Süddeutsche Zeitung

Weltweite Investitionen in erneuerbare Energien:Grüner Boom auf blauem Planeten

Kaum bemerkt vom Ausland setzt der größte Stromverbraucher der Welt auf die Energiewende. China investiert Milliarden in Windparks und Solartechnik und steht damit für einen globalen Trend. Klimabewusstsein ist jedoch selten der Grund für das große Interesse an grünem Strom.

Von Markus Balser

Strahlend weiß ragen die Zeichen der neuen Zeit vor Chinas Küste in den Himmel. Auf mehr als zehn Quadratkilometern drehen sich im Ostchinesischen Meer bei Shanghai 30 Riesenrotoren auf Stahltürmen. Einige Hunderttausend Haushalte versorgt die Anlage mit Strom - es ist der erste Windpark Chinas auf hoher See und laut Regierung nur der Anfang einer neuen Industrie-Ära.

Kaum bemerkt vom Ausland nimmt China derzeit den Kampf gegen Umweltverschmutzung auf und versucht sich an seiner ganz eigenen Energiewende. Für Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Senkung von Umweltbelastungen seien innerhalb von fünf Jahren Ausgaben von 2,3 Billionen Yuan - rund 283 Milliarden Euro - geplant, meldeten mehrere Medien Anfang August. Zusätzlich zu jenen sagenhaften 220 Milliarden Euro, die das Land in den nächsten Jahren in den Ausbau erneuerbarerer Energien stecken will.

Zum Vergleich: In Deutschland fließen jährlich rund 17 Milliarden Euro in die Ökostromförderung. Zwar interessiert Klimapolitik - in Deutschland einer der großen Treiber der Energiewende - Chinas Führung offenkundig wenig. Doch andere Aspekte dafür umso mehr: eine größere Unabhängigkeit von Energieimporten, der Kampf gegen den Smog der Großstädte und das erhoffte Wachstum in grünen Zukunftsindustrien.

138 Länder haben sich Ausbauziele für erneuerbare Energien gesetzt

Seit nicht einmal zehn Jahren treibt Peking den Bau von Ökostromkapazitäten vor allem bei Wind und Sonne voran. Dieses Jahr werden Schätzungen zufolge erstmals Solaranlagen mit einer Kapazität von sieben Gigawatt installiert, etwa so viel wie in Deutschland. In den nächsten Jahren dürfte China nach einhelliger Analyse internationaler Experten weltweit zum einsamen Spitzenreiter beim Bau neuer Sonnenkollektoren werden.

China, der größte Stromverbraucher der Welt, steht damit für eine neue Entwicklung. Denn der Umbau der Energiewirtschaft und der Ausbau von Ökostromkapazitäten ist längst kein deutsches Phänomen mehr. Während in Deutschland mit Blick auf die steigenden Kosten kontrovers über die Energiewende diskutiert wird, ahmen viele Länder weltweit den Vorreiter aus Europa nach. Inzwischen haben sich 138 Länder Ausbauziele für die erneuerbaren Energien gesetzt.

Die Investitionen in Öko-Energien hatten weltweit seit 2000 fast immer zweistellige Wachstumsraten. In den vergangenen zehn Jahren haben sie sich nach Angaben des UN-Umweltprogramms Unep in Nairobi verzehnfacht. Inzwischen wird global mehr Geld in den Ausbau der Ökoenergien gesteckt als in neue Kapazitäten bei Kohle, Erdöl und Erdgas. Es habe einen "dramatischen Anstieg bei der Zahl und der Größe" der Ökoenergie-Projekte gegeben, sagt auch der deutsche Unep-Chef Achim Steiner.

Auch Schwellenländer und die USA schlagen einen grüneren Weg ein

Nachdem in den vergangenen Jahren Deutschland und südeuropäische Länder wie Spanien und Italien mit umfangreichen Förderprogrammen den Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorangetrieben haben, sind es heute vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms stiegen die Investitionen in grünen Strom dort allein im vergangenen Jahr um 20 Prozent auf zusammen 112 Milliarden Dollar (rund 84 Milliarden Euro).

In den reichen Ländern dagegen gingen die Ausgaben 2012 um fast 30 Prozent auf 132 Milliarden Dollar (99 Milliarden Euro) zurück - der erste Rückschlag seit Jahren, den Experten vor allem auf die Folgen der Euro-Krise und gekappte Förderprogramme zurückführen. In den USA schrumpften die Ausgaben im vergangenen Jahr sogar um 34 Prozent auf 36 Milliarden Dollar (27 Milliarden Euro), weil das Land verstärkt auf das günstige Schiefergas setzte.

Experten gehen aber davon aus, dass sich der grüne Boom in den nächsten Jahren weltweit fortsetzt. Auch weil die USA wieder einen deutlich grüneren Pfad einschlagen wollen. Präsident Barack Obama rief Ende Juni in Washington die US-Energiewende aus und kündigte an, dass seine Umweltbehörde EPA harte Grenzwerte für den Kohlendioxidausstoß von Kraftwerken festlegen wird. Bislang verursachen Kraftwerke 40 Prozent der Treibhausemissionen des Landes.

Geht es nach Obama, soll nun vor allem der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix steigen. Erneuerbare wie Wind, Wasser und Sonne lieferten 2012 zwar gerade mal 13 Prozent der Elektrizität. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei mehr als 20 Prozent Ökostrom. Doch auch in Amerika sollen die Erneuerbaren künftig am stärksten wachsen. Bis 2020 will Obama ihre Stromerzeugung noch einmal verdoppeln. "Unsere Zeit ist gekommen", frohlockt Rhone Resch, der Präsident des Solarverbands SEIA.

"Erneuerbare Energien werden die Weltwirtschaft neu prägen"

So hoffen viele Anbieter grünen Stroms. Nicht nur in den USA. Denn Ökoenergien werden dank technischer Fortschritte immer günstiger, während die wachsende Nachfrage die Preise fossiler Ressourcen steigen lässt. Für die Verschiebung verantwortlich ist das rasante Bevölkerungswachstum. Schon jetzt leben sieben Milliarden Menschen auf der Welt. Mitte des Jahrtausends werden es neun Milliarden Menschen sein. Sie mit bezahlbarer Energie zu versorgen, wird ohne das Erschließen erneuerbarer Quellen im großen Maßstab kaum möglich sein.

Damit kristallisiert sich heraus, was US-Forscher Jeremy Rifkin als einer der Ersten die dritte industrielle Revolution genannt hat. "Erneuerbare Energien werden die Weltwirtschaft in Verbindung mit dem Internet neu prägen", schrieb Rifkin. Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien machte Anfang des Jahres indes klar, wo sie die Ressource der Zukunft vermutet: in der Luft. Fachleute der Organisation stellten eine Art Schatzkarte des 21. Jahrhunderts vor. Ihr erster globaler Ressourcenatlas zeigt, wo auf dem Planeten Sonne und Wind am meisten Strom produzieren können. In Großbritannien und Irland haben die Experten zum Beispiel die besten Windstandorte der Welt ausgemacht.

Trotz positiver Signale: Experten geht der Umbau nicht schnell genug. Die Zeit drängt, denn der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid bei der Energiegewinnung ist laut Internationaler Energie-Agentur auf ein neues Rekordhoch geklettert. "Wir sind dabei, unser Ziel einer Erderwärmung von nicht mehr als zwei Grad Celsius aus den Augen zu verlieren", warnt IEA-Chefökonom Fatih Birol. Der grüne Umbau der Energiewirtschaft sei erfreulich - nur leider viel zu langsam.

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SZ vom 06.09.2013/sks
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