US-Kongress:Abgeordnete in Wohnungsnot

Midterm elections

Alexandria Ocasio-Cortez auf der Wahlparty zu den US-Kongresswahlen.

(Foto: AFP)
  • Alexandria Ocasio-Cortez ist zukünftig eines der jüngsten US-Kongressmitglieder überhaupt, die jüngste Frau aller Zeiten im Repräsentantenhaus und gilt als Hoffnungsträgerin der Demokraten.
  • Sie bekommt aber erst nach drei Monaten ihr Gehalt und fragt sich: "Wie soll ich da eine Wohnung kriegen?"
  • Bei dem Gehalt, das sie als Abgeordnete bekommen wird, ist aber davon auszugehen, dass ihr jemand die Miete vorstrecken kann.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Es war so viel Märchenhaftes geschehen im Leben der Alexandria Ocasio-Cortez, dass man wahrlich ins Zweifeln geraten konnte, ob die junge Frau jemals wieder mit irdischen Problemen in Berührung kommen würde: Sieg bei den Vorwahlen der New Yorker Demokraten im Sommer, Sieg bei den Wahlen zum US-Repräsentantenhaus vergangene Woche, eines der jüngsten Kongressmitglieder überhaupt, Hoffnungsträgerin ihrer Partei - was auch immer die 29-jährige Kellnerin aus der Bronx zuletzt anfasste, es wurde zu Gold. Nun aber steht der Umzug ins 350 Kilometer entfernte Washington an, und bei einem Blick auf ihr Konto stellte sie, wie sie der New York Times verriet, fest: "Es bleiben noch drei Monate ohne Gehalt, bis ich Mitglied des Kongresses werde. Wie soll ich da eine Wohnung kriegen?"

Tatsächlich ist es um die Finanzen der jungen New Yorkerin nicht allzu gut bestellt. Die Kaffeehauskette, für die sie bisher arbeitete, zahlte ihr laut Parlamentsverwaltung 2017 ein Gehalt von 26 581 Dollar. Im laufenden Jahr, das Ocasio-Cortez im Wesentlichen mit Wahlkampf verbracht hat, waren es bisher nur 3588 Dollar. Eine 70-Quadratmeter-Wohnung in Washington kostet jedoch im Durchschnitt 25 000 Dollar im Jahr, in den Vierteln rund um das Kapitol gar 30 000.

Nun kann man sich über die Aussage der jungen Frau mit puerto-ricanischen Wurzeln natürlich dennoch mokieren, so wie es Fox News, der Haussender von Präsident Donald Trump, reflexhaft tat. Ocasio-Cortez müsse doch nur die teuren Klamotten verkaufen, die sie jüngst bei einem Fotoshooting trug, sagte Ed Henry, einer der Moderatoren, damit sei die erste Monatsmiete schon gesichert. Und tatsächlich: Die bisher so mittellose Kaffeehausbedienstete wird von Ende Januar an ein jährliches Abgeordnetensalär von 174 000 Dollar beziehen, da sollte sich jemand finden lassen, der ihr das Geld für zwei, drei Monatsmieten vorstreckt.

Und doch hat die Neu-Parlamentarierin ein Problem angesprochen, das in ihrer Generation nur allzu bekannt ist. Der Rückgang unbefristeter Arbeitsverhältnisse gerade für junge Menschen, die Entstehung der Gig Economy, die Finanzkrise von 2008 und der gleichzeitige drastische Anstieg der Mieten haben dazu geführt, dass viele sogenannte Millennials deutlich größere Probleme haben als frühere Generationen, auszuziehen, sich in einer der großen Städte des Landes niederzulassen und eine Familie zu gründen. In Washington etwa sind die Mieten über gut zwei Jahrzehnte um 86 Prozent gestiegen, die Realeinkommen aber nur um 33 Prozent. Bei jungen Erwachsenen ist die Lücke noch erheblich größer.

Nach einer Umfrage der Tageszeitung USA Today und der Bank of America werden vier von zehn Millennials von ihren Eltern finanziell unterstützt - und das nicht nur bei großen Einmalposten wie dem Kauf eines Autos oder der Anzahlung für eine Eigentumswohnung. Vielmehr springen Mama und Papa auch bei laufenden Kosten etwa für die Miete, die Kinderbetreuung oder das Telefonieren ein. Das Nettovermögen, das Millennials mit Anfang 30 vorweisen können, liegt - im Durchschnitt und in aktuellen Preisen - um ein Drittel unter dem, worüber ihre Eltern zum gleichen Zeitpunkt ihres Berufslebens verfügten. Die Entwicklung hat dazu beigetragen, dass junge Erwachsene heute öfter und länger bei den Eltern wohnen und seltener wegziehen. Oft reicht ein in Aussicht gestelltes höheres Gehalt nicht aus, um die Mietkosten in Metropolen wie New York, Washington oder gar San Francisco aufzuwiegen.

Immerhin, auf den Mund gefallen sind Millennials nicht. Ocasio-Cortez jedenfalls konterte die Kritik der Trump-Jünger bei Fox mit deutlichen Worten: Hochbezahlte Fernsehmoderatoren, die zu den Spitzenverdienern der Gesellschaft zählten, so lautete ihre Botschaft, hielten beim Thema Wohnungsnot am besten die Klappe.

Korrektur: In einer vorherigen Fassung des Artikels hieß es fälschlicherweise, dass Ocasio-Cortez zukünftig das jüngste Kongressmitglied aller Zeiten sei. Korrekt ist jedoch, dass sie von Januar an im aktuellen Kongress das jüngste Mitglied sein wird - als jüngste Frau, die jemals ins Repräsentantenhaus gewählt wurde.

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