Werbung:Angst vor dem großen Sorry

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Lidl nimmt die Konkurrenz mit Sätzen wie: "Lidl lohnt sich. ALDI anderen sind teurer." aufs Korn. (Foto: dpa)

Geistreiche und rivalisierende Werbung ist die hohe Kunst des Marketing - aber eine Gratwanderung. Lidl geht nun auf die Konkurrenz los. Ist das gut?

Kommentar von Michael Kläsgen

Gemessen daran, dass vergleichende Werbung ein Minenfeld ist, hat Lidl so ziemlich alles richtig gemacht. Der Discounter hat sich mit seinen flapsigen Sprüchen streng an die Vorgaben des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb gehalten. Wortspielereien wie: "Lidl lohnt sich. ALDI anderen sind teurer." Oder: "Mehr Lidl vom NETTO." Oder: "Preise fernab der NORMAlität," sind eher lustig und nicht rufschädigend. Sie sind schon gleich gar nicht verunglimpfend oder herabsetzend. Dann wären sie zu Recht verboten. Die Konkurrenten hätten gerade im hart umkämpften Einzelhandel längst rechtliche Schritte dagegen eingeleitet. Das haben sie aber nicht getan, weil es nichts zu beanstanden gibt.

Wenn sie schlau sind, kontern sie nun mit Floretthieben und nicht mit Keulenschlägen. Ein bisschen so, wie Netto es versucht ("Du willst a lidlbit more Auswahl? Dann geht doch zu Netto"), nur noch kreativer und witziger. Dann wäre Werbung in Deutschland endlich auf einem hohen Niveau angekommen, und die Verbraucher dürften sich gespannt auf den nächsten süffisanten Seitenhieb in der Fernsehwerbepause oder auf Plakaten freuen. Geistreiche, anspruchsvolle Werbung, auch rivalisierende, das sollte das Ziel sein.

Kaum positive Beispiele

Weil der Weg dahin eine Gratwanderung ist, beschreitet ihn jedoch kaum jemand. Auch nicht in diesem Fall, die Lidl-Konkurrenz hält einstweilen, bis auf Netto, still. Und auch das ist gut so. Ehe Werbung ins Beleidigende oder Diffamierende abgleitet, sollte sie besser ganz unterbleiben. Gelingt sie aber, kann sie inspirierend wirken, zu eigenen Wortspielen animieren, zum Lachen oder Nachdenken bringen. Vergleichende Werbung kann dann die hohe Kunst ds Marketings sein und auf elegante Weise das Profil einer Marke schärfen. Leider gibt es dafür in Deutschland kaum positive Beispiele.

Ohnehin sind die Versuche rar, den direkten Konkurrenten auf die Schippe zu nehmen. Handyanbieter und Banken bilden hier die Ausnahmen, allerdings missglückten die Ansätze. Das ist insofern erschreckend, als vergleichende Werbung seit fast 20 Jahren erlaubt ist. Dennoch ist das Sticheln gegen den Konkurrenten in der Kreativbranche eine Seltenheit. Unausgesprochen gilt weiter das erste Marketinggebot: "Rede niemals schlecht über deinen Wettbewerber." Das klingt nach Noblesse und Wohlerzogenheit. Es widerspricht jedoch dem obersten Gebot aller, die sich mit Wort oder Bild in der Öffentlichkeit äußern: "Du sollst nicht langweilen." Vielen Werbetextern gelingt das, Werbung in Deutschland ist origineller und spritziger geworden. Die "Vorsprung-durch-Technik"-Fraktion dominiert aber leider weiter das Denken. Natürlich hat es etwas für sich, lieber auf Nummer sicher zu gehen und nur die eigenen Stärken zu betonen. Die Gefahr ist groß, den falschen Ton zu treffen und den anderen schlecht und sich selber angreifbar zu machen.

Es wäre aber falsch, deswegen vergleichende Werbung erst gar nicht in Erwägung zu ziehen. Es liegt in der Natur des Menschen, sich auch über die Abgrenzung zum anderen zu definieren. Dabei kann es sehr zivilisiert zugehen. So sollte es auch in der Werbung sein. Der direkte Vergleich ist allgegenwärtig, warum sollte er es nicht in der Werbung sein? Das sogar scheint ein Bedürfnis der Menschen zu sein, sonst würden sie hohle Werbesprüche nicht weiterdichten.

Diese Berliner Optikerwerbung erlangte sogar Aphorismen-Status: "Sind's die Augen, geh zu Ruhnke!" Daraus wurde: "Besser noch, du gehst zu Mampe, gießt dir or'ndlich einen auf die Lampe. Kannst dann alles doppelt seh'n, brauchst nicht mehr zu Ruhnke gehn." Wobei Mampe kein Optiker, sondern ein Schnapsbrenner war. Aber man sieht: Die Menschen wissen Werbung einzuordnen und glauben nicht alles.

Knallharte Preiskämpfe

Wenn vergleichende Werbung ähnlich witzig ist, hat das nichts zu tun mit Häme, Neid und Missgunst. Im Gegenteil, dann hat sie das Zeug dazu, die Fangemeinde vieler Marken zusammenzuschweißen und Identität zu stiften. Das Besondere der Marke kommt dann erst recht zur Geltung. Und genau das wollen Unternehmen doch. Fein ziselierte Rivalität kann daher durchaus zweckdienlich sein.

Natürlich gilt das nicht für alle Marken. Wer lieb und nett erscheinen will, sollte besser die Finger davon lassen. Wer es hingegen darauf anlegt, sollte auch Nehmerqualitäten mitbringen. Die Lebensmittelhändler eignen sich im Prinzip hervorragend dafür. Sie fechten seit Jahren knallharte Preiskämpfe aus. Sollen sie doch jetzt auch noch das Florett in der Werbung in die Hand nehmen. Dann hat der Verbraucher nicht nur den Preisvorteil, sonder wird auch noch unterhalten.

© SZ vom 19.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Vergleichende Werbung ist eine Gratwanderung und eine hohe Kunst des Marketings. Für unseren Autor sind die süffisanten Sticheleien Lidls gegen die Konkurrenz, ein Beispiel, wie rivalisierende Werbung den Wettbewerb beleben kann.

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