Was machen eigentlich ... Marcus und Frank Wirthwein?:"Wenn wir etwas kaufen, wollen wir es behalten"

Viele große Namen gehören zu ihren Kunden - doch das Unternehmen der Brüder Marcus und Frank Wirthwein mit einem wirklich üppigen Produktportfolio kennt kaum jemand.

Interview: Elisabeth Dostert

Wirthwein

Eine Mitarbeiterín von Wirthwein kontrolliert die Fensterrahmenverkleidung für ein Auto.

(Foto: oh)

Wirthwein ist eines dieser Familienunternehmen, dessen Produkte in ganz vielen Dingen stecken - in Waschmaschinen, Zügen und Autos.

Was machen Sie eigentlich?

Marcus Wirthwein: Kunststoffteile, Parkett und Galleys für Züge.

Ein ziemliches Sammelsurium!

Marcus Wirthwein: Wir fahren gut damit. Jedes Geschäftsfeld hat seine eigene Konjunktur und folgt eigenen Zyklen. So streuen wir das Risiko.

Was machen Sie aus Kunststoff?

Marcus Wirthwein: Laugenbehälter für Waschmaschinen, Besteckkörbe, Lüfterräder für Ventilatoren, Türmodule, Schiebedachkomponenten, Kunststoffteile für den Gleisbau und vieles mehr.

Dürfen Sie Kunden nennen?

Marcus Wirthwein: BMW, Audi, Mercedes, Porsche, General Motors, Bosch Hausgeräte, den Schiebedachhersteller Webasto, den Ventilatorenproduzenten EBM Papst, Fresenius, Vossloh, es sind viele.

Wer ist Ihr größter Abnehmer?

Marcus Wirthwein: Die Autoindustrie, dicht gefolgt von den Hausgeräteherstellern.

Wer macht den stärksten Druck?

Frank Wirthwein: Der Preisdruck ist im Geschäftsfeld Automotive am größten. Das ist ja kein Geheimnis. Er hat auch in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen.

Vielleicht wird er jetzt noch größer, weil VW und Tochterfirmen wie Audi infolge der Abgasaffäre sparen müssen. Machen Sie sich Sorgen?

Frank Wirthwein: Wir machen uns Gedanken. Wir merken noch nichts. Der Umsatzanteil von VW und Audi ist auch nicht so groß.

Ihre Existenz ist nicht gefährdet, wenn Audi morgen nichts mehr bestellt?

Marcus Wirthwein: Das werden sie nicht, und es würde uns auch nicht umbringen. Das ist der Vorteil des Sammelsuriums. Wir sind breit aufgestellt.

Die Firma

Wirthwein Gruppe

  • Sitz: Creglingen
  • Umsatz Gruppe: rund 450 Millionen Euro (Planzahl 2015)
  • Beschäftigte: 3300
  • Gründung: 1949 durch Walter Wirthwein
  • Gesellschafter: Familie Wirthwein
  • Geschäftsführende Gesellschafter: Marcus Wirthwein, 41, und Frank Wirthwein, 39

Aber welche Synergien bringen die Produktion von Parkett und Kunststoffteilen?

Marcus Wirthwein: Gar keine. Die Firma Bembé Parkett arbeitet recht autark. Sie gehört ja auch nicht zur Wirthwein AG, sondern ist wie diese Teil der Wirthwein-Gruppe.

Weshalb haben Sie denn Bembé Parkett übernommen - aus Mitleid, weil der Familienunternehmer Jucker keinen Nachfolger hatte?

Frank Wirthwein: Das würde ich so nicht sagen. Das lief über die Sparkasse. Bembé sitzt in Bad Mergentheim, das sind keine 20 Kilometer von hier. Die Bank hat damals meinen Vater angesprochen. Und das war eine weitere Möglichkeit zu diversifizieren. Ganz abwegig ist das mit dem Holz auch nicht. Mein Großvater Walter, der 1949 die Firma gegründet hat, fing mit Holzpflöcken für die Bahn an. 1967 ist er dann auf Kunststoff umgestiegen. Zur Firma Winkler kamen wir auf ähnliche Weise wie zu Bembé, da hat auch der Sparkassendirektor meinen Vater angesprochen, weil wir ja schon für die Bahn arbeiteten. Winkler hat früher die ICEs mit Bistros ausgestattet. Wir bauen gerade Galleys für internationale Kunden. Unter anderem auch einen Tourismuszug in den USA. Die Musterwagen stehen in Röttingen, das ist auch nicht weit weg von Creglingen.

Heißt: Immer wenn ein Sparkassen-Direktor hier in der Gegend ein Unternehmen nicht los wird, ruft er bei den Wirthweins an!

Marcus Wirthwein: Ich nenne das Netzwerk. Wir haben uns in diesem Jahr auch mit 70 Prozent an einer Firma für Kunststoffteile in der Türkei beteiligt, das war eine ganz normale Transaktion und lief über einen Berater. Wir bekommen jede Woche Firmen angeboten. Das gucken wir uns dann an.

Was fehlt Ihnen denn noch?

Marcus Wirthwein: Wir würden gerne die Sparte Medizintechnik ausbauen, weil die am lukrativsten ist, allerdings auch am anspruchsvollsten. Die Teile müssen im Reinraum hergestellt werden, also Räumen, die frei von Partikeln in der Luft sind.

Haben Sie schon mal eine Tochterfirma verkauft oder aufgegeben?

Frank Wirthwein: Nein. Wir sind ja kein klassisches M&A-Unternehmen. Wenn wir etwas kaufen, wollen wir es behalten und ausbauen, auch durch Zukäufe.

Und die Sparkasse leiht Ihnen das Geld für die Übernahme!

Frank Wirthwein: Wenn sie uns ein gutes Angebot macht. Wenn nicht, dann eben eine andere Bank.

Haben Sie sich denn eine Grenze gesetzt. Wie groß, gemessen am Umsatz, darf ein Unternehmen höchstens sein, damit Sie die Übernahme verkraften können?

Frank Wirthwein: Die Grenze haben wir, die wollen wir aber nicht sagen. Das hängt von zu vielen Faktoren ab. Wie groß ist es? Eine Firma von 100 Millionen Euro würden wir nicht kaufen. Wie teuer ist der Zukauf? Wenn sie zwei Euro kostet, vielleicht schon.

"Wir schmeißen niemanden raus."

Kaufen Sie marode Firmen?

Marcus Wirthwein: Wir haben insolvente Firmen gekauft, einige sogar. Winkler war unsere Erste, die wir aus der Insolvenz übernommen haben.

Wie viele Firmen haben Sie in den vergangenen zehn Jahren gekauft oder an wie vielen sich beteiligt?

Marcus Wirthwein: Etwa ein Dutzend.

Haben Sie jetzt eine Blaupause, wie man Firmen integriert?

Marcus Wirthwein: Da gibt es kein Patentrezept.

Aber es muss doch Lerneffekte geben!

Marcus Wirthwein: Ja schon.

Wie geht man am besten mit den Ängsten von Mitarbeitern eines insolventen Unternehmens um, die fürchten, jetzt kommt der Wirthwein und schmeißt die Hälfte der Belegschaft erst einmal raus.

Frank Wirthwein: Wir schmeißen niemanden raus. Das hat meist schon der Insolvenzverwalter erledigt. Häufig freuen sich die Mitarbeiter der übernommenen Firma, weil wieder ein Familienunternehmen an Bord ist. 2012 haben wir die ehemalige ttb-Gruppe übernommen, die war vorher durch die Hände von mehreren Finanzinvestoren gegangen. Die Mitarbeiter haben sich gefreut, dass sie wieder zu einem Familienunternehmen gehören wie ganz früher.

Aber Sie wollen doch Gewinn machen wie jeder andere Investor auch?

Frank Wirthwein: Wir wollen Geld verdienen. Aber ein Finanzinvestor zieht das Geld aus dem Unternehmen raus, wir lassen alles drin. Wir schütten nie aus.

Marcus Wirthwein: Mein Bruder und ich bekommen ein Gehalt, mehr nicht. Die Familie bekommt keine Dividende.

Dann zahlen Sie sich eben ein fürstliches Gehalt!

Marcus Wirthwein: Ich kenne eine Reihe familienfremder Manager in Firmen ähnlicher Größe, die verdienen deutlich mehr. Wir sind sehr bescheiden aufgewachsen, wir kommen über die Runden.

Das war jetzt nicht sehr bescheiden! Nach einer Studie von Ernst & Young haben viele deutsche Unternehmerkinder so gar keine Lust auf Nachfolge. Die lassen sich lieber anstellen oder gründen selbst. Wie hat Ihnen Ihr Vater die Firma schmackhaft gemacht?

Marcus Wirthwein: Er hat nichts gemacht. Die Frage haben wir uns nie gestellt. Das hat sich einfach so ergeben.

"Ergeben" klingt nicht gerade nach schierer Begeisterung!

Marcus Wirthwein: Ist es aber. Unser Vater hat uns nie diktiert, was wir zu tun und zu lassen haben, auch nicht, dass wir in die Firma einsteigen sollen.

Was ist denn der Reiz des Sammelsuriums?

Frank Wirthwein: Sein eigener Chef zu sein, etwas bewegen und gestalten zu können, ohne jemanden fragen zu müssen. Natürlich rede ich mit meinem Bruder darüber und wir stimmen uns mit unserem Vater ab, der ja im Aufsichtsrat sitzt.

Marcus Wirthwein: Mir hat die Firma immer Spaß gemacht, schon als kleiner Junge. In den Ferien haben wir hier gearbeitet.

War der Job gut bezahlt?

Marcus Wirthwein: Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht ein paar Mark in der Stunde. Mit 14 wollte ich ein Moped. Da hat mein Vater gesagt, da gehst Du arbeiten, dann kannst Du eins kaufen. Ich war dann noch bei der Oma, die hat dann wenigstens den Führerschein bezahlt.

Und dieses unternehmerische Vorbild Ihres Vaters hat Sie zur Nachfolge bewegt?

Marcus Wirthwein: Das vielleicht gerade nicht. Aber durch die Ferienjobs haben wir die Firma kennengelernt. Die Firma war immer präsent. Meine Eltern wohnen noch heute auf dem Werksgelände. Wenn wir zur Schule gingen, sind wir erst einmal über das Werksgelände gelaufen.

Frank Wirthwein: Die Leute kannten uns und kennen uns heute noch alle.

Das hat schöne und weniger schöne Seiten. Sie stehen unter Beobachtung des ganzen Ortes ...

Frank Wirthwein: ... das ist wohl wahr.

Wenn Sie hier mal 50 Stellen streichen, gibt es einen Aufstand und Sie bekommen Besuch vom Bürgermeister!

Marcus Wirthwein: Auch das ist uns bewusst.

Ist Ihr Vater eigentlich stolzer auf Sie oder Sie stolzer auf Ihren Vater?

Marcus Wirthwein: Wir sind sehr stolz auf unseren Vater. Ob er stolz ist auf uns, müssen Sie ihn fragen.

Was denken Sie denn?

Marcus Wirthwein: Ob das Stolz ist oder Vertrauen? Vertrauen hat er, sonst hätte er sich nicht mit 70 Jahren in den Aufsichtsrat verabschiedet.

Es gibt düstere Geschichten von Patriarchen, die sich in den Aufsichtsrat zurückziehen und ständig in das operative Geschäft hineinregieren.

Frank Wirthwein: So eine Art geschäftsführender Aufsichtsratsvorsitzender (lacht). So ist er nicht. An dem Tag als er den Aufsichtsratsvorsitz übernommen hat, hat er die Krawatte abgelegt. Er signalisiert ganz deutlich: "Ich bin hier nicht mehr in der operativen Verantwortung."

Marcus Wirthwein: Er kommt aber jeden Morgen ins Büro, wenn er nicht gerade irgendwo in der Welt unterwegs ist.

Frank Wirthwein: Ich habe den Eindruck, unsere Mutter schickt ihn weg.

Marcus Wirthwein: Er kümmert sich auch um seine Enkelkinder. Die gehen vor.

Wann haben Sie ihn das letzte Mal um Rat gefragt?

Frank Wirthwein: Letzte Woche Dienstag.

Um was ging's?

Frank Wirthwein: Um eine Akquisition.

Marcus Wirthwein: Das war aber kein Rat. Wir haben ihn nach seiner Meinung gefragt.

Bei wem von Ihnen dürfen denn Ihre Eltern Weihnachten verbringen?

Frank Wirthwein: Sie dürfen schon, aber sie sind dann meistens in den Bergen. Am liebsten wäre es ihnen, wenn wir alle mitfahren.

Marcus Wirthwein: Wir sehen uns dann an Silvester.

Gibt es keine Geschenke für die Enkel?

Marcus Wirthwein: Doch. Aber meine Frau und ich achten darauf, dass das nicht überhandnimmt. Meistens erkundigen sich die Großmütter, was die Kinder denn brauchen. Die Kinder sollen wissen, dass es an Weihnachten nicht um Geschenke geht, sondern um etwas anderes.

Wirthwein
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