Weltbank fordert Reformen:Chinas Agenda 2010

Die Wirtschaft wächst Jahr für Jahr um zehn Prozent. Aber wie lange noch? Ökonomen der Weltbank haben erstmals der chinesischen Regierung eine umfassende Bestandsaufnahme der heimischen Wirtschaft vorgelegt. Das Ergebnis ist zwar in schöne Worte gekleidet, aber eindeutig: Ohne tiefgreifende Reformen drohen der Volksrepublik große Probleme.

Christoph Giesen

China steht vor einem großen Reformprojekt. Gemeinsam mit einem Thinktank des chinesischen Staatsrats hat die Weltbank eine umfassende Fehleranalyse der chinesischen Wirtschaft vorgelegt. Der Tenor: Chinas Wachstum hat seinen Scheitelpunkt erreicht. Ohne tiefgreifende Reformen könnte das chinesische Wirtschaftswunder bald an Schwung verlieren. Noch, sagte Weltbank-Chef Robert Zoellick während einer Pressekonferenz in Peking, sei es nicht zu spät für Reformen, aber es werde keine leichte Aufgabe, die Wirtschaft umzubauen. "Der Teufel steckt in der Umsetzung."

China Weltbank Reform

Straßenszene in Peking, im Januar.

(Foto: AFP)

Es heißt, der Report sei auch mit Vizepräsident Xi Jinping und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Li Keqiang abgestimmt. Xi und Li übernehmen im Oktober die Führung der Volksrepublik. Trotz der hochrangigen Unterstützung, glaubt Zoellick, werde es innerhalb der kommunistischen Partei Bremser und Reformerwidersacher geben.

Der 448 Seiten starke Bericht liest sich wie ein Praktikumszeugnis, in dem der Betreuer versucht, die ständigen Verspätungen, das schlechte Betragen und die lausige Arbeitsleistung in möglichst schöne Worte zu kleiden. Trotzdem ist die Kritik nicht zu überlesen: Die Monopole der Staatskonzerne müssten aufgebrochen werden, kleine Unternehmen sollten leichter an Kredite kommen, außerdem brauche China mehr Rechtsstaatlichkeit.

Große Sorgen bereitet den Ökonomen die sogenannte Middle-Income-Trap, die Falle der mittleren Einkommen. Entwächst eine Wirtschaft dem Statuts eines Billiglohnlandes, wandern die Hersteller arbeitsintensiver Produkte ab, ein Effekt, der sich bereits in China abzeichnet. In Bangladesch oder Vietnam lassen sich Turnschuhe oder T-Shirts inzwischen viel preiswerter nähen. Die Folge: Der Servicesektor muss ausgebaut und höher wertige Güter müssen hergestellt werden. Dass die Gefahr des Scheiterns dabei groß ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Von 101 Middle-Income-Ländern haben es in den vergangenen 50 Jahren lediglich 13 Staaten geschafft, zu einer Hocheinkommensnation aufzusteigen. Zu den Ländern, die in der Falle steckengeblieben sind, zählen etwa Peru und Jordanien. Südkorea, Japan und Singapur ist der Aufstieg gelungen.

An einigen Stellen wird der Report konkret: Das sogenannte Hukou-System, eine Art innerchinesische Staatsbürgerschaft, müsse dringend abgeschafft werden, fordern die Ökonomen. Wer vom Land kommt und keine Hukou für die Stadt hat, lebt illegal und darf beispielsweise seine Kinder nicht zur Schule schicken. Zu Maos Zeiten war die Hukou ein Instrument der Kontrolle, später ein Regulativ, damit Peking, Shanghai oder Guangzhou nicht verslumten. Heute ist sie ein nutzloses Überbleibsel, ein Sinnbild für die Ungleichheit in China.

In kaum einem anderen Land der Welt ist die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie in China. Während 170 Millionen Chinesen von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen, gibt es rund eine Million Dollar-Millionäre.

In den vergangenen beiden Fünf-Jahres-Plänen hat sich die Partei bereits ein Reformprogramm verordnet. Aus "Made in China" sollte "Designed in China" werden, haben sich die Genossen vorgenommen. Systematisch damit begonnen hat man in Peking aber noch nicht. Zu wichtig sind Stabilität und Wachstum für die Parteiführung. Stottert der Wachstumsmotor und kommt es dadurch zu Massenentlassungen, dann hat die Partei ein Legitimationsproblem.

Die Macht der Kommunistischen Partei beruht im Wesentlichen auf zwei Legitimationssäulen. Zum einen Stabilität: Erst Mao Zedongs Kadern gelang es, das Land nach Unruhen und Bürgerkriegen zu einen. Die zweite Säule ist das ökonomische Wachstum. Nach dem Zerfall des Ostblocks schaffte China, was niemand für möglich gehalten hatte: Die formal sozialistische Wirtschaft wächst jährlich um mehr als zehn Prozent. Der unausgesprochene Pakt zwischen Partei und Bevölkerung lautet seitdem: "Ihr kümmert euch nicht um Politik, und im Gegenzug sorgen wir dafür, dass es euch wirtschaftlich besser geht." Bislang hat das funktioniert. 500 Millionen Chinesen haben seit Beginn der ökonomischen Öffnung 1978 die Armutsgrenze überwunden.

Aber wird das so weitergehen? Was passiert, wenn China als Produktionsstandort zu teuer wird, und wie wird die Regierung mit Massenentlassungen aus dem Heer der über 300 Millionen Wanderarbeiter umgehen? Aufgabe der neuen chinesischen Führung ist es, Konzepte zu entwickeln und Empfehlungen der Weltbank umzusetzen. Bevor es zu spät ist.

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