu einer marktbeherrschenden Stellung verhelfen, warnt das Kartellamt. Denn die Konkurrenz tritt ab.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Macht eines Stromkonzerns zu messen, ist keine einfache Sache. In anderen Branchen ließe sich das mit Marktanteilen bewerkstelligen. Strom aber lässt sich in großen Mengen schwer speichern. Es kommt also darauf an, wer in wie vielen Stunden des Jahres wirklich unverzichtbar ist. Drosselt derjenige nämlich dann seine Erzeugung und kann niemand anderes einspringen, dann entsteht Macht. Und solche Macht winkt in Deutschland derzeit nur einem Unternehmen: dem Essener RWE-Konzern, unter anderem mit seiner rheinischen Braunkohle.

Zu diesem Schluss kommt das Bundeskartellamt in seinem jüngsten Marktmachtbericht. Darin untersuchten die Wettbewerbshüter den sogenannten Erstabsatz von Strom, also etwa von Kraftwerken an Stadtwerke oder Industriebetriebe. Viele Stromerzeuger fehlen in dieser Betrachtung, die Dynamik am Markt aber lässt sich so gut nachvollziehen. Und für das zurückliegende Jahr zeigt sich: RWE hatte - je nachdem, wie viel ausländischer Strom ins Netz fließt - in bis zu 3,7 Prozent der Stunden eine entscheidende Rolle. Klingt wenig? Die Schwelle, ab der das Kartellamt eine marktbeherrschende Stellung vermutet, liegt bei fünf Prozent der Zeit.

Viele ältere RWE-Kraftwerke können noch eine ganze Weile laufen

Dabei war es kein normales Jahr. Vor allem im Frühjahr war der Stromabsatz abgesackt, corona- und stillstandsbedingt. "Trotzdem haben sich die Marktverhältnisse bei der Stromerzeugung in 2020 kaum verändert", sagt Kartellamts-Chef Andreas Mundt. "Derzeit ist RWE zwar nicht marktbeherrschend, steht nach wie vor aber nahe an der Beherrschungsschwelle." Und deren Überschreitung ist möglicherweise nicht mehr so fern - durch den Kohleausstieg.

Zwar erzeugt kein anderes Unternehmen so viel Kohlestrom wir RWE, vor allem aus Braunkohle. Doch den Braunkohle-Ausstieg organisierte die Bundesregierung so, dass die beiden großen Reviere in der Lausitz und im Rheinland gleichermaßen Tagebaue und Kohleblöcke stilllegen müssen. Dadurch können auch viele ältere RWE-Kraftwerke noch eine ganze Weile laufen.

Parallel laufen für Steinkohle-Anlagen Ausschreibungen, in denen Betreiber auf Stilllegungsprämien bieten können. Und hier standen Stromkonzerne zuletzt Schlange. Zwar verfügt auch RWE über Steinkohle-Kraftwerke, mit denen es bei der ersten Ausschreibung sehr erfolgreich geboten hatte. Stillgelegt werden aber hier vor allem die Blöcke der Konkurrenz. Und auch mit dem Atomausstieg verschwindet Kapazität vom Markt. "RWE könnte, im Zuge und als Folge dieser Marktverknappung, möglicherweise die Schwelle zur Marktbeherrschung überschreiten", sagt Mundt. Dann droht verschärfte Beobachtung. Die Behörde will die weitere Entwicklung nun rascher nachhalten, als es der Gesetzgeber verlangt. Eigentlich steht alle zwei Jahre ein Bericht über die Marktmacht an; der nächste soll früher kommen als erst Ende 2022.

Netzausbau kommt voran

Allerdings klammert die Behörde einen erheblichen Teil des Strommarktes aus: die erneuerbaren Energien. Schließlich stehen die nur in den seltensten Fällen in direkter Konkurrenz mit Kraftwerken. Ihr Geld verdienen sie meist über das staatliche Umlagensystem - und nach vorläufigen Zahlen machten sie 2020 gut 46 Prozent der Stromerzeugung aus.

Um sie besser in den Strommarkt integrieren zu können, braucht es vor allem neue Netze, und hier meldet die Bundesnetzagentur am Montag Fortschritte. So seien von insgesamt fast 7700 Kilometer Ausbauvorhaben mittlerweile 1500 Kilometer fertiggestellt, 3000 weitere Kilometer waren zum Ende des dritten Quartals vor dem oder schon im Planfeststellungsverfahren. Bei den großen Nord-Süd-Trassen, die per Gleichstrom Windenergie nach Süddeutschland transportieren sollen, stünden mittlerweile in vielen Abschnitten die Korridore fest. Trotz aller Corona-Einschränkungen seien die Verfahren zügig vorangekommen, sagte Behördenchef Jochen Homann, inklusive Beteiligung der Öffentlichkeit. 2021, so Homann, "wird es in diesem Tempo weitergehen".

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