Weltwirtschaftsforum in Davos:Politiker beim Speed-Dating

  • In diesem Jahr sind mehr deutsche Kabinettsmitglieder zum Weltwirtschaftsforum in Davos gereist als jemals zuvor.
  • Egal wohin man in Davos kommt, fast überall trifft man einen deutschen Minister: Was machen die dort eigentlich alle?

Von Ulrich Schäfer, Davos

Vielleicht, sagt Hermann Gröhe, liege es ja an Philipp Rösler. Vielleicht hat er, der ehemalige FDP-Vorsitzende, der ehemalige Vizekanzler, der ehemalige Wirtschaftsminister, ja dafür gesorgt, dass in diesem Jahr mehr deutsche Kabinettsmitglieder als wohl jemals zuvor zum Weltwirtschaftsforum nach Davos gereist sind: Merkel und Gabriel, von der Leyen und de Maizière, Dobrindt und Schäuble.

Und auch Gröhe. Der Bundesgesundheitsminister hat sich dafür dreieinhalb Tage in seinem Kalender freigeschlagen. Am Mittwoch ist er angereist ("natürlich per Linienflug!"), an diesem Samstag kehrt er heim. Der CDU-Politiker ist das erste Mal in Davos. Und er will vor allem lernen: Er will begreifen, wie dieses Treffen der Mächtigen funktioniert. Er will besser verstehen, welche Themen die globale Wirtschaft bewegen. Und er will reden: mit Kollegen aus anderen Ländern, mit Unternehmern, mit dem Chef der Weltbank, mit der Chefin der Weltgesundheitsorganisation.

Was hat Philipp Rösler mit all dem zu tun?

Manchmal sitzt er mit seinen Gesprächspartnern eine Stunde zusammen , manchmal auch nur 20 Minuten, manchmal ist Davos auch Speed-Dating in Extremform. Als Gröhe zum Beispiel am Freitagvormittag den Wisshorn-Raum im Kongresszentrum verlässt, nach einem Panel mit den Chefs von Nestlé und Novartis, in dem es um das Zusammenspiel von Gesundheit und gesunder Ernährung ging, erlebt er binnen 90 Sekunden einen dieser Momente, die so typisch sind für Davos: Erst rennt er in die Arme von Peter Terium, dem Chef des Energiekonzerns RWE, dann begrüßt der deutsche Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon, einst Finanzminister in Bayern, den "lieben Hermann" und überredet ihn zu einem Selfie-Foto. Einen Augenblick später rauscht die niederländische Königin Maxima vorbei und begrüßt Gröhe mit strahlendem Lachen; die beiden haben sich am Abend zuvor bei einem Essen des niederländische Philips-Konzerns kennengelernt. Schließlich steuert auch die Verlegerin Friede Springer auf Gröhe zu.

Und was hat Philipp Rösler mit all dem zu tun? Im vorigen Sommer haben er und Klaus Schwab, der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Gröhe in Berlin besucht und dafür geworben, dass er nach Davos kommt. Rösler hatte ja, man hat es fast vergessen, früher auch mal das Amt des Bundesgesundheitsministers inne. Seit fast einem Jahr arbeitet er als Vorstand für das Weltwirtschaftsforum, für jene Organisation mit inzwischen 600 Mitarbeitern, die den Gipfel in Davos organisiert. Schwab, der 76-jährige Professor, der aus Deutschland stammt und in der Schweiz gelehrt hat, hat ihn nach Genf geholt, wo das Weltwirtschaftsforum seinen Sitz hat. Manche sagen, Rösler könne vielleicht irgendwann mal Schwabs Nachfolge als Vorstandschef des Weltwirtschaftsforums antreten.

Auch dank Rösler bietet die Bundesregierung in diesem Jahr ein ganz anderes Bild als vor einem Jahr. Damals vertrat allein Finanzminister Wolfgang Schäuble die größte europäische Industrienation. Als peinlich hatten dies deutsche Manager empfunden, die Jahr für Jahr nach Davos reisen. Ausgerechnet die neue deutsche Regierung fehlte - obwohl jeder Kongressteilnehmer gern gewusst hätte, was Europas wirtschaftliche Führungsmacht so plant.

"Happy Birthday!" für de Maizière

The Davos World Economic Forum 2015

Eine ganze Stunde? 20 Minuten? Oder echtes Speed-Dating? In Davos sind alle immer in Bewegung, denn der nächste Gesprächspartner wartet schon.

(Foto: Jason Alden/Bloomberg)

Diesmal ist das anders: Die Präsenz von so vielen Ministern zeige, sagt Angela Merkel bei ihrer Rede, "dass Deutschland sich den internationalen Diskussionen stellt." Zum Beispiel jener Diskussion, die vor allem amerikanische Ökonomen und Banker seit Jahren mit Inbrunst in Davos führen. Sie zweifeln an Europa, sie halten den Euro für eine Fehlgeburt, sie haben einen sehr negativen Blick auf die alte Welt und warnen: Der Sparkurs, den vor allem die Deutschen den anderen EU-Staaten aufgezwungen haben, verschärfe die Krise.

Die Amerikaner dominieren durch ihre schiere Übermacht seit Jahren die Debatten in Davos; sie stellen die mit Abstand meisten Teilnehmer. Diesmal halten Merkel & Co. entschlossen dagegen. Und so trifft man in diesen Tagen fast überall, wohin man in Davos kommt, einen deutschen Minister: im Kongresszentrum, dem gewaltigen Betonklotz im Zentrum des Orts, wo die meisten öffentlichen Podien stattfinden; in den großen Hotels, wo in den Hinterzimmern jeden Tag Hunderte von "Bilaterals" abgehalten werden, kleine Runden, bei denen Politiker mit ihresgleichen oder mit Wirtschaftsbossen reden. Und man sieht sie auch bei den abendlichen Empfängen, die ein wesentlicher Teil des Kongresses sind, Orte des Networkings.

Deutsche Unternehmer freuen sich über Präsenz ihrer Regierung

So spricht zum Beispiel Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr, Bau und Digitales, am Donnerstag zunächst mit dem Regierungschef der kanadischen Provinz Quebec und lädt ihn nach Deutschland ein, ehe er den Abend auf der Party von Google im Hotel Intercontinental verbringt. Bis weit nach Mitternacht diskutiert Dobrindt dort bei Wein und Häppchen mit führenden Managern des Internetkonzerns. Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière und Ursula von der Leyen werden am Abend zuvor im Hotel Belvedere gesichtet, beim Stelldichein für die deutsche Wirtschaft, das der Verleger Hubert Burda alljährlich organisiert. Für de Maizière stimmt die Band ein "Happy Birthday!" an, 600 Gäste singen mit. Am Abend darauf sitzt de Maizière dann auf einem Podium in der Davoser Berufsschule, in einer Veranstaltung, die zum Open Forum zählt, jenem Teil des Davoser Gipfels, der offen ist für normale Bürger und Kritiker der Veranstaltung. Der Minister diskutiert mit Antonio Guterres, dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, und der Schweizer Präsidentin Simonetta Sommaruga über Asyl und offene Grenzen in Europa.

Die deutschen Unternehmer sind froh über die große Präsenz ihrer Regierung. Und sie sparen nicht mit Lob. Sigmar Gabriel zum Beispiel, so attestieren es mehrere Top-Manager, habe sehr beeindruckt. Ausgerechnet ein Sozialdemokrat. Eineinhalb Stunden hat Gabriel sich am Donnerstag für ein Frühstück mit den deutschen Bossen Zeit genommen. Er sei tiefer in den Themen drin und zupackender als seine Vorgänger, sagen einige, die mit dabei waren.

Und was denkt Hermann Gröhe über die ewige Terminhatz? Er ist froh, hier ein paar Kollegen aus der EU kennenzulernen, die er seit seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr noch nicht gesehen hat. Etwa die niederländische Gesundheitsministerin. Wo immer sich Gelegenheit bietet, wirbt Gröhe zudem für die deutsche Gesundheitswirtschaft: In Deutschland, eigentlich das Land der Autobauer, sei diese mit fünf Millionen Beschäftigten enorm wichtig. Und die digitale Revolution biete hier noch ungeheure Entwicklungschancen. Eine Viertelstunde hat Gröhe Zeit für einen Kaffee. Dann muss er weiter. Das nächste "Bilateral" wartet. Und später dann eine Runde mit allen Gesundheitsministern, die nach Davos gereist ist.

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