Unerwartet kam der Widerspruch zur großen Selbstlobrede des spanischen Premierministers Mariano Rajoy zum Ende des Jahres aus den eigenen Reihen. "Es ist noch zu früh für Triumphgefühle", warnten gleich mehrere Abgeordnete der konservativen Volkspartei (PP). Die spanische Volkswirtschaft sei zwar nach zwei Jahren harter Reformen und Sparmaßnahmen auf einem guten Weg, aber bei weitem noch nicht gesund. Im Vergleich zur Stimmung vor zwei Jahren hatte Rajoy dennoch bei seinem letzten großen Auftritt im Parlament vor der Weihnachtspause unterm Strich vor allem gute Nachrichten zu vermelden. 2012 war geprägt von einer Katastrophenstimmung, internationale Analysten und Kommentatoren forderten unisono, Spanien müsse "unter den europäischen Rettungsschirm flüchten", sonst gerate die gesamte Eurozone aus dem Lot.
Madrid hat sich dem kollektiven Druck der anderen EU-Staaten gar nicht erst gebeugt
Rajoy hat sich diesem kollektiven Druck, zu dem auch Regierungschefs anderer EU-Staaten beitrugen, nicht gebeugt, sondern in stoischer Ruhe ein hartes Sanierungsprogramm ausarbeiten lassen. Die Zwischenbilanz: Schon nach drei Quartalen konnte das Land die Rezession überwinden, die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile von 5,6 auf 4,5 Millionen gesunken, Tendenz weiter fallend. Die von der Regierung zu garantierenden Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen liegen erstmals seit zehn Jahren unter überaus günstigen zwei Prozent. Im letzten halben Jahr gehörte das Land zu den europäischen Spitzenreitern beim Wirtschaftswachstum.
"Spanien gemeinsam mit Deutschland Lokomotive im Euroraum", vermeldete die konservative Tageszeitung El Mundo, eine Botschaft, die noch vor Jahresfrist kaum jemand in Madrid für möglich gehalten hätte. Kommentatoren der Finanzpresse kündigten an, dass sie, sollte diese Tendenz anhalten, wohl in einem Jahr von einem "kleinen spanischen Wirtschaftswunder" würden schreiben können.
Überraschend starkes Wirtschaftswachstum
Der sich in diesen Zahlen niederschlagende unstrittige Erfolg des Kurses Rajoys bietet denn auch ein weiteres Argument für die Befürworter der Austerität, also einer Sanierung des Staatsbudgets durch Abbau der staatlichen Ausgaben, und wird als positives Gegenbeispiel zur Wirtschaftsmisere im fernen Japan mit seinen fehlgeschlagenen Konjunkturspitzen angeführt. Wirtschaftsminister Luis de Guindos meinte dazu ganz trocken, man brauche gar nicht ans andere Ende der Erde zu gehen. Mit milliardenschweren Konjunkturpaketen nach der Schule Keynes' hatte schon Rajoys sozialistischer Vorgänger José Luis Zapatero krachend Schiffbruch erlebt und somit nicht unerheblich zur jetzigen Misere beigetragen.
In der Jahresbilanz 2013 hatte Rajoy ein Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent binnen Jahresfrist angekündigt, nun werden es sogar 1,2 Prozent. Für Ende 2015 kalkulieren die Experten Guindos' mit runden zwei Prozent, womit Spanien weiter in der europäischen Spitzengruppe liegen dürfte und sich von allen anderen Mittelmeerländern deutlich absetzt. Das Haushaltsdefizit, das 2011 wegen der kreditgestützten Konjunkturspritzen Zapateros auf über zehn Prozent geklettert war, sollte bei 5,8 liegen, nun werden es sogar 0,3 Punkte weniger sein. In zwei Jahren soll die Dreier-Maastricht-Grenze wieder erreicht sein.
Doch die Skeptiker warnen: Die unerwartet guten Zahlen sind keineswegs nur ein Ergebnis besonderer Anstrengungen der Spanier. Vielmehr hat das Land besonders vom Verfall der Preise für Erdöl und Erdgas profitiert. Auch gibt die Arbeitslosenstatistik weiter genügend Anlass zu Sorgen: Ihr Rückgang ist zum Teil der Abwanderung von Ausländern aus Nordafrika und Osteuropa zu verdanken, die in den Boomjahren in Spanien angeheuert hatten. Auch sind die meisten neu geschaffenen Stellen prekär: Befristet, schlecht bezahlt, ohne Aufstiegschancen, oft Saisonarbeit im Tourismus, der indes 2014 neue Rekorde vermelden kann. Dass weniger Russen gekommen sind, hat sich in der Statistik nicht niedergeschlagen, Spanien profitierte weiter vor allem von der politischen Krise in Ägypten. Ungelöst aber sind die Arbeitsmarktprobleme der jungen Generation. Es ist weniger die Zahl der Arbeitslosen, die Quote von nach wie vor über 40 Prozent der jungen Menschen bis 25 Jahren sieht nur auf den ersten Blick katastrophal aus; sie bezieht sich nämlich nur auf die aktiv Arbeit Suchenden. Insgesamt sind dies rund acht Prozent eines Jahrgangs. Das Hauptproblem bleiben die Massenuniversitäten, sie weisen zu viele Studienabbrecher auf und produzieren zu viele Absolventen, die keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit finden. Konzepte für die Lösung dieser Generationenaufgabe sind allerdings bislang nicht auszumachen.
Der Arbeitsmarkt wird aber auch so ein Problemfall bleiben, da er in den Boomjahren zu Anfang des neuen Jahrtausends völlig einseitig auf die Bau- und Immobilienbranche fokussiert war. In diesem Bereich gingen seit 2009 rund drei Millionen Arbeitsplätze verloren, der freie Fall der Branche ist zwar seit einem Jahr gestoppt, doch hat sie sich nur auf niedrigem Niveau stabilisiert. Hier und da wird renoviert, aber es wird kaum gebaut, da im ganzen Land nach Branchenschätzungen gut eine Million Wohnungen nicht vollendet sind oder leer stehen. Zwar schießen überall Start-Ups in den neuen Technologien aus dem Boden, doch nimmt diese Branche keine Massen auf, schon gar nicht die Minderqualifizierten der pleite gegangenen Baufirmen. Mittelfristig wird sich die Arbeitslosenquote, die nun bei 24 Prozent liegt, bei 15 Prozent einpendeln, haben Experten des Wirtschaftsinstituts der Madrider Universität berechnet.
Im Herbst 2015 stehen Wahlen an. Dann dürfte es spannend werden
Als Folge der vor sieben Jahren geplatzten Immobilienblase belasten auch faule Kredite die Gesamtbilanz. Die Rettung von einem halben Dutzend Banken durch Verstaatlichung lastet nach wie vor schwer auf dem Budget, sie war nichts anderes als die Vergesellschaftung der Spekulationsverluste einer kleinen Gruppe extrem fahrlässiger und gieriger Banker, von denen kaum einer dafür belangt werden dürfte. Die allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit mit der schleppenden strafrechtlichen Aufarbeitung der epidemisch verbreiten Korruption in der spanischen Wirtschaft und Politik könnte indes im kommenden Jahr zum Abbruch des Sanierungsprogramms Rajoys führen: Im Herbst 2015 stehen Wahlen an.
Wegen der Verstrickung von Spitzenleuten der PP Rajoys in eine kaum noch zu überblickende Zahl von Finanzskandalen und Korruptionsaffären ist sie in den Umfragen auf rund 20 Prozent abgestürzt, bei den letzten Wahlen 2011 hatte sie noch 44 Prozent erreicht. Als neue Kraft hat sich 2014 die linksalternative Protestpartei Podemos ("Wir können") etabliert. Deren Matadore sprechen von einer Verstaatlichung der Banken und Schlüsselindustrien, einem Grundgehalt für alle und anderen Versatzstücken aus der staatssozialistischen Mottenkiste, die bereits in anderen Ländern, zuletzt in Venezuela, gründlich schief gegangen sind.
Die Europäische Zentralbank sah sich nun in Sorge um die Stabilität Spaniens sogar genötigt, vor dem Programm von Podemos zu warnen. Man hatte in Frankfurt und auch in Brüssel schon die Hoffnung gehabt, Spanien bald endgültig von der Liste der Sorgenkinder streichen zu können. Doch ist es dazu, wie auch die Wirtschaftsexperten von Rajoys PP erkannt haben, noch ein wenig zu früh.