Börse:Hängt die Wall Street Europa noch weiter ab?

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Die New Yorker Börse im Dezember. (Foto: Adam Gray/REUTERS)

Seit 15 Jahren läuft die US-Börse den europäischen Aktienmärkten davon. Durch Trumps Wahlsieg könnte sich dieser Prozess noch beschleunigen.

Von Harald Freiberger

Manchmal erzählen zwei Kurven eine sehr interessante Geschichte, wann man sie übereinanderlegt. So ist das mit den Kurven, die die Entwicklung des amerikanischen und des europäischen Aktienmarkts seit 1989 beschreiben. Da ist auf der einen Seite der S&P 500, der wichtigste US-Aktienindex, und auf der anderen Seite der Euro-Stoxx-50, der wichtigste europäische Aktienindex. Von 1989 bis 2009 laufen sie bei allen Höhen und Tiefen fast synchron. Doch danach öffnet sich die Schere mit jedem Jahr immer weiter. Die US-Börse läuft der europäischen davon, mit dem Ergebnis, dass der S&P 500 heute 17-mal so hoch steht wie vor 35 Jahren, der Euro-Stoxx-50 aber nur knapp fünfmal so hoch.

Es ist die Geschichte zweier westlicher, industriell geprägter Wirtschaftsblöcke, die sich über lange Zeit im Gleichklang entwickeln, bis es irgendwann zum Bruch kommt. Von da an zieht der eine Wirtschaftsblock, der US-amerikanische, mit ungeheurer Dynamik davon, während der andere, der europäische, sich zwar auch aufwärts entwickelt, aber viel, viel langsamer. Die Frage, die sich stellt, ist zum einen, wie es dazu kommen konnte, und zum anderen, wie es weitergeht; gerade jetzt, nach der Wahl von Donald Trump zum künftigen US-Präsidenten.

Stefan Breintner, der bei der Münchner Vermögensverwaltung DJE Kapital das Portfoliomanagement verantwortet, hat dazu eine klare Meinung: „Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese Schere in der Präsidentschaft Trumps wieder schließt, da er ein noch positiveres Umfeld für die US-Wirtschaft schafft, mit weniger Regulierung und niedrigeren Steuern“, sagt Breintner. Trump tue viel dafür, dass die Aktienkurse stiegen beziehungsweise auf hohem Niveau blieben. Die meisten Amerikaner investieren an der Börse, deshalb hängen auch der Konsum und das Wohlergehen der gesamten Wirtschaft davon ab. Zudem deutet die Wahl seiner Minister darauf hin. „Wir haben wohl noch nie eine so kapitalmarktaffine Regierung erlebt“, sagt der Experte.

Schon die ersten Wochen nach der Wahl schreiben den Trend der vergangenen Jahre fort. So ist der S&P 500 seit dem 4. November um rund elf Prozent gestiegen, der Euro-Stoxx-50 dagegen um gerade knapp drei Prozent. Trump hat eine Reihe von Vorhaben angekündigt, die die Kurse von US-Aktien nach oben getrieben haben und tendenziell weiter nach oben treiben können. Steuererleichterungen für Unternehmen sorgen für höhere Gewinne. Auch höhere Zollschranken sind zunächst gut für einheimische Unternehmen, weil sie den Wettbewerb für ausländische Firmen erschweren. Die Situation in Europa ist dagegen geprägt von den Regierungskrisen in Deutschland und Frankreich, den steigenden Renditen für französische Staatsanleihen und der damit verbundenen Erinnerung an die Euro-Krise um 2011 sowie der generellen Schwäche der deutschen Wirtschaft.

Es ist bezeichnend, dass die Schere zwischen US-Börse und europäischer Börse im Jahr 2009 begann auseinanderzuklaffen. Damals erholten sich die US-Großbanken schnell von der weltweiten Finanzkrise, während das europäische Finanzsystem von der Schuldenkrise und dem drohenden Auseinanderbrechen des Euro gebeutelt wurde. Die Stärke des einheitlichen Bankenmarkts ist bis heute ein wichtiger Grund für die Dynamik der US-Wirtschaft. Hinzu kam der Boom von Technologie-Giganten wie Apple, Microsoft, Google und Nvidia.

„Gigantischer Optimismus für die USA, tiefer Pessimismus für Europa“

Die jüngste Entwicklung ging in dieselbe Richtung: „Die USA erlebten ein Jahr mit außergewöhnlichem Wirtschaftswachstum, während die Euro-Zone und vor allem Deutschland schwächelten“, schreibt die Fondsgesellschaft Flossbach von Storch in einer aktuellen Analyse und resümiert: „Die US-Wirtschaft eilt voraus.“ Die Prognosen für die nähere Zukunft klingen ähnlich. Joseph Amato, Präsident der Investmentgesellschaft Neuberger Berman, formuliert seine „Schlagzeilen für 2025“ so: „US-Wirtschaftsdaten sehen gut aus. Stabiles Wachstum, sinkende Inflation, niedrige Arbeitslosigkeit, positives Reallohnwachstum, robustes Verbrauchervertrauen, ein Rekordhoch für den S&P-500-Index.“

Manche sehen zwar auch Risiken für kurzfristige Rückschläge an der US-Börse, zum Beispiel die Tatsache, dass die Aktien im Vergleich mit anderen Ländern schon ziemlich teuer sind. Und dazu die politischen Unsicherheiten durch Trumps Innen- und Außenpolitik sowie die wachsende Gefahr handelspolitischer Spannungen. „Dennoch rechtfertigen das robuste globale Wachstumsumfeld und die damit verbundenen positiven Gewinnaussichten für US-Unternehmen einen strategischen Optimismus für Aktien“, sagt Torsten Steinbrinker von der Reichmuth Integrale Vermögensverwaltung.

Stefan Breintner von DJE Kapital formuliert es noch deutlicher: „Wir haben selten einen so großen Unterschied mit Blick auf die Kapitalmärkte gesehen: Es gibt einen gigantischen Optimismus für die USA und einen tiefen Pessimismus für Europa.“ Es sei erschreckend zu sehen, welche immensen Finanzierungen hinter dem Boom der künstlichen Intelligenz in den USA stehen und mit welcher Geschwindigkeit sich die technologische Lücke weiter vergrößere. „Europa täte gut daran zu erkennen, dass es sich um zwei konkurrierende Wirtschaftsblöcke handelt: Der eine fördert seine Wirtschaft, der andere behindert sie“, sagt der Anlageexperte.

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