Weltweiter Verkaufserfolg:Wundertrank aus Polynesien

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Noni-Saft schmeckt faulig, ist teuer und seine Heilkraft nicht belegt. Trotzdem macht ein US-Konzern damit gute Geschäfte - auch dank seltsamer Verkaufsmethoden.

Reinhold Rühl

Jürgen Richter wusste, wie es um ihn stand. In seinem Körper wucherte ein Prostata-Karzinom, die Ärzte fanden bereits Metastasen an der Wirbelsäule. In dieser Situation suchte der Kranke Hilfe bei einer Heilpraktikerin, und die empfahl Noni-Saft. Nach Bezugsquellen für den exotischen Trunk aus Polynesien musste Richter in der kleinen Stadt im Sauerland nicht lange suchen: Der Ehemann der Heilpraktikerin handelte mit Tahitian Noni, dem eine wundersame Wirkung nachgesagt wird.

Mit diesem Bild wird "Tahitian Noni" weltweit beworben (Foto: Foto: Tahitian Noni)

Der Patient trank davon - wie von der Heilpraktikerin verordnet - fast einen Liter pro Tag. Drei Monate lang. Geholfen hat ihm das nicht. Jürgen Richter starb mit 59. Seine Tochter Natalie erinnert sich ungern an die letzten Tage ihres Vaters: "Noni-Saft war der Strohhalm, an den er sich klammerte." Jede Woche schluckte der Todkranke sechs Flaschen Saft. Der Preis: 56 Euro pro Literflasche.

Noni-Saft gilt als Verkaufsschlager in der Naturheilbranche, er wird bereits in vielen Bioläden angeboten - zu deutlich niedrigeren Preisen als das angebliche Original. Und das ist nach Aussage des Marktführers Tahitian Noni International (TNI) das "Mehrfruchtsaftgetränk" mit dem Muschelmann auf dem Etikett. Tahitian Noni wird in 70 Ländern verkauft.

Mehr als 100 Millionen Flaschen will die Firma in den vergangenen zehn Jahren abgesetzt haben. Allerdings nicht über den klassischen Handel: 1,5 Millionen Vertriebspartner bringen die teuren Flaschen direkt in die Wohnzimmer der Kunden. Auch in Deutschland sind Tausende Noni-Verkäufer unterwegs.

Ziel: Black Pearl-Status

Erik Niklas* ist einer der Erfolgreichsten. Der 48-jährige Kölner hat in den achtziger Jahren ein Investmentgeschäft aufgebaut. Jetzt macht er in Wellness. In der Mitarbeiterzeitschrift Tahiti Tradewinds wird Niklas als Top-Führungskraft vorgestellt.

Seit September 2006 trägt er den Titel "Diamond Pearl Elite". Mittel- bis langfristig will Niklas sogar "Black Pearl" werden. Dann verdient er richtig viel Geld. Noni-Manager mit diesem Bonus, so munkeln Insider, kassieren bis zu 100.000 Euro pro Quartal.

Solche Hierarchiestufen sind typisch in Unternehmen wie Tahitian Noni. Der Konzern betreibt sogenanntes Multi-Level-Marketing (MLM). Kritiker vergleichen das mit einem Schneeballsystem: Wer früh genug einsteigt und möglichst viele Vertriebspartner anwirbt, kann eine Lawine in Gang setzen.

In der Branche heißt das "Downline". Niklas ist nach einem komplizierten Bonussystem an den Umsätzen seiner untergeordneten Vertriebspartner beteiligt. Jeder Neueinsteiger vergrößert den Schneeball und damit den Umsatz des gesamten Unternehmens.

Weltweit gebe es "nur fünf Unternehmen in der neueren Geschichte, die mit dem Hyperwachstum von Tahitian Noni mithalten können", jubelt TNI. Selbst Unternehmen wie Nike, IBM, Pepsi oder Coca-Cola hätten in den ersten Jahren "nicht ansatzweise unsere Umsätze" erzielen können.

Den beziffert die Zentrale in Provo im US-Bundesstaat Utah derzeit mit 500 Millionen Dollar. Niklas nimmt das Wort Schneeballsystem natürlich nicht in den Mund. Für ihn ist sein Job Network-Marketing.

Ein Geschäft, das auf Empfehlungen aufgebaut ist. Und weil die nicht von selbst kommen, gehen manche Noni-Networker mit vollmundigen Sprüchen auf Mitarbeiterfang. "Wir machen Millionäre!" locken etwa Kleinanzeigen im Stellenteil.

Diamond-Pearl-Träger Niklas ist ein gefragter Referent bei Tahitian Noni. Er kann Menschen mit flotten Sprüchen begeistern. "Auf dem Weg zum Gipfel gibt es keinen Lift, du musst immer noch die Treppe nehmen", sagt er.

Etwa 20 Interessenten sind zu seiner Geschäftspräsentation in die Europazentrale von TNI nach München gekommen. Hausfrauen, Arbeitslose, einige Jungdynamiker mit Designertasche. "Eigentlich viel zu wenig", sagt Niklas.

Denn hier in bester City-Lage, nur wenige Schritte entfernt vom Stachus, hat die Firma repräsentative Geschäftsräume angemietet. Im Erdgeschoss lockt ein polynesisches Cafe, in der schicken Boutique nebenan gibt es Noni-Produkte und oben im Tagungsraum ein wenig Südseeflair - auf der Leinwand.

Jahrhunderte altes Wellness-Geheimnis

Mit stimmungsvollen Bildern erzählt ein Werbestreifen die wundersame Geschichte von der Entdeckung der Morinda citrifolia, einer hühnereigroßen, grünen Frucht des indischen Maulbeerbaumes. Die Noni berge ein Jahrhunderte altes "Wellness-Geheimnis des polynesischen Volkes", sagt der Sprecher.

Auf dieses Geheimnis musste die Welt lange warten: Anfang der neunziger Jahre reiste der Amerikaner John Wadsworth in die Südsee. In seinem Gepäck ein paar vergilbte Zeitungsausschnitte. Die berichten von einem Biochemiker, der Jahre zuvor auf Hawaii im Dienste des amerikanischen Fruchtmultis Dole Pineapples neben Ananas auch die Noni-Frucht erforschte.

Leider war diese Frucht kaum genießbar, für Dole daher uninteressant. Doch der Forscher entdeckte einen Wirkstoff namens "Xeronin". Der Stoff ist in der biochemischen und medizinischen Literatur bis heute noch völlig unbekannt.

Das aber verschweigt der Werbefilm, und es hat auch den geschäftstüchtigen Wadsworth, heute Präsident der TNI-Muttergesellschaft Morinda und Missionar der Mormonen-Kirche, nicht daran gehindert, die Menschheit mit dem pasteurisierten Fruchtsaft zu beglücken.

Eine Kostprobe des rotbraunen Saftes gibt es für die Teilnehmer der Werbeveranstaltung gratis. Der erste Schluck ist allerdings eine Herausforderung für den Gaumen. "Sehr gewöhnungsbedürftig", sagt eine junge Frau und kippt schnell ein Glas Wasser hinterher.

Mit solchen Kommentaren hat Niklas anscheinend gerechnet: Der Geschmack der reifen Früchte wird in der Fachliteratur als unangenehm beschrieben. Noni schmecke "faulig" oder nach "ranzigem Käse". Keine guten Voraussetzungen für eine Karriere auf dem Weltmarkt, gäbe es nicht Menschen wie Niklas.

"Würden Sie einen solchen Saft trinken, wenn er nicht wirken würde?" fragt das Verkaufstalent. Und gibt auch gleich die Antwort: "Der Saft wirkt." Zur Bestätigung wedelt Niklas mit einer Broschüre. Eine "unabhängige Noni-Studie" von einem "Dr. Solomon". Zehntausend Noni-Anwender habe der Arzt in den USA befragt, und die Ergebnisse seien verblüffend. 84 Prozent hätten zum Beispiel weniger Allergien, 89 Prozent eine verbesserte Verdauung und 88 Prozent weniger Kopfschmerzen - wegen des Xeronin.

Laut Broschüre präventiv gegen Krebs

Hätte Niklas gewusst, dass sich unter seinen Zuhörern der Reporter befindet, wäre die Broschüre wohl in seiner Aktentasche verblieben. So aber sagt er: "Dieses Heft können Sie bei mir käuflich erwerben." Ein Euro kostet das Druckwerk "Noni-Juice - Die tropische Frucht mit 101 medizinischen Anwendungen".

Auf 32 Seiten ist zu lesen, wie Noni "durch eine Vielfalt therapeutischer Wirkungen dem Körper helfen kann, sich selbst zu heilen". Noni verhindere "die Entstehung der Vorstufe von Krebs und das Wachstum von Krebsgeschwüren".

Solche Aussagen sind nicht nur medizinisch höchst fragwürdig, sondern schlichtweg verboten. Noni-Saft ist seit 2003 von der Europäischen Kommission als "neuartiges Lebensmittel" zugelassen. Anbieter dürfen dafür aber nicht mit irreführenden Aussagen werben. So sind Aussagen verboten, die einem Lebensmittel "Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung von Krankheiten zuschreiben". Hinzu kommt: Der Lebensmittelausschuss der Europäischen Kommission stellte fest, dass eine besondere gesundheitliche Wirkung von Noni-Saft "wissenschaftlich nicht belegt" sei.

Wahrscheinlich ist in dem Druckwerk deshalb nirgendwo der Firmenname TNI zu entdecken. Und so reagiert Geschäftsführer Franz Gaag zunächst gelassen, als ihm in der Münchner Niederlassung diese Broschüre vorgelegt wird.

"Darin stehen Sachen, die würden wir nie behaupten", sagt er. Dann aber liest der Noni-Manager den Namen seines Diamond-Pearl-Verkäufers auf der Visitenkarte. Die hat Niklas nach der Geschäftspräsentation an die Käufer der Broschüre verteilt. "Ein Hammer", gibt sich Gaag empört, "keiner unserer Vertriebspartner darf damit werben."

Helga Reisinger* hat es anders erlebt. "In der Praxis wird das kaum kontrolliert", erinnert sich die ehemalige Noni-Mitarbeiterin. Die Berlinerin stieg aus, weil sie es in der für sie "verlogenen Welt" des Network-Marketing nicht mehr aushielt. Es sei eine ständige Gratwanderung zwischen Werbeaussagen, die man eigentlich nicht machen dürfe, und dem täglichen Verkaufsdruck.

Den hat die Geschäftsfrau auch bei einem anderen US-Konzern gespürt, für den sie - ebenfalls im Network-Marketing - Säfte der Aloe-Vera-Pflanze verkauft hatte. Bei TNI hatte Reisinger binnen eines Jahres mehr als 20 weitere Noni-Vertriebspartner in ihrer "Downline". Das reichte zwar für die Bonusstufe "Coral", sicherte aber kaum ihren Lebensunterhalt.

Weil der Freundes- und Bekanntenkreis schnell abgegrast ist, suchen viele Networker im Internet nach neuen Interessenten. Beliebt sind für solche Kaltkontakte Foren, in denen Kranke Erfahrungen austauschen. Immer wieder entpuppen sich die Chat-Partner als Verkäufer des Saftes.

Solche Leute jagt Aribert Deckers. Der Diplom-Ingenieur aus Bremerhaven hat in der Network-Szene einen ähnlichen Ruf wie der amerikanische Dokumentarfilmer Michael Moore bei der Regierung von US-Präsident George W. Bush. Deckers sammelt vor allem Informationen über MLM-Firmen, die sich im Gesundheitsmarkt tummeln.

"Hier sind die Gewinnspannen sehr hoch und die Behauptungen fast nie nachprüfbar", sagt er. Bei Noni wurde Deckers fündig. Dr. med. Neil Solomon sei "die zentrale Schlüsselfigur in der Noni-Legende". Der Autor der umstrittenen Noni-Broschüre war als Funktionär im US-Gesundheitswesen tätig und häufig Gast bei TNI. Allerdings praktiziert der Mann schon lange nicht mehr als Arzt. Er musste seine Approbation 1993 zurückgeben, nachdem bekannt geworden war, dass er mit acht seiner Patientinnen sexuelle Beziehungen hatte.

Auch mit Fakten und wissenschaftlichen Methoden hat der ehemalige Arzt so seine Probleme. Deckers erklärt, dass Solomon seine eigenen Zahlen über die angeblichen Heilwirkungen der Noni "gefälscht" habe.

Für Noni-Verkäufer sind die Bücher von Neil Solomon dagegen eine wahre Goldgrube. Denn "mit Heilversprechen", weiß Aribert Deckers, "kann man Noni viel besser verkaufen". Deshalb verbreiten sich die Erkenntnisse von Solomon immer weiter im Schneeballsystem. Allein von der zweiten Ausgabe der umstrittenen Broschüre seien 200.000 Exemplare verkauft worden, wirbt ein Anbieter im Internet-Auktionshaus Ebay.

Dort ließ auch die Tochter des verstorbenen Krebspatienten Jürgen Richter sechs Flaschen Tahitian Noni versteigern. Sie stammen aus dem Nachlass ihres Vaters. Mehr als 70 Flaschen Tahitian Noni hatte Jürgen Richter bis kurz vor seinem Tod getrunken. Die Kosten: 4000 Euro, das Guthaben seines Bausparvertrages. Zuletzt konnte Richter nichts mehr trinken.

* Name von der Redaktion geändert

© SZ vom 17.2. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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