Als die Bundesregierung noch plante, im Klimaschutz mal einen richtig großen Wurf zu landen, vor wenigen Wochen also, da hatte sich der Vizekanzler eine hübsche Erzählung bereitgelegt. Warum Deutschland denn aus der Kohle aussteige, während andernorts noch neue Kohlekraftwerke gebaut würden, fragte Olaf Scholz sein Publikum. Oder warum man auf alternative Antriebe setze, während überall auf der Welt weiter Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft würden. Die Antwort schob er gleich nach: "Weil wir es können."
Weil wir es können - das ist eine Botschaft der Hoffnung im Klimaschutz, vergleichbar dem "Wir schaffen das", mit dem Angela Merkel einst zur Hilfe für Flüchtlinge aufrief. Doch Scholz' Satz beschreibt zugleich die Ursachen. Warum etwa fahren in diesem Land mit 83 Millionen Einwohnern mehr als 47 Millionen Autos, die meisten mit Verbrennern? Warum nimmt die Zahl der Flugreisen von Jahr zu Jahr zu? Warum stehen in deutschen Tagebauen die größten Schaufelradbagger der Welt? Warum erzeugen in Deutschland weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung mehr als zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen? Genau: Weil wir es können.
Der SPD-Mann Scholz meinte das natürlich anders. Sein Appell ans Können meint die Ingenieurskunst, die Fähigkeit, die Folgen des Fortschritts von gestern mit dem Fortschritt von morgen zu bekämpfen. Es ist eine Botschaft, die Menschen beruhigen soll. Denn wenn sich das Klimaproblem gewissermaßen technologisch lösen lässt, mit anderen Fahrzeugen, einer anderen Energieerzeugung, anderen Kraftstoffen, dann könnte beides gehen: Der Lebensstandard der Industriestaaten, der die menschgemachte Erderwärmung erst geschaffen hat, plus die Bekämpfung derselben. Scheinbar eine Win-win-Situation.
So einfach ist es leider nicht. Denn beide Formen von "Wir können das" prallen allzu oft aufeinander, Wissenschaftler sprechen vom "Rebound-Effekt". Am schönsten lässt er sich im Straßenverkehr beobachten: Zweifellos etwa sind Automotoren in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten effizienter geworden; wenn man so will: klimafreundlicher. Doch gleichzeitig wuchsen die Karossen, wurden schwerer, wurden mehr. Mit dem Effekt, dass sich an den Emissionen gar nichts änderte.
Bessere Dämmung, doch mehr Singlehaushalte
Wohnungen sind heute häufig besser gedämmt, gerade Neubauten verbrauchen nur noch wenig Energie. Doch gleichzeitig stieg die Zahl der Singlehaushalte und die bewohnte Fläche je Kopf. Das fraß einen großen Teil der Erfolge wieder auf. Die Digitalisierung macht viele Prozesse effizienter. Doch mit ihrem Einsatz wachsen die Rechenzentren, deren Energieverbrauch und auch der Konsum digitaler Dienste. Ob die Digitalisierung das Klima entlasten kann, ist zumindest fraglich.
Das macht es so zwiespältig, wenn auch die Kanzlerin nun allenthalben dafür wirbt, mit Innovationen ließen sich Wohlstand und Klimaschutz vereinen. Ja, Fortschritt kann helfen, die Emissionen zu senken. Er kann sogar neue Exportmärkte eröffnen und so - wie beim Ausfuhrschlager erneuerbare Energien - weltweit eine grüne Wende beschleunigen. Aber diese Innovationen, die ja meistens fossile Energienutzung ersetzen sollen, kommen in den seltensten Fällen von alleine. Und hier kommt neben dem Können das Wollen ins Spiel, und damit die Entscheidung einer Gesellschaft.
Denn was der Österreicher Joseph Schumpeter einmal als "schöpferische Zerstörung" beschrieben hat, die quasi aus sich selbst heraus alte Strukturen überwindet, gelingt nur bedingt in einer Umgebung, deren Kapitalstock und Infrastruktur derart auf fossile Energie ausgerichtet ist wie jene der Industriestaaten. Auch die deutsche Energiewende gelang nicht aus sich selbst heraus: Windräder und Solarparks etwa mussten gegen längst abgeschriebene Kohle- und Atomkraftwerke antreten - und schafften das nur durch eine staatliche Förderung.
Die andere Seite der Energiewende, das Ende von Kohle und Atom, gelang aber nur durch Verbot und künstliche Verteuerung. Ähnlich wird es bei Elektroautos sein: Auch sie treten gegen eine bewährte Technologie, eine bestehende Infrastruktur und ein etabliertes Geschäftsmodell an: den Verbrenner. Da ist Widerstand gewiss, nicht nur im Management, auch bei den Beschäftigten. Hier braucht es starke Leitplanken, damit sich das Können entfalten kann.