SZ-Projekt Werkstatt Demokratie:Wir müssen schon mehr wollen

Extinction Rebellion - Berlin

Nicht nur können, sondern wollen: blockierte Straßen bei Protesten für wirksamere Klimapolitik in Berlin

(Foto: dpa)

Die Erderhitzung ist eine Folge des Wachstums der vergangenen Jahrzehnte. Die Bundesregierung will die Klimakrise mit technischem Fortschritt abwenden - doch so einfach ist das nicht.

Essay von Michael Bauchmüller

Als die Bundesregierung noch plante, im Klimaschutz mal einen richtig großen Wurf zu landen, vor wenigen Wochen also, da hatte sich der Vizekanzler eine hübsche Erzählung bereitgelegt. Warum Deutschland denn aus der Kohle aussteige, während andernorts noch neue Kohlekraftwerke gebaut würden, fragte Olaf Scholz sein Publikum. Oder warum man auf alternative Antriebe setze, während überall auf der Welt weiter Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft würden. Die Antwort schob er gleich nach: "Weil wir es können."

Weil wir es können - das ist eine Botschaft der Hoffnung im Klimaschutz, vergleichbar dem "Wir schaffen das", mit dem Angela Merkel einst zur Hilfe für Flüchtlinge aufrief. Doch Scholz' Satz beschreibt zugleich die Ursachen. Warum etwa fahren in diesem Land mit 83 Millionen Einwohnern mehr als 47 Millionen Autos, die meisten mit Verbrennern? Warum nimmt die Zahl der Flugreisen von Jahr zu Jahr zu? Warum stehen in deutschen Tagebauen die größten Schaufelradbagger der Welt? Warum erzeugen in Deutschland weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung mehr als zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen? Genau: Weil wir es können.

Dieser Artikel gehört zur Werkstatt Demokratie, ein Projekt der SZ und der Nemetschek Stiftung. Alle Beiträge der Themenwoche "Klimakrise" finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Der SPD-Mann Scholz meinte das natürlich anders. Sein Appell ans Können meint die Ingenieurskunst, die Fähigkeit, die Folgen des Fortschritts von gestern mit dem Fortschritt von morgen zu bekämpfen. Es ist eine Botschaft, die Menschen beruhigen soll. Denn wenn sich das Klimaproblem gewissermaßen technologisch lösen lässt, mit anderen Fahrzeugen, einer anderen Energieerzeugung, anderen Kraftstoffen, dann könnte beides gehen: Der Lebensstandard der Industriestaaten, der die menschgemachte Erderwärmung erst geschaffen hat, plus die Bekämpfung derselben. Scheinbar eine Win-win-Situation.

So einfach ist es leider nicht. Denn beide Formen von "Wir können das" prallen allzu oft aufeinander, Wissenschaftler sprechen vom "Rebound-Effekt". Am schönsten lässt er sich im Straßenverkehr beobachten: Zweifellos etwa sind Automotoren in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten effizienter geworden; wenn man so will: klimafreundlicher. Doch gleichzeitig wuchsen die Karossen, wurden schwerer, wurden mehr. Mit dem Effekt, dass sich an den Emissionen gar nichts änderte.

Bessere Dämmung, doch mehr Singlehaushalte

Wohnungen sind heute häufig besser gedämmt, gerade Neubauten verbrauchen nur noch wenig Energie. Doch gleichzeitig stieg die Zahl der Singlehaushalte und die bewohnte Fläche je Kopf. Das fraß einen großen Teil der Erfolge wieder auf. Die Digitalisierung macht viele Prozesse effizienter. Doch mit ihrem Einsatz wachsen die Rechenzentren, deren Energieverbrauch und auch der Konsum digitaler Dienste. Ob die Digitalisierung das Klima entlasten kann, ist zumindest fraglich.

Das macht es so zwiespältig, wenn auch die Kanzlerin nun allenthalben dafür wirbt, mit Innovationen ließen sich Wohlstand und Klimaschutz vereinen. Ja, Fortschritt kann helfen, die Emissionen zu senken. Er kann sogar neue Exportmärkte eröffnen und so - wie beim Ausfuhrschlager erneuerbare Energien - weltweit eine grüne Wende beschleunigen. Aber diese Innovationen, die ja meistens fossile Energienutzung ersetzen sollen, kommen in den seltensten Fällen von alleine. Und hier kommt neben dem Können das Wollen ins Spiel, und damit die Entscheidung einer Gesellschaft.

Denn was der Österreicher Joseph Schumpeter einmal als "schöpferische Zerstörung" beschrieben hat, die quasi aus sich selbst heraus alte Strukturen überwindet, gelingt nur bedingt in einer Umgebung, deren Kapitalstock und Infrastruktur derart auf fossile Energie ausgerichtet ist wie jene der Industriestaaten. Auch die deutsche Energiewende gelang nicht aus sich selbst heraus: Windräder und Solarparks etwa mussten gegen längst abgeschriebene Kohle- und Atomkraftwerke antreten - und schafften das nur durch eine staatliche Förderung.

Die andere Seite der Energiewende, das Ende von Kohle und Atom, gelang aber nur durch Verbot und künstliche Verteuerung. Ähnlich wird es bei Elektroautos sein: Auch sie treten gegen eine bewährte Technologie, eine bestehende Infrastruktur und ein etabliertes Geschäftsmodell an: den Verbrenner. Da ist Widerstand gewiss, nicht nur im Management, auch bei den Beschäftigten. Hier braucht es starke Leitplanken, damit sich das Können entfalten kann.

Es braucht klare Signale

Die Bundesregierung, die so auf Innovation baut, will dafür vor allem auf Förderung und Freiwilligkeit setzen. Sie verkennt, dass sie damit zwar das Neue voranbringt, aber nicht zwangsläufig das Alte verdrängt. Was bei der Förderung neuer Heizungen noch gelingen kann, könnte schon bei den Kaufprämien für Elektroautos versagen: Im Zweifel werden damit noch weitere Zweitwagen angeschafft, ohne den Anteil der Verbrenner wirklich zurückzudrängen. Vergleichbare Programme der Vergangenheit jedenfalls haben in der deutschen Klimabilanz nicht allzu große Spuren hinterlassen. Für eine echte Modernisierung des Landes wird das nicht reichen: Dafür bräuchte es klare Signale.

Etwa das Signal eines spürbaren, ausreichend hohen Preises auf Kohlendioxid. Er verteuert automatisch alles, was auf fossiler Energie beruht - und lässt im Verhältnis die klimafreundlicheren Alternativen billiger werden. Wer wirklich auf das Können der Ingenieure setzt, kann so ihren Innovationen auf die Sprünge helfen - jedenfalls in einem Markt, der so sehr von längst eingetretenen Pfaden abhängt wie jener für Kraft- und Heizstoffe. Ein hoffnungsfrohes "Weil wir es können" jedenfalls bewerkstelligt das noch nicht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ordnungsrecht. Weder der Drei-Wege-Kat noch die Rauchgasentschwefelungsanlage, beide heute völlig selbstverständlich, wären ohne gesetzliche Vorgaben gekommen. Beides war nötig, um die Gesundheit von Mensch und Natur außerhalb der Fabriken und Autos zu schützen. Bei solchen "externen Effekten" versagt der Markt. Es braucht also verbindliche Vorgaben, um ineffiziente Technologien loszuwerden. Auch die Leuchtdioden-Lampe konnte sich erst durchsetzen, nachdem die Glühbirne verboten war.

Aber will die Gesellschaft das? Nimmt sie Verbote hin, damit das Land auf einen klimafreundlicheren Pfad kommt? Ist sie bereit, fürs Autofahren oder Heizen deutlich mehr zu zahlen, damit Autos, Heizungen und Gebäude modernisiert werden?

Besser mitreden

Bei der "Werkstatt Demokratie", einem Diskurs-Projekt der Süddeutschen Zeitung in Kooperation mit der Nemetschek Stiftung, setzen Leserinnen und Leser das Thema. Eine klare Mehrheit votierte bei der Online-Abstimmung im September für "Klimakrise - Wie retten wir die Zukunft?". Zu dieser Frage hat die Redaktion einen Themenschwerpunkt vorbereitet. Die Beiträge werden im Laufe dieser Woche in der SZ und auf SZ.de veröffentlicht. Leserinnen und Leser sind zudem eingeladen, über Wege aus der Klimakrise zu diskutieren: auf SZ.de und bei kostenlosen Workshops am 18. und 19. Oktober in München und Erfurt. Die Veranstaltung in München ist bereits ausgebucht, für Erfurt gibt es noch Plätze. Anmeldung und mehr Infos zum Projekt unter SZ.de/werkstattdemokratie.

Ein zukunftsfähiges Deutschland lässt sich schwer organisieren

Union und SPD, die derzeit eine Mehrheit in diesem Land repräsentieren, haben diese Frage verneint. Sie hatten vor allem jene im Blick, die sich durch derlei Verschärfungen benachteiligt fühlen könnten. Sie haben mehr auf die Gegenwart geblickt als auf die Zukunft - aus Angst, sonst den Rückhalt zu verlieren. Ihr Klimaprogramm zeigt eindrucksvoll, wie schwer sich ein zukunftsfähiges Deutschland gegen die Gegenwartsinteressen organisieren lässt - selbst dann, wenn freitags die Zukunft dieses Landes auf die Straße geht.

Es bräuchte diese Verzagtheit nicht, nicht in einer Volkswirtschaft von der Stärke der deutschen. Scholz hat recht: Viele Lösungen werden technischer Natur sein, sie verlangen das Wissen der Maschinenbauer und die Agilität des deutschen Mittelstands. Natürlich gehen damit auch Härtefälle einher. Aber deren Härten kann eine Gesellschaft gezielter ausgleichen als durch pauschale, milliardenschwere Entlastungen, die letztlich jeden Anreiz zum Klimaschutz neutralisieren.

Aber mit einer Klimapolitik des Bundes allein ist es nicht getan. Klimapolitik fängt unten an: Jeder Einzelne wird sich fragen müssen, ob er das, was er oder sie kann, was sie oder er sich leisten kann, auch wirklich braucht oder ob weniger vielleicht sogar mehr bedeuten kann, auch mehr Lebensqualität.

Jede Kommune und Stadtgesellschaft ist gefragt: Wie lässt sich der Verkehr umweltfreundlicher gestalten? Braucht es mehr Busse, höhere Parkgebühren, gar eine City-Maut? Können die Stadtwerke noch mehr in regenerative Energie investieren? Wie lässt sich die Zersiedelung von Gemeinden, die Versiegelung von Böden eindämmen? Finanzmärkte müssen ebenso mitwirken wie Unternehmen, die den Kampf gegen die Erderhitzung als Aufgabe und Chance zugleich begreifen.

Klimaschutz, das ist am Ende die Summe vieler Einzelentscheidungen. In einer Demokratie braucht das Zeit. Wenn das jüngste Klimapaket der Bundesregierung nun auf so harsche Kritik stößt, dann auch, weil große Teile der Gesellschaft schon weiter sind als diejenigen, die sie regieren. Sie setzen auf den Satz des Vizekanzlers noch einen drauf: Weil wir es wollen.

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