Süddeutsche Zeitung

Weltfrauentag:Gedöns als Wirtschaftsfaktor

Unternehmen mit mehr Geschlechtervielfalt schneiden an der Börse besser ab.

Von Henrike Roßbach und Kathrin  Werner

Es ist noch gar nicht so lange her, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder lapidar von "Familie und Gedöns" sprach. Der Name für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wollte ihm schlicht nicht einfallen. Frauen? Wen interessieren die denn schon? Die Zeiten haben sich gewandelt. Und das nicht nur wegen politischer Korrektheit.

Laut einer Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorab vorliegt, ist Gleichberechtigung ein echtes Wirtschaftsthema. Unter den 100 größten, börsennotierten Unternehmen in Deutschland schneiden die fortschrittlichsten 30 in Sachen Geschlechtervielfalt am Aktienmarkt um mehr als zwei Prozentpunkte erfolgreicher ab als der Dax, hat die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) mit der Technischen Universität München und der Deutschen Börse ermittelt.

Je mehr Studien es gibt, die belegen, dass Diversität wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg ist, desto mehr interessieren sich auch Investoren dafür. Die US-Investmentbank Goldman Sachs will kein Unternehmen mehr an die Börse bringen, das nicht mindestens ein weibliches Führungsmitglied hat. Investoren wie Blackrock oder State Street haben angekündigt, Führungsgremien mit rein männlicher Besetzung mit ihren Stimmrechten zu blockieren. Außerhalb Deutschlands gibt es außerdem zunehmend Finanzprodukte, die sich an Investoren richten, die auf Geschlechterverhältnisse in den Führungsetagen achten, man nennt das "Gender Lens Investing". In solche Investmentprodukte werden nur Anlageobjekte aufgenommen, die sich auf Gleichberechtigung fokussieren, zum Beispiel Aktien von Unternehmen, die viele Führungsfrauen haben oder Produkte verkaufen, die Gleichstellung fördern. Das verwaltete Vermögen dieser GLI-Finanzprodukte ist laut BCG weltweit von 100 Millionen Dollar im Jahr 2014 auf 2,4 Milliarden Dollar im Jahr 2018 gewachsen. Seit Mitte 2018 seien mindestens zwei Dutzend neue GLI-Anlageprodukte auf den Markt gekommen. In Deutschland gibt es noch kein einziges.

Die neue Studie passt zu Forschungsergebnissen etwa des Peterson Institutes for International Economics, der Bank Credit Suisse und des Internationalen Währungsfonds. Sie belegen, dass Firmen mit mehr Vielfalt in den Führungsetagen höhere Gewinne schreiben und Cashflows einfahren, produktiver und innovativer sind. "Es ist erwiesen, dass diverse Teams an die Herausforderungen unserer schnelllebigen Welt besser herangehen", sagt Nicole Voigt, Partnerin bei BCG. "Sie reagieren schneller, hören verschiedene Standpunkte an, verwerfen Ideen nicht so schnell und gehen weniger Risiken ein."

Würde eine gesetzliche Frauenquote helfen?

Wenn das so klar ist - warum tut sich dann so wenig? Noch immer liegt der Anteil der Frauen in den Vorständen der größten deutschen Börsenunternehmen nur bei neun Prozent und wächst nur sehr langsam. "Ich erlebe Gleichberechtigung in meinem Berufsleben nicht mehr", sagt Voigt. Die Dinge würden sich mit einer gesetzlichen Quote für Frauen im Vorstand wahrscheinlich schneller bewegen, glaubt die 45-Jährige. "Andererseits hilft natürlich der Druck der Investoren. Ich hoffe, dass das aus dem angelsächsischen Raum bald zu uns herüber schwappt."

Der Anteil der Führungsfrauen in Deutschland steht im Missverhältnis dazu, dass inzwischen laut neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes gut drei Viertel aller Frauen zwischen 20 und 64 in Deutschland erwerbstätig sind. "Das ist hoch erfreulich, aber es darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass fast die Hälfte dieser erwerbstätigen Frauen in Teilzeit arbeitet", sagt Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD). Bei den Männern sei es nicht einmal jeder Zehnte. "Das bedeutet schlicht, dass die Unterschiede im Arbeitsleben von Frauen und Männern sehr viel größer sind, als die Statistik zunächst erahnen lässt." Es sei meist nicht so, dass Frauen nicht wollen, schuld sei mangelnde Vereinbarkeit mit der Familie. Das verhindere oft, dass Frauen Führungspositionen erreichen.

Dass die Dinge in Sachen Gleichstellung nicht immer sind, wie sie scheinen, zeigte am Freitag die Bundestagsdebatte zum Weltfrauentag am 8. März. Auf den ersten Blick hätte man auf die Idee kommen können, zumindest in der Politik gäbe es kein Problem mehr. Abgesehen von der AfD, die sich gar nicht erst die Mühe machte, ihren Frauenanteil von nur elf Prozent zu kaschieren, waren in den anderen Fraktionen auffällig viele Frauen anwesend im Plenum - und zu Wort kam in der einstündigen Debatte nur ein einziger Mann, der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marcus Weinberg (CDU). Tatsächlich ist der Frauenanteil im Bundestag zuletzt aber von rund 37 Prozent auf knapp 31 Prozent gesunken. Diejenigen, die für Parität kämpften, hätten ihre "volle Unterstützung", sagte Giffey. Sie verwies auf den Gesetzentwurf von ihr und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) für mehr Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen. "Wir wollen mehr Frauen in Führung, weil wir überzeugt sind, dass das zukunftsfähig ist und wir das brauchen, damit sich Wirtschaft und Gesellschaft gut entwickeln."

Die Union lehnt eine Frauenquote für Vorstände ab. In der Debatte sagte Fraktionsvize Nadine Schön, sie setze weiterhin auf eine Kombination aus "fixer und flexibler" Quote. Sich aber null Frauen als Quotenziel vorzunehmen, wie das noch immer manche Unternehmen offiziell tun, und das nicht mal zu begründen, will auch sie nicht länger zulassen. Auch Nicole Bauer von der FDP sieht feste Quoten skeptisch. "Was nutzt uns eine Vorstandsquote, wenn es immer noch nicht in den Köpfen angekommen ist?" Und Sabine Zimmermann (Linke) ordnet ein: "Ein paar Dutzend Frauen in Konzernvorständen", sagt sie, das sei "schön für die wenigen, die es betrifft", aber "reichlich egal für die Mehrheit der Frauen".

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SZ vom 07.03.2020
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