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Weltwirtschaftsforum Davos:Sinnsuche im Schweizer Schnee

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Früher waren Krisen lustig nach Tequila benannt und beschränkten sich auf Entwicklungsländer. Heute kommt auch der reiche Westen dem Schuldenproblem nicht bei. Deshalb sitzen mittlerweile auch Kapitalismuskritiker auf den Podien des Weltwirtschaftsforums im Schweizer Davos - zumindest die hochmögenden Professoren unter ihnen.

Karl-Heinz Büschemann

Jedes Jahr Ende Januar gilt für Davos der Ausnahmezustand. Dann fallen 2500 Manager, Politiker und Wissenschaftler in dem kleinen Schweizer Ort ein, die ein Mehrfaches an Betreuern und Medienleuten mitbringen. Kurz gesagt: Der Wintersport- und Ferienort ist in dieser kritischen Woche voller Menschen, die sehr wichtig sind oder mindestens so tun, als seien sie bedeutend. Zudem sorgen gewaltige Werbeplakate von amerikanischen Fernsehanstalten für das Flair von weiter Welt, und die Schlangen der dunklen Limousinen, die sich durch die schmalen Straßen zwängen, demonstrieren, dass hier das große Geld der Konzerne Vorfahrt hat.

Davos Ende Januar ist traditionell eine kleine amerikanische Insel mitten in Europa mit außerordentlicher Elitedichte. Die meisten Teilnehmer sind amerikanische Manager oder Ökonomen, der Rest der Angereisten fällt kaum auf, indem er sich dem angelsächsischen Idiom anpasst. Allerdings ist in diesem Jahr einiges anders als in früheren Jahren.

Bislang galt Davos als der Ort der Verkündigung für die Heilslehren des Kapitalismus. Die Apologeten der freien Märkte okkupierten die Podien und ließen nicht den leisesten Zweifel an Globalisierung und entfesselten Märkten zu. Zeitweilig mussten sich die Marktprediger in Davos sogar hinter hohen Stacheldrahtzäunen vor Kritikern der Globalisierung verschanzen. Doch jetzt ist eine ganz neue Nachdenklichkeit eingekehrt. Die Kritiker des Kapitalismus sitzen jetzt auf den Podien. Es sind leider noch immer nicht die Vertreter der alternativen Organisationen, vielmehr sind es hochmögende Professoren der Elitehochschulen, die ihre Zweifel am System anmelden. Politiker sind schon lange über die Fehlentwicklungen der Märkte ernüchtert. Selbst der Gründer des Forums, der deutsche Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab, der das Forum 1971 startete, zeigt sich heute immer weniger begeistert von der herrschenden Weltwirtschaftsordnung.

Der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form passt nicht mehr zur Welt um uns herum", sagt Schwab ernüchtert. "Wir haben es versäumt, unsere Lektion aus der Finanzkrise von 2009 zu lernen." Eine weltweite Veränderung soll mit der Einführung eines weltweiten "Sinns für soziale Verantwortung" beginnen. Starke Worte für einen langjährigen Frontkämpfer der angelsächsischen Denkweise, die das heutige Wirtschaftsleben bestimmt. Schwab hatte vor 41 Jahren sein erstes Forum einberufen, um europäische Manager mit amerikanischem Wirtschaftsdenken bekanntzumachen. Angesichts der dramatischen Schulden- und Finanzkrise wählte er für das diesjährige Treffen das Motto: "Die große Veränderung. Neue Modelle schaffen."

Davos musste reagieren. Das Treffen steht ohnehin im Generalverdacht, schon immer nichts anderes zu sein als eine Show von Konzernen und Managern, die außer großen Worten keine Folgen hat für die reale Welt. Schon die Entscheidung, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel die Eröffnungsrede an diesem Mittwoch halten zu lassen, zeigt die Davoser Ernüchterung. Mit Merkel tritt die europäische Schlüsselfigur ans Mikrofon, ohne die es keine Lösung der Schuldenkrise gibt, die ausgabefreudige Regierungen ihren Ländern brachten. Die Kanzlerin wird wohl mal wieder ein Wachstum ohne Pump empfehlen und von Nachhaltigkeit reden. Wie sie diese Vorgabe selbst einhalten wird, dürfte auch in Davos offenbleiben. Ein paar Tage vor ihrer Rede sagte sie noch, es gehe darum, "möglichst viel dafür tun, dass Wachstum vorangeht".

Vor allem aber wird in Davos jene Krisendiplomatie weitergehen, die Europas Regierungen im vergangenen Jahr in Atem hielt. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble wird ebenso in die Schweiz kommen wie sein amerikanischer Kollege Timothy Geithner. Die IWF-Chefin Christine Lagarde wird das Gespräch mit den Euro-Rettern suchen wie der Chef der Weltbank Robert Zoellick. Und der Italiener Mario Draghi wird sein Davoser Debüt als EZB-Chef und Euro-Retter geben.

Es wird viel Streit geben über den richtigen Weg aus der Eurokrise. Kurz vor dem Treffen im Schnee warnten die Leiter von elf großen internationalen Wirtschaftsorganisationen die Staatschefs aller Länder vor zu strengen Sparmaßnahmen. Auf lange Sicht könnten finanzielle Kürzungen das Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze gefährden, heißt es in einer Erklärung. Unterzeichner sind unter anderem die Chefs der Welthandelsorganisation und des Internationalen Währungsfonds. Die Regierungen müssten die Jugendarbeitslosigkeit senken, entlassene Arbeiter in einem sozialen Netz auffangen und sicherstellen, dass Banken weiter Kredite an Unternehmen vergeben.

Viele Fragen sind für Politiker wie Unternehmensführer in den Industrieländern neu. Früher gab es Schuldenkrisen nur in Entwicklungsländern. Die Banken in den Metropolen waren gelegentlich bereit, einem oder mehreren Schwellenländern einen Schuldenerlass zu gewähren, dann bekamen diese lokalen Krisen lustige Namen ("Tequila-Krise"), und die Entscheidungsträger gingen zur Tagesordnung über. Heute dagegen sind EU-Staaten pleite, und Europas Regierungen wissen nicht, wie sie die Schulden reduzieren können, ohne eine gefährliche Rezession heraufzubeschwören.

Noch 2008 galt die Finanzkrise als ein Problem der verrückt gewordenen Banken, die in Amerika mit Billigkrediten einen Immobilienboom und eine beispiellose Spekulationsblase erzeugten. Damals konnten die Politiker noch hämisch mit dem Finger auf die gewissenlosen Banker zeigen und ihnen die Schuld zuschieben. Doch drei Jahre später ist die Wirtschaftskrise zu einem gefährlichen Problem für die Politiker geworden. Die Regierungen kommen mit ihren Lösungen für das Schuldenproblem nicht mehr nach.

Damit stecken die Staaten selbst in der Krise. Für die westlichen Regierungen werden die fernöstlichen Schwellenmächte und Regierungen noch schneller zu potenten Konkurrenten. Die Schuldenkrise beschleunigt den Verlust an Autorität der westlichen Regierungen. Selbst die USA haben keine erstklassige Schuldner-Reputation mehr. Und dann gehen auch noch weltweit Menschen auf die Straße, um für ihre Rechte als Bürger zu kämpfen und ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen. Mitten im entwickelten Europa, etwa in Spanien, gehen die jungen Menschen auf die Straße, um für Arbeitsplätze zu demonstrieren. In Irland ist die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen auf 27 Prozent gestiegen. Darauf müssen die Politiker Antworten finden.

Eine Bewegung wie Occupy Wall Street erringt weltweite Aufmerksamkeit, weil die Menschen es nicht mehr hinnehmen wollen, dass die entfesselten Finanzmärkte einige Wenige reich machen, die Mehrheit aber ihres Wohlstands oder ihrer Zukunft berauben. Diese Strömung ist noch keine globale Massenbewegung. Sie trägt aber heute schon dazu bei, dass die Glaubwürdigkeit von Regierungen oder Politikern so stark angezweifelt wird wie selten zuvor. Auch in Davos sind die Occupy-Bewegten diesmal da, sie bauen bereits ein Iglu-Camp.

Davos ist ein Platz der Diskussion, des Redens. Hier werden keine Entscheidungen getroffen, hier wird die Welt konkret nicht besser gemacht. Aber Davos ist ein interessanter Ort der Begegnung. In diesem Ort treffen sich kluge, vielleicht sogar die klügsten Köpfe, die mit den Mächtigen in Konzernen oder Regierungen debattieren. Darin liegt die Chance, dass von diesem kleinen Ort manch großer Gedanke in die Welt geht, der in einem Land oder einem Unternehmen zu Veränderungen führen könnte. Davos hat 40 Jahre lang behauptet, die Welt verbessern zu wollen. Es ist nie gelungen. Der Globus ist stets der alte Problemplanet geblieben. Aber wenn es eine Chance zum Umdenken gibt, dann gibt es sie jetzt angesichts der großen Finanzunsicherheit.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2012
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