"Wer da mitkommt, kriegt die Chance seines Lebens":Märchenstunde im Hotel

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Schenkkreise sind eine besonders perfide Form der Abzocke, trotzdem nehmen Hunderttausende teil - die Drahtzieher inszenieren den Traum vom großen Geld.

Reinhold Rühl

Gerhard Weßling* hat es geschafft. Mit zitternden Händen greift der Juwelier aus Niederbayern nach den Plastikhüllen, die ihm acht Mitspieler auf der Bühne überreichen. Lila Geldscheine schimmern durch die Folie. "Alles echt", jubelt der Moderator, und die Menge im Saal tobt. "160 druckfrische 500-Euro-Scheine! Und das Schönste daran ist: Garantiert steuerfrei!"

Gerhard Weßling teilt sich die 80.000 Euro mit einer Partnerin. Sie sind nicht die Einzigen, die am letzten Adventssonntag, sechs Tage vor Weihnachten, noch einmal Gebündeltes nach Hause tragen. "Insgesamt 13 Schenkungen haben wir heute", brüllt der Moderator ins Mikro. "Acht am Vormittag, fünf am Nachmittag!" Wieder johlt die Menge. Nur die Türsteher am Eingang des Hotelsaales schauen aufmerksam in die Runde.

"Zukunftsprojekt Deutschland" nennt sich die illustre Veranstaltung, zu der seit Monaten jeden Sonntag über tausend Menschen nach München pilgern. Hinter dem Namen verbirgt sich die jüngste Variante der so genannten Schenkkreise.

Wie die wundersame Geldvermehrung funktioniert, zeigt der Moderator auf einer der vielen Papptafeln rechts und links neben der Bühne. Sie tragen Namen wie "Bayern", "Sydney" oder "Lago di Garda". 15 Teilnehmer bilden einen "Chart", der in Form einer vierstufigen Pyramide aufgebaut ist, die auf dem Kopf steht. "Hier ist die Pole-Position", sagt Moderator Sascha Peters*, und deutet auf einen Kreis ganz unten auf der Pappe.

"Das ist inzwischen ein Massenphänomen"

"Dahin wollen wir alle." Aber um auf diese günstige Position an der Spitze zu kommen, müssen die Teilnehmer an diesem imaginären Formel-1-Rennen alle vier Stufen durchlaufen. Der Inhaber der Pole-Position wird von acht Neueinsteigern auf der obersten Position beschenkt und scheidet aus dem Rennen aus. Die Pyramide teilt sich, beide Charts müssen nun wiederum acht neue Teilnehmer finden. Sonst trocknet der Geldpool aus - der Einsatz ist weg.

Rein rechnerisch gesehen ist die Chance, selbst beschenkt zu werden, nur eins zu acht. "87,5 Prozent gehen leer aus" hat die Mathematikerin Gisela Möllers ausgerechnet. Trotz dieser Erkenntnis verbreiten sich derartige Spielsysteme in Deutschland wie ein Virus. "Das ist inzwischen ein Massenphänomen und geht wellenartig durchs Land. Unerklärlicherweise fallen oft immer wieder dieselben Leute darauf herein", sagt Edda Castello, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.

Schätzungen sind schwierig, aber es dürften in den letzten drei Jahren wohl mehr als eine Million Teilnehmer an Schenkkreisen mitgespielt haben. Allein im Großraum Köln-Bonn sollen mindestens 10 000 Kreise aktiv gewesen sein. Das sind bei jeweils 15 Teilnehmern in einem "Chart" immerhin 150 000 "eingeschriebene" Mitglieder.

Schenkkreise leben vom ständigen Zustrom neuer Teilnehmer. Bereits in der achten Runde sind 1024 neue Mitspieler erforderlich, damit das Spiel nicht kollabiert; in der 18. Runde sind es über eine Million. Ein klassisches Schneeballsystem, bei der ein Großteil der Mitglieder leer ausgeht und einige wenige, die früh genug eingestiegen sind, den großen Reibach machen. Doch das verschweigt der Moderator geflissentlich und fragt stattdessen die strahlenden Gewinner: "Habt ihr schon alle Weihnachtsgeschenke gekauft?"

Reinhart Görtz kann sich dieses Jahr keine Geschenke leisten. Vor zwei Jahren hatte der 60-Jährige 5000 Euro in einen Kölner Schenkkreis investiert - geborgtes Geld von Freunden. Denn Görtz ist Hartz-IV-Empfänger.

Der ehemalige Freiberufler verschenkte die Scheine in der Hoffnung, später den achtfachen Einsatz zu kassieren. "Es war der Strohhalm, an den ich mich geklammert habe." Was Görtz damals nicht wusste: Im Raum Köln waren alle Schenkkreise längst zusammengebrochen. Nun ist das Geld weg und Görtz weiß inzwischen, dass bei Schneeballsystemen stets "den letzten die Hunde beißen".

"Die Gier der Leute ist grenzenlos"

Trotzdem muss der Kölner seine 5000 Euro voraussichtlich nicht abschreiben: Zu verdanken hat er dies dem Bundesgerichtshof. Der BGH verkündete am 11. November 2005: Wer an den "sittenwidrigen" Schenkkreisen teilgenommen habe, könne seinen Einsatz zurückfordern.

Denn dürften die Empfänger die Beträge behalten, würden die Initiatoren solcher Spiele geradezu zum Weitermachen eingeladen. Auf dieses Urteil hat der Kölner Rechtsanwalt Erik Millgramm lange gewartet, hatten doch die Gerichte bislang einen Rückforderungsanspruch stets abgelehnt. Millgramm, der bereits mehr als 300 Geschädigte aus Schenk- und Herzkreisen vertritt, kann sich jetzt kaum noch vor Anfragen retten.

Der Bedarf an Rechtsberatung scheint besonders im Rheinischen groß zu sein. Hier verbreitete sich das Virus schon vor drei Jahren. Es wütete in Künstlerkreisen, infizierte Villenbesitzer, steckte ganze Fußballmannschaften an. Es zog durch Hotels und Gastwirtschaften. Wochenlang waren im Großraum Köln-Bonn kaum noch freie Tagungsräume zu mieten.

Das Virus hatte viele Namen: "Herzkreise", "Tafelrunde", "Spiel des Lebens" oder "Sterntaler". Besonders oft versteckte es sich hinter esoterischem Vokabular, das zum Schenken motivieren sollte: Wer bereit sei, 5000 Euro loszulassen, hieß es, werde "Freiraum und Überfluss spüren"; der spätere Empfang von 40 000 Euro werde als "Segnung" empfunden.

Auch von "gereinigter Geldenergie" und "morphogenetischen Ge-dankenfeldern" war die Rede. Frauen sollten lernen, "alles, was es zu teilen gibt, miteinander zu teilen", erinnert sich eine Kölnerin, die als Zaungast einer Herzkreis-Runde beiwohnte.

Esoterische Versatzstücke waren bei den Schenkkreistreffen im beschaulichen Waldbröl eher seltener zu hören. Man kennt sich im 18 000-Seelen-Ort, eine knappe Autostunde entfernt von Köln. Schnell waren die Treffpunkte in aller Munde. Im "Dorfhaus Grötzenbach" liefen "1000er Charts", in der romantischen "Wintersbacher Mühle" stiegen die "5000er". Die Ziffern stehen für die Einsätze in Euro.

Mit staunenden Augen sahen plötzlich kreuzbrave Waldbröler, wie im Wirtshaussaal kleine Vermögen ihre Besitzer wechselten. Und wenn dann noch der Vereinskamerad beschenkt wurde, gab es für manchen kein Halten mehr. "Die Gier der Leute ist grenzenlos. Dann setzt schnell der gesunde Menschenverstand aus", sagt Stefan Wegener.

Der Gewerbehauptkommissar beim Berliner Landeskriminalamt ist Spezialist für Schneeballsysteme, Pyramidenspiele und Kettenbriefe. Der Kommissar weiß, dass die Veranstalter solche gruppendynamischen Prozesse "gezielt inszenieren". Bei Schenkkreisen wirke außerdem die "Beziehungsfalle". Etwa wenn, wie in Waldbröl, auch erfolgreiche Geschäftsleute oder örtliche Honoratioren in den "Charts" auftauchen.

Waldbröl war schnell ausgesaugt. Vergebens suchte auch Christian Eilert*, Auszubildender in einer Heizungsbaufirma, weitere Interessenten. Dummerweise hatte der 19-Jährige 1000 Euro an seinen Chef verschenkt. "Was sollte ich machen, der hat mich wochenlang belabert", sagt er.

Heute, zwei Jahre nach dem Niedergang der Schenkkreise, sind in Waldbröl viele Familien verfeindet, Nachbarn sprechen nicht mehr miteinander, manche Arbeitskollegen gehen sich aus dem Weg. "Widerlich, welche Charaktereigenschaften plötzlich hier und da zu Tage treten", wunderte sich ein Leserbriefschreiber im Lokalblatt. "Die einen rennen rum wie losgelassene Straßenköter, andere geifern mit Haifischlächeln nach Neueinsteigern, andere schleimen, dass einem schlecht wird. Man sollte sich gut merken, wie man von wem angesprochen wurde."

Wie sich neue Interessenten für Schenkkreise ködern lassen, können Aktivisten des "Sonntags-Forums" derzeit auf Seminaren in München lernen. "Nur nicht konkret werden", schärft Barbara Hochleitner* den Neulingen ein. "Am seriösesten kommt rüber, wenn man nichts rauslässt." Wichtig sei nur die persönliche Einladung zu den Chart-Treffen, die jeden Sonntag in einem Luxushotel stattfinden. "Wer da mitkommt, kriegt die Chance seines Lebens."

Und damit die auch keiner verpasst, ist in den Schulungsunterlagen gleich der Vordruck für eine Namensliste enthalten - mit Spalten für "angerufen am" und "Wiedervorlage". Zweimalige Teilnahme an den Schulungsabenden ist Pflicht für Neueinsteiger, ebenso die Unterzeichnung eines so genannten "Dreizeilers", durch den sich der Interessent zur aktiven Mitarbeit verpflichtet.

Erst dann darf der Neuling seinerseits Gäste einladen für den 45 Minuten langen Informationsvortrag unter dem Motto "Lass Dich überraschen". Besonders werbewirksam ist dabei das "5-Gänge-Lunchbuffet", das jeden Sonntag für bis zu 600 Besucher in den Hotels angerichtet wird.

Kostenfrei ist das aber nur für Gäste und die niederen Chart-Positionen. Die Zeche zahlen alle Inhaber der Pole-Position. 400 Euro kostet das Essengeld für einen Platz mit 10 000 Euro, bestimmen die Statuten. Manche verharren wochenlang auf diesem Platz. Zahlen müssen sie das Buffet trotzdem. Kassiert wird auch für ungebührliches Verhalten. Wer während des Vortrags den Saal verlässt, muss 50 Euro in die Gemeinschaftskasse zahlen. Denn auf andere Gäste könnte das Verlassen des Saales "negative Einflüsse" ausüben.

Solche Regeln kommen Kriminalkommissar Wegener ziemlich bekannt vor. "Das riecht geradezu nach einer organisierten Struktur." Solche Jubelfeiern mit Musik, Schulungsleitern, Türstehern und knallharten Statuten zu veranstalten, ist eigentlich strafbar. Nach Paragraf 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) kann "progressive Kundenwerbung" einen Veranstalter bis zu zwei Jahre hinter Gitter bringen. Auch Betrug kann mit im Spiel sein, etwa wenn Beschenkungen durch leere Briefumschläge vorgetäuscht werden oder Insider an den Chart-Positionen manipulieren. Aber bislang ist offenbar kein Polizist bei den Münchner Schenkkreisen aufgetaucht.

Sascha Peters*, der in München das "Zukunftsprojekt Deutschland" moderiert, weist solche Verdächtigungen ohnehin von sich. "Bei uns kann jeder sehen, wer an welcher Position steht, hier wird nicht getrickst." Es gebe eine wöchentliche "Chartführer-Besprechung", und wer gegen die "Statuten" verstoße, werde von der Veranstaltung rigoros ausgeschlossen. Besonders erwähnenswert findet der Motivationsguru, dass "unser System von Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern durchgecheckt wurde". Tatsächlich findet sich in den Schulungsunterlagen das Kurzexposé einer Anwaltskanzlei im schwäbischen Albstadt. Auf vier Seiten hat der Jurist hier "die Problematik der Schenkkreise in strafrechtlicher Hinsicht untersucht" - selbstverständlich ganz im Sinne seiner Auftraggeber.

Deshalb sieht sich auch Peters nicht als Veranstalter. Er moderiere lediglich, und zwar ohne Bezahlung. Allerdings erstaunt es dann doch, wenn hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird, dass "der Sascha schon ziemlich oft beschenkt wurde". Einmal sei er sogar an einem Tag bis zur Pole-Position durchmarschiert. Solche Erfolgsstorys sind aus den Regionen, die das Schenkkreis-Virus bereits heimsuchte, immer wieder zu hören. Rechtsanwalt Millgramm weiß von Moderatoren, die binnen weniger Wo-chen sechsstellig abkassierten. Sie seinen die eigentlichen Drahtzieher der sittenwidrigen Systeme. "Diese Leute wissen, wo es sich lohnt einzusteigen und wo bereits die Luft raus ist." Ist eine Gegend erst einmal abgegrast, eröffnen sie einfach eine neue Region. Das Potenzial für Schenkkreise ist überall vorhanden. Besonders in Zeiten von Hartz-IV.

Wahrscheinlich deshalb schreit Peters bei der Schenk-Party in dem Münchner Hotel ins Mikro: "Wir müssen uns selbst helfen. Politiker lassen uns doch im Stich."

* Name von der Redaktion geändert

© SZ vom 24.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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