Weltwirtschaft:Schatten der Deflation

Das schlimme Wort Deflation macht bereits die Runde, darum ist Wachsamkeit gefordert - denn Deflation ist gefährlicher als Inflation.

Nikolaus Piper

Seit dem 15. September 2008 wird die neuere Wirtschaftsgeschichte in zwei Phasen eingeteilt: vor Lehman und danach. Vor dem Zusammenbruch der Investmentbank war die Finanzkrise zwar schlimm, aber immer beherrschbar. Die Banken wurden von dramatischen Verlusten heimgesucht, ihre Aktien verloren an Wert, die Folgen für die Realwirtschaft schienen aber begrenzt zu sein. Eine Rezession in Europa vorher galt als unwahrscheinlich. Einige Experten dachten, dass sich der Boom der Rohstoff-Preise durch höhere Inflationsraten in der Gesamtwirtschaft festsetzen könnte. Die Europäische Zentralbank erhöhte daher mitten in der Krise die Zinsen.

Weltwirtschaft: Öl, der Schmierstoff der Wirtschaft, kostet derzeit rund 50 Dollar je Barrel.

Öl, der Schmierstoff der Wirtschaft, kostet derzeit rund 50 Dollar je Barrel.

(Foto: Foto: dpa)

Nach dem Untergang von Lehman sieht die Welt anders aus: Eine globale Rezession hat begonnen, die Kernschmelze im Finanzsystem droht weiter und von Teuerung ist schon lange nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Die Notierungen für Rohstoffe sind im freien Fall, ein Fass Öl kostet jetzt weniger als 50 Dollar. Einige Auguren hatten ihn im Sommer schon bei 170 Dollar gesehen. Im Oktober nun sind die Verbraucherpreise in den USA saisonbereinigt sogar um ein Prozent gesunken, das ist der stärkste Monatsrückgang seit dem Zweiten Weltkrieg.

Plötzlich macht ein schlimmes Wort die Runde: Deflation. Die Gefahr von sinkenden Preisen ist gegenwärtig zwar noch klein. Die wesentliche Ursache für die Oktober-Zahlen in Amerika ist der Rückgang der Energiepreise und der ist, für sich genommen, eine große Erleichterung für die Verbraucher und ein Pluspunkt für die Konjunktur.

Werden die Preise für Energie und Rohstoffe herausgerechnet, ist die Inflationsrate immer noch positiv. Aber das Risiko eines allgemeinen Preisrückgangs ist nicht zu unterschätzen. So wie sich zuvor die Preiserhöhungen für Öl und andere Rohstoffe über die gesamte Volkswirtschaft ausgebreitet haben, könnte dies jetzt mit den Preissenkungen geschehen.

Wachsamkeit tut deshalb not, denn Deflation ist gefährlicher als Inflation. Volkswirtschaften können sich leichter an - moderat - steigende als an sinkende Preise anpassen. Würde zum Beispiel die Arbeitsproduktivität um zwei Prozent steigen, das Preisniveau aber um fünf Prozent sinken, dann müssten die Löhne um drei Prozent sinken, um die Wettbewerbsposition der Unternehmen unverändert zu lassen. Die Gewerkschaften würden sich dagegen aus verständlichen Gründen, wehren - und genau dadurch alles verschlimmern. Deflation gibt Verbrauchern den Anreiz, ihr Geld zu horten, weil ihre Guthaben ja Monat für Monat mehr wert werden. Deflation ist schließlich schlecht für jeden, der einen Kredit aufgenommen hat, denn auch Schulden werden real ständig mehr wert. All dies lähmt eine Wirtschaft.

In der Weltwirtschaftskrise nahm die Deflation katastrophale Formen an, besonders in Deutschland. Aber auch in milderer Form kann sie nachhaltig schaden. Japan plagte sich in den neunziger Jahren nach einer Banken- und Kreditkrise etliche Jahre mit sinkenden Preisen und wirtschaftlicher Stagnation. In der Rückschau sprechen Ökonomen von Japans "verlorenem Jahrzehnt".

Auch zu Beginn dieses Jahrzehnts sah es eine Zeitlang so aus, als könne der Wettbewerbsdruck aus China in einigen Industrieländern zu Deflation führen. Damals wurde die Sorge zerstreut, was auch zum Teil an der sehr aggressiven Geldpolitik des damaligen US-Notenbank-Präsidenten Alan Greenspan lag. Doch jetzt, in der Weltrezession, ist die Lage anders und gefährlicher.

Das Fatale an Deflation ist, dass man sie so schwer bekämpfen kann, wenn sie einmal da ist. Niedriger als auf null können Zinsen nicht sinken und der Notenbankzins in Amerika liegt heute schon bei nur einem Prozent. Die amerikanische Federal Reserve dürfte ihn Anfang Dezember sogar auf 0,5 Prozent senken.

In Europa gibt es noch Zinssenkungsspielraum, die Europäische Zentralbank sollte ihn schnell nutzen. Entscheidend wird aber sein, dass die Regierungen in Europa, Amerika und nicht zu vergessen China nicht zögern. Die neue Situation spricht für entschlossene Konjunkturprogramme auf der ganzen Welt.

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