Süddeutsche Zeitung

Wechselkurse:Auf Schnäppchenjagd in Deutschland

Tschechiens Krone hat gegenüber dem Euro rasant an Wert gewonnen. Das schadet der dortigen Industrie, freut aber die Bürger, die nun billig im Westen einkaufen.

Klaus Brill

Manchmal zeigt der Kapitalismus seine angenehmen Seiten, und eine Zeitlang darf man sich dann fühlen wie ein Glückskind. In den vergangenen Jahren ging es vielen Tschechen so. Wenn sie zum Beispiel nach Bayern fuhren, dann war das, rein finanziell gesehen, ein wachsendes Vergnügen. Ihr Geld vermehrte sich rapide und gewann zudem noch rapide an Wert.

Im Jahr 2000 verdiente ein Tscheche durchschnittlich 14.000 Kronen brutto im Monat, das waren damals umgerechnet 400 Euro. Mitte 2005 waren die Löhne und Gehälter schon auf 18700 Kronen gestiegen, umgerechnet nun 625 Euro. 2008 lag der statistische Vergleichswert am 31. März bei 22.531 Kronen, wofür es gut 900 Euro gab. Und heute, vier Monate später, kann man gut und gerne 23000 Kronen als Monatsverdienst annehmen - runde 1000 Euro. In acht Jahren also ein Anstieg von 400 auf 1000 Euro, was einem Zugewinn von 150 Prozent entspricht.

Solche Steigerungsraten haben leicht märchenhafte Züge, auch wenn ein tschechisches Durchschnittseinkommen damit noch immer weniger als die Hälfte eines deutschen ausmacht. Aber immerhin: die Aufholjagd ist in vollem Gange. Ihr Fundament ist das rasante Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum mit Lohnsteigerungen von jährlich mehr als sieben Prozent. Die Arbeitslosigkeit hat in Tschechien gerade mit 4,3 Prozent wieder den niedrigsten Stand seit 1996 erreicht, in vielen Branchen werden Ingenieure, Facharbeiter und auch ungelernte Arbeitskräfte dringend gesucht.

Angst vor Spekulanten

Dass die Tschechen sich heute im westlichen Ausland nicht mehr wie die armen Verwandten aus dem Osten vorkommen müssen, verdanken sie sehr wesentlich aber auch dem günstigen Wechselkurs. Seit geraumer Zeit schon ist ihre Krone die am stärksten an Kraft zulegende Währung der Welt, gefolgt vom polnischen Zloty; auch die slowakische Krone und der ungarische Forint stehen glänzend da. Offenkundig erscheint die Wirtschaftslage in den Tiger-Staaten des östlichen Mitteleuropa vielen Anlegern so günstig und vielversprechend, dass sie ihr Geld gerne in deren Währungen umtauschen. Die tschechische Krone gewann allein in den vergangenen fünf Jahren fast ein Drittel an Wert hinzu.

Kurs fällt rasant

Anfang 2004 musste man für einen Euro noch 32 Kronen bezahlen, Anfang 2008 nur noch 26, und in jüngster Zeit ging der Kurs weiter steil nach unten: Am 21. Juli wurde mit 22,925 Kronen der bisherige Rekord erreicht. Der Dollar fiel in diesen viereinhalb Jahren noch stärker, von 26 auf nur noch 15,07 Kronen am 25. Juli. Dies hat jetzt in Tschechien zu einer lebhaften Diskussion darüber geführt, ob sich da nicht "eine spekulative Luftblase" gebildet habe, wie es die Zeitung Mlada fronta Dnes formulierte. Denn die Experten sind sich einig, dass die erfreuliche ökonomische Entwicklung allein eine derart stürmische Kursentwicklung nicht rechtfertigt.

Manche Analysten halten einen Wert von etwa 26 Kronen je Euro für angemessen. Also fragt man sich, ob da Spekulanten am Werk sind, die angesichts der anhaltenden Probleme in den USA und des Dollar-Verfalls ihr Geld von dort abziehen und stattdessen ihr Heil an den Rohstoffmärkten und in sicheren Währungen suchen. Was noch problematischer wird, wenn einzelne Anleger regelrecht auf die Kursentwicklung wetten und große Summen hin- und herbewegen.

In den Ohren solcher Financiers muss es wie ein Sirenengesang geklungen haben, als Ministerpräsident Mirek Topolanek jüngst erklärte: "Ich glaube nicht, dass das Erstarken der Krone für die tschechische Wirtschaft eine ernstere Bedrohung darstellt." Nach Meinung der Zeitschrift Tyden war dies für die Spekulanten wie "ein Schuss aus der Startpistole".

Der sozialdemokratische Oppositionsführer Jiri Paroubek warf der Regierung vor, mit ihren unbedachten Vorstößen die gute Konjunktur abzuwürgen. Der Höhenflug der Krone hat nämlich auch Nachteile, und zwar für die Exportwirtschaft, die in Tschechien eine bedeutende Rolle spielt. Sie leidet unter der Aufwertung, denn sie verdient ihr Geld in Euro und Dollar und bekommt die Wertminderung dieser Währungen gegenüber der Krone beim Umtausch zu spüren.

Der Präsident des Verbandes der tschechischen Exporteure, Jiri Grund, rechnete vor, die betreffenden Firmen hätten bisher schon einen Schaden von 70 bis 80 Milliarden Kronen - nach jetzigem Kurs um die drei Milliarden Euro - erlitten.

Allein die Firma Skoda Auto zum Beispiel, eine Tochter des VW-Konzerns, hat nach Angaben ihres Vorstandsmitglieds Holger Kintscher im ersten Halbjahr 2008 Kurseffekte von 2,3 Milliarden Kronen (derzeit etwa 96 Millionen Euro) verspürt. Die Folge: Die Erlöse sinken, obwohl die Verkäufe und die Umsätze weiter kräftig steigen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Regierung die Notenbank unter Druck setzt.

Die tschechische Paradefirma, die 90 Prozent ihrer Autos im Ausland absetzt, wickelt deshalb schon jetzt möglichst viele Transaktionen mit dem Mutterkonzern ebenso wie mit den Zulieferern nur noch in Euro ab: Dann stehen Einnahmen in Euro auch Ausgaben in Euro gegenüber.

Andere Exporteure halten es ebenso, und alle sehnen sie den Tag herbei, an dem auch Tschechien den Euro einführt. Als Termin dafür ist aber erst das Jahr 2012 im Gespräch, während der kleine Nachbar Slowakei seine Hausaufgaben für die EU-Kommission bereits gemacht hat und zum 1. Januar kommenden Jahres in die Währungsunion aufgenommen wird.

Die Notenbank soll helfen

Fürs Erste soll nun die Notenbank helfen. Verbandspräsident Jiri Grund nahm jüngst an einer Sitzung des Zentralbankrates teil und verlangte, die Geldhüter mögen die Leitzinsen senken. Die haben freilich zu bedenken, dass die starke Krone immerhin die Inflation von derzeit etwa 6,7 Prozent dämpft.

Alle Aufmerksamkeit richtet sich nun auf eine Sitzung des Zentralbankrates an diesem Donnerstag, nachdem der Zentralbank-Gouverneur Zdenek Tuma jüngst schon eine weitere Lockerung der Kreditpolitik öffentlich in Erwägung zog. Prompt kehrte sich der Trend an der Devisenbörse um, der Wechselkurs liegt wieder bei 23,9 Kronen zum Euro und 15,3 Kronen zum Dollar.

Erleichtert sind darüber auch die Prager Hoteliers und Gastwirte sowie die Reiseveranstalter. Sie leiden natürlich ebenfalls darunter, dass Deutsche, Briten oder Amerikaner längst nicht mehr so billig wie ehedem nach Tschechien reisen können. Das billige Bier im billigen Prag gehört ebenso der Vergangenheit an wie die Billiglöhner und die Billigkäufer aus Tschechien. Schon zeigen sich drastische Folgen. Die Vereinigung der Reisebüros meldete jüngst für die Hauptstadt einen Rückgang der Erlöse in den Restaurants, Geschäften und Reisebüros von 13 Prozent im ersten Halbjahr 2008.

Umso freudiger nutzen viele Tschechen in der Gegenrichtung den Vorteil, den die starke Krone ihnen als Verbraucher im Ausland bietet. Sie buchen ihre Fernreisen jetzt nicht mehr unbedingt ab Prag, sondern verstärkt ab München, Dresden oder Nürnberg - in Euro natürlich. Schon werden auch Wohnungen in Wien für Tschechen billiger als solche in Prag, und manches andere mehr. Die Zeitungen weisen regelmäßig auf gute Gelegenheiten hin, auch im Internet. Selbst in den USA ist vieles günstiger zu haben als zuhause. Weshalb die Post, der Zoll und etliche Speditionen neuerdings förmlich in Paketen aus Amerika ersticken.

Boom in der Oberpfalz

Nicht zuletzt profitieren auch die nächsten Nachbarn in Niederbayern und der Oberpfalz, die vor der EU-Aufnahme Tschechiens 2004 noch fürchteten, ihre Handwerker würden durch die neue Konkurrenz in den Ruin getrieben. Das Gegenteil trat ein: Nur wenige Tschechen mochten im Westen arbeiten, dafür kommen immer mehr von ihnen nach Weiden, Regensburg, Deggendorf oder Passau zum Einkaufen.

"Die geben hier richtig Geld aus", sagt Richard Brunner, der als Geschäftsstellenleiter der Industrie- und Handelskammer Regensburg in Cham für die Oberpfalz die Entwicklung verfolgt. In Cham und anderswo gibt es inzwischen Geschäfte, die tschechischsprachige Verkäufer beschäftigen und gezielt auf die wachsenden Ansprüche der Nachbarn eingehen.

Der Boom in Böhmen hat also auf Bayern übergegriffen, die Arbeitslosenquote ist in der Oberpfalz auf 3,1 Prozent gesunken, in Bad Kötzting sogar auf 2,9 Prozent. "Das ist einmalig niedrig", sagt Brunner. Weshalb sich auch die Oberpfälzer und die Niederbayern in dem Gefühl sonnen dürfen, dass es der Kapitalismus und die Konjunktur derzeit ganz gut mit ihnen meinen.

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SZ vom 05.08.2008/mel
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