Gendergerechtigkeit:Italienischer Konzern ruft zum Umsturz des Patriarchats auf

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"Die Gleichstellung kann nicht warten", heißt es im Werbeclip. Die Botschaft: Dafür müsse man auch einen roten Stiletto als Waffe einsetzen. (Foto: Gary Waters/Imago/Ikon Images)

Mit Stöckelschuhen gegen Diskriminierung im Job! Das fordert ein italienischer Werbefilm. Eine feministische Revolte? Oder bloß Marketing? Ganz egal, der Film trifft den Nerv der Zeit - in einem Land, in dem nur die Hälfte der Frauen erwerbstätig ist.

Von Ulrike Sauer, Rom

Wozu Frauen einen roten Stiletto gebrauchen können, ist schon interessant. Zur besten Sendezeit zeigt der italienische Telekomkonzern TIM, wie man mit einem spitzen Stöckelschuh die Mauern des Patriarchats zertrümmert. Von wegen gläserner Decke. Im Werbeclip ist es schlimmer: Die Frau ist in einem Labyrinth gefangen. Hohe Mauern hindern sie am Verlassen eines Irrgangs, der ihre persönliche und berufliche Entfaltung einschränkt. 40 Sekunden lang verfolgt die Kamera ihren verschlungenen Weg. Dann streift sie den Stiletto von der Ferse und schlägt mit Wucht eine Bresche in den Stein.

An der Klimax ist Schluss mit den Metaphern. Eine mechanische Stimme aus dem Off sagt: Noch 169 Jahre sind nötig, um die wirtschaftliche Genderparität zu erreichen. Es folgt die Botschaft: "Reißen wir die Mauern ein: Die Gleichstellung kann nicht warten."

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Natürlich fragt man sich, ob der Werbefilm ein Aufruf zur feministischen Revolte sein soll oder die Wokeness ein schlaues Marketingmanöver ist. Fest steht: In Italien, das beim Gender-Gap in Europa das Schlusslicht ist und sogar von Malta, Griechenland und Spanien überholt wurde, rückt die Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben immer stärker in den Fokus. Sie wird als ein Hauptgrund der Wachstumsschwäche und der Geburtenkrise des Landes erkannt. Beides bereitet der Wirtschaft große Sorgen. Denn ohne Wachstum und ohne eine demografische Wende droht Italien in seinen Staatsschulden zu versinken. TIM-Chef Pietro Labriola sagt: "Die Parität ist eine entscheidende Voraussetzung für Wachstum." Die PR-Kampagne solle einen nicht länger aufschiebbaren kulturellen Wandel fördern.

Der Konzern legt sich mächtig ins Zeug. Oscar-Regisseur Giuseppe Tornatore hat den Film "Il labirinto" gedreht. Die sentimentale Ballade "The Loneliest" der international erfolgreichen römischen Rockband Måneskin untermalt die Handlung. Ausgestrahlt wurde er zum ersten Mal an Silvester, direkt vor der Neujahrsansprache des italienischen Staatspräsidenten, auf allen Kanälen. Auf Youtube wurde das Video in neun Tagen sechs Millionen Mal aufgerufen. Beim Kurznachrichtendienst X war die Kampagne "Die Parität kann nicht warten" schnell ein Trendthema.

Nun ist es aber so, dass auch das progressive Telekomunternehmen keine Zeit zu verlieren hat. Ein Vorbild für Gendergerechtigkeit ist es nicht. Im Verwaltungsrat sitzen neun Männer und sechs Frauen. Damit erfüllt der Konzern bereits heute gesetzliche Anforderungen, die 2026 in Kraft treten: 40 Prozent der Posten in dem Spitzengremium müssen dann mit Frauen besetzt werden. In die Riege der 14 Topmanager mit strategischer Verantwortung stieg nur eine Frau auf. Insgesamt sind bei TIM 76 Prozent der Führungskräfte Männer.

Währenddessen sagt eine Senatorin, Mutter zu werden, sei die "Mission" junger Frauen

Aber die große Aufmerksamkeit für den Werbefilm zeigt: Er hat den Nerv der Zeit getroffen. Im Herbst landete die Schauspielerin Paola Cortellesi mit ihrem Regiedebüt "Es gibt noch ein Morgen" einen sensationellen Erfolg. Der Film, der in Schwarz-Weiß den Kampf einer Italienerin im Jahr 1946 um ihre Rechte schildert, war 2023 der Kassenschlager in den italienischen Kinos. Am 25. November gingen Hunderttausende gegen Gewalt an Frauen auf die Straße. "Femizid" war in Italien das - furchtbare - Wort des Jahres, also die Tötung von Frauen oder Mädchen als extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt.

Und die Regierung? Sie arbeitet unter der Führung von Giorgia Meloni an der Zementierung der traditionellen Rollenverteilung. In Italien ist nur die Hälfte der Frauen erwerbstätig. In Süditalien hat sogar nur jede dritte Frau einen Job. Noch dazu geben 20 Prozent der Frauen bei der Geburt eines Kindes den Beruf auf. Meist, weil sie keinen Kita-Platz finden oder sich die Betreuung nicht leisten können.

Die EU hat Italien 4,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um 264000 Kita-Plätze zu schaffen. Rom strich 150 000 Plätze aus dem Programm. Die Opposition fordert die Einführung einer bezahlten Elternzeit von fünf Monaten. Väter können in Italien nur zehn Tage bei ihrem Kind bleiben, die Regierungskoalition schmetterte den Antrag ab. Just als TIM dazu aufrief, das Patriarchat zu stürzen, sagte die Senatorin Lavinia Mennuni von Melonis Rechtspartei Fratelli d'Italia im Fernsehen: "Wir müssen die 17- bis 20-Jährigen dazu bringen, Kinder in die Welt zu setzen, die Italiens Bürger von morgen sind". Mutter zu werden, müsse das höchste Bestreben junger Frauen sein. "Ihre Mission", sagte Mennuni.

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