Süddeutsche Zeitung

Was auf den Neuen wartet:Dauerthema Diesel

Das Landgericht Stuttgart fällt ein brisantes Urteil und wirft Daimler "sittenwidriges Verhalten" vor, der Konzern wehrt sich vehement.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Dieses Urteil hat in der Vorstandsetage der Daimler-Zentrale in Stuttgart-Untertürkheim keine Begeisterung ausgelöst. Das Landgericht Stuttgart hat den Autohersteller am 9. Mai dazu verdonnert, einem Mercedes-Käufer exakt 25 254,37 Euro Schadenersatz zu zahlen. In seiner Urteilsbegründung spricht der Richter von "sittenwidrigem Verhalten". Es geht um eine Abschalteinrichtung in der Abgasreinigung des Dieselmotors. Der Richter wirft dem Unternehmen vor, es habe nicht nur den Käufer, sondern auch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ausgetrickst. Zudem verortet das Gericht diese Taten auf der höchsten Management-Ebene.

Das alles klingt, als müsste der am Mittwoch scheidende Daimler-Boss Dieter Zetsche ernsthaft rechtliche Konsequenzen befürchten. Doch das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Konzern hat Berufung eingelegt und weist auf einen OLG-Richter hin, der die Rechtsprechung der 23. Stuttgarter Zivilkammer scharf kritisiert.

Das Urteil mit dem Aktenzeichen 23 O 220/18 spricht von einem "besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das KBA, welches von der Beklagten ebenfalls durch Nicht-Offenlegung der unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht wurde." Zudem sei "davon auszugehen", dass die Abschalteinrichtung "mit Wissen und Wollen eines oder mehrerer Mitglieder des Vorstands der Beklagten oder eines oder mehrerer Repräsentanten" installiert worden sei.

Daimler kann dieses Urteil nach Angaben eines Sprechers "nicht nachvollziehen" und wird Berufung einlegen. Bislang seien 120 ähnliche Klagen von Kunden abgewiesen und nur neun stattgegeben worden. Gegen alle neun Urteile gehe Daimler in Berufung. Auf Oberlandesgericht-Ebene gebe es bisher drei Urteile zu Gunsten des Konzerns und kein einziges gegen ihn. Anders als Volkswagen habe Daimler auch keine Vergleiche mit Klägern ausgehandelt, um ein ungünstiges Berufungsurteils zu verhindern.

Und von den neun Landgerichts-Urteilen gegen Daimler kämen alleine fünf von der 23. Zivilkammer in Stuttgart. Die Rechtsauffassung dieser Kammer werde "in Fachkreisen durchaus kritisch gesehen", betont ein Daimler-Sprecher. Er verweist auf die Veröffentlichung eines Richters vom Oberlandesgericht Celle in der Fachzeitschrift Deutsches Autorecht (DAR) aus dem Hause ADAC. "Die Entscheidungen des LG Stuttgart sind von einer gewissen Einseitigkeit getragen", schreibt der Richter. Zudem ließen sie "die gebotene Distanz" zur Deutschen Umwelthilfe "vermissen". Sein Fazit lautet: "Es ist zu hoffen, dass die Urteile beziehungsweise deren tragende Gründe nicht als Vorlagen für andere, ähnliche Entscheidungen dienen."

Diesen Kommentar wiederum weist der Münchner Kläger-Anwalt Thorsten Krause vehement zurück. Das Oberlandesgericht Stuttgart habe in einer Berufungsverhandlung "durchaus" angedeutet, dass die Urteile der 23. Kammer "Substanz haben" und die umstrittenen sogenannten Thermofenster in der Motorsteuerung "unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen können". Es bleibt spannend beim Thema Daimler und Diesel, nicht nur im Landgerichtsbezirk Stuttgart.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2019
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