Wall Street:Die Notenbank ist nicht verrückt

Trumps Wut auf die Fed ist fehl am Platz - die US-Notenbank muss reagieren, weil die Wirtschaft heiß läuft. Doch in einem Punkt hat der Präsident recht.

Kommentar von Harald Freiberger

Für US-Präsident Donald Trump ist wieder einmal alles klar. Die amerikanische Notenbank Fed ist schuld daran, dass es an der Wall Street in den vergangenen Tagen gekracht hat - sie sei "verrückt geworden", sagte er in der für ihn typischen Ausdrucksweise.

Typisch ist auch, dass die Aussage ein Körnchen Wahrheit enthält. Fed-Chef Jerome Powell sprach vor einer Woche von "außergewöhnlichen Zeiten", die Konjunktur in den USA sei so stark, die Arbeitslosigkeit so niedrig. Er fügte hinzu, dass in solch guten Zeiten die Gefahr zunehme, dass die Preise stiegen. Deshalb werde man die Zinsen weiterhin stufenweise anheben müssen.

Längste Boomphase seit Ende des Zweiten Weltkrieges

Wahr ist, dass diese für einen Notenbanker sehr offenen Worte der Startschuss für fallende Kurse waren. Vor einer Woche hatte die US-Börse einen Rekord erreicht. Es sah so aus, als würde es immer nur aufwärts gehen - so wie seit fast zehn Jahren. Die Wall Street befindet sich in der längsten Boomphase seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Möglich wurde sie durch die Notenbank, die nach 2008 die Märkte mit Geld flutete, um die Finanzkrise zu bekämpfen - Geld, das bevorzugt in Aktien floss.

Trump verlängerte die Boomphase in den USA mit seiner Steuerreform, die den US-Unternehmen in diesem Jahr zusätzliche Milliardengewinne bescherte. Während sich rundherum in der Welt in diesem Jahr die Alarmzeichen mehrten und die Kurse einbrachen - in China, in Brasilien, in Europa -, ging der Börsen-Hype in den USA ungebremst weiter.

Trump kann sich diesen letzten Schwung beim Boom gutschreiben, wohl deshalb ist er jetzt so enttäuscht, dass dieser zu Ende geht. Der Boom musste auch einmal zu Ende gehen, denn Fed-Chef Powell hat nur eine Selbstverständlichkeit angesprochen. Die Notenbank muss die Zinsen erhöhen, wenn die Wirtschaft überhitzt.

Die Zinsen können nicht ewig niedrig bleiben, und das ist auch gut so. Denn ansonsten wäre die Notenbank handlungsunfähig, wenn die Wirtschaft abkühlt; sie könnte die Zinsen dann kaum senken. Und dass die US-Wirtschaft im kommenden Jahr abkühlt, ist so gut wie sicher. Die Unternehmen in den USA werden ihr Gewinnwachstum nicht halten können, eine Sonderkonjunktur wie 2018 kann es nicht mehr geben.

Die Investoren aber haben sich daran gewöhnt, schon ein geringeres Wachstum birgt die Gefahr von Kurseinbußen. Dies und die Aussicht auf weiter steigende Zinsen sind der ökonomische Hintergrund für den Einbruch an der Wall Street.

Deshalb hat Trump im Grunde recht, wenn er auf die US-Notenbank verweist. Doch typisch für ihn ist auch, dass er damit nur einen kleinen Teil der Wahrheit anspricht. Denn in Wirklichkeit sind Aktien in den USA nach dem langen Aufschwung zu teuer, ihr Preis liegt, gemessen an den Gewinnen, deutlich über dem langjährigen Durchschnitt.

Wenige Werte dominieren alles

Richtig mulmig kann einem aber werden, wenn man sich die Struktur des amerikanischen Aktienmarkts ansieht: Sein Boom wird von wenigen Werten getragen, jenen Technologie-Konzernen, die vom Siegeszug des Internets besonders profitieren. Es gibt dafür auch ein eigenes Wort, sie werden die "FANG"-Aktien genannt nach den Anfangsbuchstaben der Konzerne Facebook, Amazon, Netflix und Google (übersetzt heißt "fang" "Giftzahn"). Auch Apple und Microsoft zählen erweitert in diese Kategorie. Gerade diese Technologie-Aktien brachen am Mittwoch besonders stark ein, Netflix verlor acht Prozent, Amazon sechs Prozent, Facebook und Apple jeweils vier Prozent.

Experten haben ausgerechnet, dass fast die Hälfte des Kursanstiegs dieses Jahres im Index S&P-500, der immerhin 500 Aktien zusammenfasst, auf diese wenigen Konzerne zurückzuführen ist. In zehn Jahren hat der Index seinen Wert knapp verdreifacht, die Aktie von Apple aber ist um das 17-Fache gestiegen, Amazon um das 29-Fache, Netflix um das 100-Fache. Das bedeutet, dass die Risiken des gesamten Aktienmarktes sich auf wenige Unternehmen konzentrieren. Und Risiken für sie gibt es genug, wie in diesem Jahr beim Datenskandal von Facebook mit folgendem Kurseinbruch zu sehen war. Je mächtiger die Technologiekonzerne werden, umso größer ist auch die Gefahr, dass sie strenger reguliert werden und ihre Gewinnaussichten sinken. Schon nur leicht sinkende Gewinnaussichten können bei einem vorhergehenden Überschwang an der Börse fatale Folgen haben. Wer den steilen Kursverlauf von Apple, Amazon oder Netflix sieht, fühlt sich an die Zeit um das Jahr 2000 herum erinnert, kurz bevor die Internetblase platzte.

Natürlich sind die Zeiten heute andere, damals war fast alles Fantasie, heute machen die Technologiekonzerne Milliardengewinne. Aber es besteht das Risiko, dass sie diese nicht immer weiter steigern können. In einer Welt, in der sich die Investoren genau daran gewöhnt haben, ist dies ein gefährlicher Zustand.

An der Börse gibt es eine alte Weisheit: What goes up, must come down - was zu stark gestiegen ist, muss irgendwann wieder fallen. Das ist der Teil der Wahrheit, den US-Präsident Trump ausspart.

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US-Börse
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