Mittelständler Jürgen R. Schmid:"Wir machen nie das, was der Kunden sagt."

Jürgen Schmid ist Industriedesigner und hat sich auf den Maschinenbau spezialisiert. Die Kunden, behauptet er, wissen häufig gar nicht, was ihnen gefällt und was nicht.

Von Elisabeth Dostert

Design Tech

Schön sollen auch Maschinen sein. Diese Maschine für 3D-Druck von der Firma Arburg hat der Industriedesigner Jürgen R. Schmid entworfen. Zu einem schönen Äußeren gehört auch ein schöner Name: sie heißt Freeformer.

(Foto: oh)

Schön müssen auch Maschinen sein, weil sie sich dann besser verkaufen. Darüber, was gut und schön ist, haben die Kunden haben manchmal ganz andere Vorstellungen als Designer.

Was machen Sie eigentlich?

Wir entwickeln Designs für Maschinen. Wir haben uns auf den Maschinenbau spezialisiert.

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich darf natürlich über Vieles nicht reden, weil wir uns vertraglich zu Verschwiegenheit verpflichtet haben. So viel darf ich sagen: Wir arbeiten gerade an Baumaschinen, Funktionsflugzeugen, zum Beispiel Löschflugzeuge. Wir arbeiten auch an der Schnittstelle Mensch Maschine, also wie muss eine gute Bedienung aussehen.

Dürfen Sie über abgeschlossene Projekte reden?

Wir haben für die Firma Arburg das Design von Spritzgussmaschinen entwickelt, zum Beispiel den Freeformer - eine Maschine für 3D-Druck.

Warum muss eine Maschine schön sein?

Das weiß ich auch nicht!

Aber Sie lassen sie doch gut aussehen oder nicht?

Die Schönheit bekommen unsere Kunden kostenlos mitgeliefert, wir können gar nicht anders als schön. Aber das ist nicht unser eigentlicher Auftrag. Das ist der unternehmerische Mehrwert, den das Design bringt.

Die Firma

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  • Gründer und Geschäftsführer Jürgen R. Schmid, 55
  • Gegründet 1983
  • Sitz: Ammerbuch
  • Mitarbeiter: 12
  • Umsatz: 1,8 Millionen Euro (2014)

Ein Beispiel, bitte!

Arburg hatte uns den Auftrag gegeben, Technik zu verkleiden. Die technischen Komponenten standen schon fest, die Anordnung war noch einigermaßen flexibel, das ist wichtig für die Dimensionen des Geräts. Wir haben dann festgestellt, dass die Maschine durch eine normale Tür durchpassen muss, also nicht breiter als 90 Zentimeter sein darf. Darauf haben wir unser Design ausgerichtet. Arburg war auch der Meinung, dass die Verkleidung aus Blech sein muss, weil sich die Firma gut mit Blechverarbeitung auskennt. Wichtig für das Design ist auch, an wen die Maschine verkauft wird. Der Freeformer geht zum Teil in die Industrie, aber auch an Büros und Labore.

Heißt?

Wir waren der Meinung, dass Blech nicht überall funktioniert. Über diese Vorgabe haben wir uns dann hinweg gesetzt und eine Version aus Kunststoff präsentiert, die eine ganz andere Formensprache zulässt.

Ganz schön frech, die Wünsche des Kunden zu missachten! Wer zahlt, schafft an!

So denken wir überhaupt nicht. Wir machen nie das, was der Kunde sagt, sondern das, was wir für richtig halten. Die Kunden schätzen das. Die erwarten ja erst einmal das, was sie selber könnten. Auf unsere Ideen kommen die gar nicht. Wir entwickeln gemeinsam eine Antwort auf die Frage: Was wollen wir mit dem Design erreichen?

Was antworten Ihre Kunden?

Wir wollen den Absatz verdoppeln. Das schreiben wir dann in die Zielformulierung rein.

Wie waren die ersten Reaktionen auf den Kunststoff-verkleideten Freeformer?

Wir waren schon angespannt bei der Präsentation. Wir können ja auch mal falsch liegen. Wer sich weit vor wagt, geht immer ein Risiko ein - gerade bei einem neuen Kunden. Aber es hilft nichts: Wir müssen unseren Überzeugungen treu bleiben. Arburg hat das Kunststoffgehäuse gefallen, obwohl sie es dann nicht selbst fertigen konnten.

Die Maschine sieht gut aus, aber wo bitte ist der Mehrwert?

Der Freeformer kann herkömmliches Granulat zum Drucken verwenden...

... die Technologie stammt aber nicht von Ihnen!

Aber das Gehäuse transportiert jetzt diese Technologie, weil es auch aus Kunststoff ist. Durch die großen Klappen und die großen Fenster ist die Maschine leicht zu befüllen und zu bedienen. Aber der Hauptnutzen steckt in der Akzeptanz des Designs.

Klingt sehr abstrakt!

Wenn Sie heute ein Smartphone haben, dessen Design nicht beim Kunden ankommt, verkaufen sie es nicht, auch wenn es vielleicht eine ganz tolle Technik hat.

"Wir Menschen neigen dazu, etwas, was groß ist, für wertiger zu halten."

Woher wissen Sie, was den Kunden gefällt? Sie konnte ja nicht die Kunden von Arburg befragen.

Die Kunden wissen gar nicht, was ihnen gefällt und was nicht. Für die zählt zunächst einmal die Technik. Deshalb schauen wir uns immer den Markt und die Konkurrenten an, wir befragen die Anwender. So erfahren wir, worauf es dem Kunden ankommt. Das ist der systematische Aspekt. Der andere ist intuitiv. Ich mache das jetzt seit 30 Jahren. Ich habe schon ein Gespür für gutes Design.

Heißt aber: Dem Kunden des Maschinenherstellers ist eine gute Technik in einer hässlichen Hülle immer noch lieber als Murks in schönem Design?

Ja. Aber im Unterbewusstsein des Betrachters entwickelt das Design schon eine starke Wirkung. Ein Gehirnforscher hat mir mal gesagt, dass praktisch keine Entscheidung, auch keine Investitionsentscheidung, rational getroffen wird, sondern aus dem Bauch heraus. Unser Gehirn weiß, was wir wollen, bevor es uns bewusst wird. Wenn man anfangen muss, einem Kunden die Technik lange zu erklären, hat man schon verloren. Das muss sich schnell erschließen, dabei hilft ein gutes Design.

Ein Kunststoffgehäuse für eine Maschine, die Kunststoffe druckt.

Zum Beispiel. Ein Kunde bat uns einmal um Rat. Er hatte zwei Maschinen, die eine für 800 000 Euro, die andere für 400 000 Euro. Die hatten die gleiche Größe und sahen gleich aus. Die Verkäufer taten sich schwer, das teurere Gerät zu verkaufen, obwohl dessen Produktivität sehr viel höher war. Der Kunde wusste nicht recht, woran es lag. Wir haben dann herausgefunden, dass schon die Verkäufer nicht richtig motiviert waren, das bessere Gerät zu verkaufen, weil sie so viel erklären mussten. Wir haben dann ein Design entwickelt, das sofort signalisierte, die eine Maschine ist hochwertiger und dynamischer als das Standardgerät. Danach hat sich die Dauer der Verkaufsgespräche halbiert, die Vertriebler kamen schneller zum Abschluss.

Was genau haben Sie sich ausgedacht, ein goldenes Gehäuse oder anderen Schnickschnack?

Im übertragenen Sinne schon. Wir haben die Verarbeitungsqualität der Verkleidung verbessert, in dem wir zum Beispiel im Sichtbereich die Schrauben verschwinden ließen. Wir ließen dann auch die teurere Maschine größer aussehen, obwohl sich an der Technik nichts verändert hat. Wenn man die beiden Maschinen nebeneinander sieht, glaubt keiner, dass sie die gleiche Stellfläche haben. Wir Menschen neigen dazu, etwas, was groß ist, für wertiger zu halten. Wenn ich eine Idee auf einer Serviette skizziere, ist sie nix wert. Wenn ich die gleiche Skizze mit einem CAD-Programm am Computer erstelle und sie als Plakat ausdrucke, wirkt sie eindrucksvoller und teurer.

Ist die Einsicht, dass Maschinen nicht bloß funktionieren müssen, sondern auch ein ansprechendes Design haben müssen, heute größer als 1983 als Sie angefangen haben?

Visionäre gibt es heute so wenige wie damals, vielleicht heute sogar weniger, weil managergeführte Unternehmen die falschen Belohnungssysteme haben. Da geht es in erster Linie ums schnelle Geld und das alltägliche Geschäft. Die Globalisierung hat diesen Druck noch erhöht. Es dauert lange, bis Visionen wirken. Es gibt mehr Pragmatiker, die wissen, wenn eine Maschine gut aussieht, bringt sie mehr Geld. Design ist Standard.

Designer, die besondere Möbel oder Autos entwerfen, landen mit ihren Stücken im Museum. Sie nicht. Was fasziniert Sie dennoch an Maschinen?

Ich habe auch angefangen mit Kaffeemaschinen, Eierkochern und Skibindungen. In den 80er Jahren galt, jeder Industriedesigner muss mal eine Kaffeemaschine entworfen haben.

Wieso?

Das kann man heute nicht mehr nachvollziehen. Für einen Designer waren das damals Traumaufträge, da konnte man sich einen Namen mit machen. Also habe ich auch welche gemacht. Aber es macht keinen Spaß, die 273. Kaffeemaschine zu designen. Das waren dann nur ästhetische Variationen um die identische Technologie herum. Im Maschinenbau konnte man noch was bewirken. Ich habe dann schnell gemerkt, dass die Ergebnisse besser sind, wenn ich mich auf eine Sache konzentriere. Wir gucken uns ja nicht nur das Produkt an, sondern alle erfolgsrelevanten Faktoren drum herum: die Menschen, die Firma, die Konkurrenten, den Markt, möglichst viel. Daraus entwickeln wir ein Profil und dann die Ideen.

Welche Rolle spielt denn der Absatzmarkt. Sähe der Freeformer anders aus, wenn die Hauptabnehmer in China säßen?

Nein. In Asien sähe er ähnlich aus wie in Europa. In den USA sähe er anders aus, die mögen mehr Heavy Duty. Da wäre es sicher eine Blechkiste geworden. Die Europäer sind - sehr verkürzt formuliert - die Perfektionisten. Wir hatten mal von dem japanischen Unternehmen Makino den Auftrag, für eine Maschine ein global taugliches Design zu entwickeln.

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Diese Maschine des japanischen Herstellers Makino kann Metall bearbeiten und muss überall gut aussehen, weil sie weltweit verkauft wird. Die Oberfläche sind ein bisschen aus wie Origami. Die Anspielung auf Papierfaltkunst verweist auf das Herkunftsland. Die robuste Anmutung eines Granitblocks spricht US-Kunden an.

(Foto: oh)

Was haben Sie gemacht?

Die Hülle haben wir in Origami-Optik gehalten, um die Herkunft zu betonen. Verarbeitungsqualität und Details entsprechen eher europäischen Ansprüchen. Das Amerikanische sind die robusten Proportionen und die robuste Anmutung. Die Maschine steht da wie ein Granitblock.

Was kann das Ding?

Metall bearbeiten.

Lassen Einfallsreichtum und Kreativität mit dem Alter nach?

Ich habe heute verrücktere Ideen als damals, als ich frisch von der Uni kam.

Vielleicht waren Sie als junger Mensch um ihre Existenz bangend einfach ängstlicher!

Ich habe 1983 mit 3000 Mark begonnen und ohne Auftrag. Ich hatte Familie, meine Tochter war gerade unterwegs. Da stand ich schon unter Druck und habe nicht in dieser Konsequenz wie heute die Aufträge abgewickelt.

Waren Sie auch mal festangestellt?

Ich hatte drei Anstellungen in zwei Jahren. Mir ist aber immer schnell langweilig geworden. Seit 1983 hatte ich keine Langeweile mehr. Ich tauge nicht als Angestellter.

Warum nicht?

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Design-Tech-Gründer Jürgen R. Schmid trägt am liebsten Weiß. Damit fällt er auf alle Fälle auf.

(Foto: oh)

Ich muss meinen Überzeugungen folgen. Wenn ich ein Projekt habe, habe ich auch relativ schnell eine Idee. Die will ich dann rasch umsetzen. Da brauche ich nicht irgendwelche Skeptiker, die mir ständig sagen, was nicht geht.

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