Süddeutsche Zeitung

Welthandel und Protektionismus:Stahl-Streit mit Trump vertagt

Wenn die USA Strafzölle auf Stahl-Importe verhängen, droht ein weltweiter Handelskrieg, bei dem auch die EU mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren müsste. Die G-20-Einigung lässt hoffen, dass es nicht so weit kommt.

Von Nikolaus Piper

Der G-20-Gipfel von Hamburg ist vorbei, die gründliche Analyse der Ergebnisse hat jedoch erst begonnen. Alle spüren: Das Treffen bedeutete eine Zäsur, besonders in der Handelspolitik. Seit der Wahl von Donald Trump ist das globale, durch Regeln gebundene Handelssystem in seiner Existenz gefährdet. In Hamburg, so sehen es in der Bundesregierung vermutlich die meisten, wurde das Schlimmste noch einmal verhindert. Aber wie nachhaltig das ist, weiß niemand. Das Neue lag nicht so sehr darin, dass die Unterhändler um eine verträgliche Formulierung zum Freihandel in ihrer Schlusserklärung ringen mussten. Das hat es auch früher schon gebeben. Neu war, dass nicht die Vereinigten Staaten den anderen ein Bekenntnis zum Freihandel abringen mussten - sondern dass es genau umgekehrt war. Unter Donald Trump hat die mächtigste Nation der Welt ihre führende Rolle in der Handelspolitik aufgegeben und ist protektionistisch geworden. Diese Schwächung der USA wird die Weltwirtschaft permanent und fundamental verunsichern. Der Rückfall in den Protektionismus, wie ihn viele befürchtet hatten, ist in Hamburg trotzdem ausgeblieben. Die entscheidende Formulierung im Gipfeldokument zu Handelsfragen ist tatsächlich wachsweich, wie die vielen Kritiker dies monieren: "Wir werden Protektionismus einschließlich aller unfairen Handelspraktiken weiterhin bekämpfen und erkennen die Rolle rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente in diesem Zusammenhang an." Als "rechtmäßige" Schutzmaßname" kann man jeden Unfug bezeichnen, der einem einfällt. "Der Passus öffnet Missbrauch Tür und Tor", sagt Gabriel Felbermayr, Direktor und Handelsexperte beim Münchner Ifo-Institut.

Manche hatten befürchtet, Trump werde die Welthandelsorganisation sprengen

Im Weiteren jedoch bekennen sich die Autoren des Dokuments mehrfach und ausführlich zur Arbeit der Welthandelsorganisation (WTO), unter anderem mit diesem Satz: "Wir nehmen zur Kenntnis, wie wichtig es ist, dass bilaterale, regionale und plurilaterale Vereinbarungen offen, transparent, integrativ und mit der WTO konform sind."

Manche Experten in der Bundesregierung hatten schon befürchtet, Trump werde die WTO sprengen und damit das multilaterale Handelssystem außer Kraft setzen. Dazu ist es nicht gekommen. Und wenn die amerikanische Regierung das Gipfeldokument respektiert, muss sie auch weiterhin die Regeln der WTO respektieren. Das ist beim Handelsthema fast das Wichtigste.

Den Handelskrieg mit China gibt es bereits

Bleibt die große Frage nach der Stahlindustrie. Der Weltmarkt leidet derzeit unter einem riesigen Überangebot an Stahlprodukten. Die Ursachen dafür liegen in der Volksrepublik China, die derzeit weit über den eigenen Bedarf hinaus produziert. Das setzt die Preise für alle Hersteller unter Druck.

Faktisch gibt es daher bereits heute einen Handelskrieg. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Europäische Union belegen China mit Anti-Dumping-Zöllen. Im Frühjahr hatte Trumps Wirtschaftsminister Wilbur Ross dann auch Strafmaßnahmen gegen Stahlanbieter in verbündeten Ländern angedroht, darunter in Deutschland Salzgitter und die Dillinger Hütte. Das ist erstaunlich, denn von den 30,1 Millionen Tonnen Stahl, welche die USA jedes Jahr importieren, kommen ganze vier Prozent aus Deutschland.

Schon auf dem G-20-Gipfel 2016 in Hangzhou (China) hatten die Teilnehmer über das Stahlproblem beraten. Damals wurde ein globales Forum zu Überkapazitäten in der Stahlindustrie eingerichtet; Organisator ist die OECD, der Thinktank der Industrieländer mit Sitz in Paris.

Bemerkenswert ist, dass Trumps Unterhändler in Hamburg zustimmten, dass das Gipfeldokument ausdrücklich auf dieses Forum Bezug nimmt. Die Mitglieder sollten "zügig konkrete politische Lösungen zum Abbau von Überkapazitäten in der Stahlindustrie erarbeiten", heißt es. Ein "substantieller Bericht mit konkreten politischen Lösungen" soll bis November vorliegen.

Experten der Bundesregierung hoffen, dass mit dieser Formulierung wenigstens Zeit gewonnen ist und Trump erst einmal auf eigene Strafzölle gegen tatsächliche und vermeintliche Dumping-Anbieter verzichtet, solange jedenfalls, bis der Bericht des OECD-Panels im November vorlieget.

Unmittelbar vor dem Hamburger Gipfel hatte der Stahlstreit eine neue, bedrohliche Dimension angenommen. Die Regierung Trump verlagerte das Thema Stahl plötzlich von der Frage des Dumpings hin zu Fragen der nationalen Sicherheit. Der Vorwurf des Dumpings, also des Verkaufs unter Selbstkosten, ist immerhin überprüfbar. Die Behauptung, die Sicherheit der Nation sei bedroht, ist es nicht.

Womöglich müsste die EU auf Strafzölle mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren

Trumps Regierung berief sich auf eine Regelung, die 1962, also mitten in der gefährlichsten Phase des Kalten Krieges, ins amerikanische Außenhandelsgesetz gekommen war. Abschnitt 232 dieses Gesetzes erlaubt es der Regierung, Importe zu beschränken, wenn diese jene Industrien gefährden, die für die Sicherheit der Vereinigten Staaten wichtig sind. Trump gab Wirtschaftsminister Ross den Auftrag, zu prüfen, ob dies für die gegenwärtigen Stahlimporte zutrifft. Der Bericht sollte zum 1. Juli, also noch vor dem Hamburger Gipfel, veröffentlicht werden. Bisher ist das nicht geschehen, was die Europäer zu vorsichtigem Optimismus veranlasst.

Sollte es jedoch tatsächlich zu derartigen, mit der nationalen Sicherheit begründeten Importzöllen auf Stahlprodukte kommen, wäre eine neue Qualität erreicht. Gabriel Felbermayr vom Ifo-Insititut sagt: "Das WTO-Recht bietet kaum Anhaltspunkte, dieses Argument objektiv zu überprüfen und zu einer erfolgreichen Streitschlichtung zu bringen." Daher sei es auch besonders gefährlich. "Wenn Trump diesen Weg geht, dann muss die EU mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren", sagt Felbermayr. Möglicherweise passiere das dann gar nicht bei Stahlprodukten, sondern bei Produkten, wo die USA besonders verletzlich sei.

Schon George W. Bush verhängte 2002 Importzölle auf Stahl

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat bereits angekündigt, dass sich die Europäer entsprechend wehren würden. Stormy-Annika Mildner, Abteilungsleiterin für Außenwirtschaft beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), sagt: "Mit so einer Maßnahme würden die USA sich massiv selbst schaden." Für die ganze nachgelagerte Industrie einschließlich der Autoindustrie würde die Produktion teurer. "Wir halten so einen Schutzzoll für ungerechtfertigt und glauben auch nicht, dass er WTO-kompatibel wäre", sagt Mildner.

Es gibt ein Negativbeispiel für solche Versuche, die amerikanische Stahlindustrie zu schützen: Präsident George W. Bush verhängte 2002 Importzölle, um sich die Stahlarbeiter als Wähler gewogen zu machen. Nach weniger als zwei Jahren musste er sie bereits wieder zurücknehmen, weil die WTO Einspruch erhoben hatte.

Immerhin beugte sich Bush damals der WTO. Nach dem Hamburger Gipfel besteht die Hoffnung, dass Trump dies im Streitfall auch machen würde. Aber es ist eben nur eine Hoffnung.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2017/mahu
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