Was Deutschland tut:Methode Klöckner

Die Ernährungsministerin will erreichen, dass die Industrie freiwillig weniger Zucker und Salz in ihre Nahrungsmittel mengt. Aber hilft das?

Von Julian Erbersdobler

Lässt sich mit einer Abgabe steuern, dass Menschen gesünder leben? Diese Frage wird auch in Deutschland diskutiert. Eine Zuckersteuer wie beispielsweise in Großbritannien oder Norwegen lehnt Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) allerdings ab. Im Dezember vergangenen Jahres hatte Klöckner ihre "Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz" angekündigt.

Ihr Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft möchte Verbraucherinnen und Verbraucher dabei unterstützen, sich "gesundheitsförderlich" zu ernähren; und es will dafür sorgen, dass Lebensmittel gesünder werden. Was heißt das genau? Die Ministerin setzt auf die Selbstverpflichtung der Konzerne. Unternehmen wie Nestlé sollen freiwillig weniger von den gesundheitsschädlichen Stoffen in ihre Produkte mengen. Die Strategie soll bis Ende 2025 umgesetzt sein. Das bedeutet: Bis dahin soll Zucker in Frühstückscerealien für Kinder um mindestens 20 Prozent reduziert werden, bei Erfrischungsgetränken und Kinderjoghurts soll das Minus 15 beziehungsweise zehn Prozent oder mehr betragen. Außerdem ist angepeilt, bei der Produktion von Brot und Fertigpizzen weniger Salz zu verwenden.

Vielen geht das nicht weit genug. Kritiker halten freiwillige Verpflichtungen mit der Industrie für viel zu schwach. Sie fürchten, die Branche könne sich ohne gesetzliche Vorgaben zu leicht aus der Affäre ziehen. Schon 2018 hatte ein Bündnis aus mehr als 2000 Ärzten, Fachorganisationen und Krankenkassen eine Zuckersteuer gefordert. Die Einführung einer Steuer auf gesüßte Getränke kann nach Ansicht des Bündnisses ein Anreiz für Hersteller sein, den Zuckergehalt zu senken. Die Einnahmen daraus ermöglichten es, Obst und Gemüse billiger zu machen, hieß es in dem Aufruf an die Bundesregierung. Für eine Zuckersteuer setzt sich auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) ein. "Die höhere Besteuerung von Tabak und Alkopops hat gezeigt, dass damit der Konsum schnell und deutlich gesenkt werden konnte", sagt sie. Zudem seien weitere Maßnahmen nötig: "Zucker in Babynahrung sollte verboten, für Fertiglebensmittel und Getränke müssen verbindliche Zucker-Reduktionsziele festgelegt werden."

Es geht um einen gewaltigen Markt. Allein im Erntejahr 2017/18 wurden weltweit 194 Millionen Tonnen Zucker produziert, so viel wie von keinem anderen organischen Einzelstoff weltweit. Auch Deutschland gehört zu den wichtigen Produzenten. Im Zuckerbusiness geht es um ein Milliardengeschäft - und mit der wirtschaftlichen Vereinigung Zucker sitzt ein mächtiger Lobbyverband in Berlin.

Anfang Juni veröffentlichte Klöckners Ministerium ein kurzes Video auf Twitter, das für Aufregung sorgte. Darin war die Ministerin mit Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch vor der Kamera zu sehen. Sie würdigte das Unternehmen dafür, dass es den Zucker-, Salz- und Fettgehalt seiner Lebensmittel reduziert habe. Der Beginn eines Shitstorms. Hat Klöckner Werbung für Nestlé gemacht? Wurden Grenzen überschritten? Das waren nur zwei der Fragen, die im Nachgang diskutiert wurden. Auch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) beschäftigte sich mit dem Fall. Das Video sei keine Schleichwerbung, teilte die Anstalt am Dienstag mit. Zu diesem Ergebnis kam die MABB nach einem Gespräch mit Vertretern des Ministeriums.

Fest steht: Wer viel Zucker isst, nimmt mit großer Wahrscheinlichkeit zu und steigert so das Risiko für Bluthochdruck, Schlaganfälle und Herzinfarkte. In Deutschland gilt mehr als die Hälfte aller Erwachsenen als übergewichtig. 53 Prozent aller Volljährigen hatten 2017 laut Angaben des Statistischen Bundesamts einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 25. Die Ergebnisse basieren auf einer Einteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), nach dieser Skala werden Menschen mit einem BMI von 25 an als übergewichtig eingestuft.

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