Gerhard Weßling* hat es geschafft. Mit zitternden Händen greift der Juwelier aus Niederbayern nach den Plastikhüllen, die ihm acht Mitspieler auf der Bühne überreichen. Lila Geldscheine schimmern durch die Folie. "Alles echt", jubelt der Moderator, und die Menge im Saal tobt. "160 druckfrische 500-Euro-Scheine! Und das Schönste daran ist: Garantiert steuerfrei!"
Gerhard Weßling teilt sich die 80.000 Euro mit einer Partnerin. Sie sind nicht die Einzigen, die am letzten Adventssonntag, sechs Tage vor Weihnachten, noch einmal Gebündeltes nach Hause tragen. "Insgesamt 13 Schenkungen haben wir heute", brüllt der Moderator ins Mikro. "Acht am Vormittag, fünf am Nachmittag!" Wieder johlt die Menge. Nur die Türsteher am Eingang des Hotelsaales schauen aufmerksam in die Runde.
"Zukunftsprojekt Deutschland" nennt sich die illustre Veranstaltung, zu der seit Monaten jeden Sonntag über tausend Menschen nach München pilgern. Hinter dem Namen verbirgt sich die jüngste Variante der so genannten Schenkkreise.
Wie die wundersame Geldvermehrung funktioniert, zeigt der Moderator auf einer der vielen Papptafeln rechts und links neben der Bühne. Sie tragen Namen wie "Bayern", "Sydney" oder "Lago di Garda". 15 Teilnehmer bilden einen "Chart", der in Form einer vierstufigen Pyramide aufgebaut ist, die auf dem Kopf steht. "Hier ist die Pole-Position", sagt Moderator Sascha Peters*, und deutet auf einen Kreis ganz unten auf der Pappe.
"Das ist inzwischen ein Massenphänomen"
"Dahin wollen wir alle." Aber um auf diese günstige Position an der Spitze zu kommen, müssen die Teilnehmer an diesem imaginären Formel-1-Rennen alle vier Stufen durchlaufen. Der Inhaber der Pole-Position wird von acht Neueinsteigern auf der obersten Position beschenkt und scheidet aus dem Rennen aus. Die Pyramide teilt sich, beide Charts müssen nun wiederum acht neue Teilnehmer finden. Sonst trocknet der Geldpool aus - der Einsatz ist weg.
Rein rechnerisch gesehen ist die Chance, selbst beschenkt zu werden, nur eins zu acht. "87,5 Prozent gehen leer aus" hat die Mathematikerin Gisela Möllers ausgerechnet. Trotz dieser Erkenntnis verbreiten sich derartige Spielsysteme in Deutschland wie ein Virus. "Das ist inzwischen ein Massenphänomen und geht wellenartig durchs Land. Unerklärlicherweise fallen oft immer wieder dieselben Leute darauf herein", sagt Edda Castello, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.
Schätzungen sind schwierig, aber es dürften in den letzten drei Jahren wohl mehr als eine Million Teilnehmer an Schenkkreisen mitgespielt haben. Allein im Großraum Köln-Bonn sollen mindestens 10 000 Kreise aktiv gewesen sein. Das sind bei jeweils 15 Teilnehmern in einem "Chart" immerhin 150 000 "eingeschriebene" Mitglieder.
Schenkkreise leben vom ständigen Zustrom neuer Teilnehmer. Bereits in der achten Runde sind 1024 neue Mitspieler erforderlich, damit das Spiel nicht kollabiert; in der 18. Runde sind es über eine Million. Ein klassisches Schneeballsystem, bei der ein Großteil der Mitglieder leer ausgeht und einige wenige, die früh genug eingestiegen sind, den großen Reibach machen. Doch das verschweigt der Moderator geflissentlich und fragt stattdessen die strahlenden Gewinner: "Habt ihr schon alle Weihnachtsgeschenke gekauft?"