Wahlkampf:Familien werden ignoriert und benachteiligt

Wahlkampf: Anders als mancher Bürger zu wissen meint, sind Kinder nicht nur eine schöne Privatsache.

Anders als mancher Bürger zu wissen meint, sind Kinder nicht nur eine schöne Privatsache.

(Foto: Madhourse/Panthermedia/imago images)

Gerade nach der Pandemie sollte die Politik Eltern mit Kindern finanziell besserstellen. Die Union etwa plant aber etwas ganz anderes - und sendet damit ein fatales Signal.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Führt eine konservative Partei den Begriff "Familie" im Mund, kann sich der Wähler darauf verlassen: Das Wahlprogramm gießt ein Füllhorn süßlicher Wortschöpfungen aus. Um Eltern mit Kindern will man sich angeblich besonders kümmern. Im Wahlkampf 2021 kürt die größte Regierungspartei CDU/CSU Deutschland zum "Familienland". Das echte Leben bleibt hinter dieser Rhetorik zurück. Da werden Eltern und ihre Kinder ignoriert und benachteiligt - vor und nach der Bundestagswahl.

Ökonomen rechnen es vor: Wer Nachwuchs aufzieht, hat weniger Geld zur Verfügung als andere. Zehn bis 40 Prozent weniger als im Durchschnitt sind es bei Alleinerziehenden und Paaren mit kleinen Kindern. Das überrascht nicht, denn Eltern können oft weniger arbeiten als Kinderlose, manche wollen es auch. Allerdings wäre die finanzielle Kluft zu Kinderlosen kleiner, würde die Politik Eltern ernsthaft unterstützen. Mit wirklich umfassenden Betreuungsangeboten für Töchter und Söhne. Und mit echten Steuervorteilen und Zuschüssen statt ein bisschen Kindergeld.

Kinderlose Paare häufen doppelt so viel Vermögen an wie Familien

Die deutsche Idee der Familienförderung aber ist in den 1950er Jahren stehen geblieben, als die Frau meist zu Hause blieb und Ehe meist Kinder bedeutete. Heute allerdings bedeutet Ehe oft nicht Kinder. Das Ehegattensplitting gewährt unbeirrt den größten Steuervorteil, wenn die Frau zu Hause bleibt, obwohl die meisten heute arbeiten wollen - und egal ob jemand Kinder hat. Diese Familien-Nichtförderung ist einer der Gründe, warum kinderlose Paare mehr als doppelt so viel Vermögen anhäufen wie Paare mit Kindern.

Welche Priorität sie genießen, erlebten Eltern in der Pandemie. Manches Bundesland öffnete Baumärkte vor Schulen. Und kaum ein Kultusminister bewegte das Lehrpersonal, ein paar Stunden täglich per Video zu unterrichten - was selbst billige Privatschulen schaffen. Jede zweite Mutter erledigte ihre Arbeit abends oder am Wochenende, um die Kinder zu betreuen. Der Lohn solcher Mühen war ein bisschen Kinderbonus, der nicht verhinderte, dass jeder dritten einkommensschwachen Familie das Geld knapp wurde. Jede fünfte davon ließ im Deutschland des Jahres 2020 Mahlzeiten ausfallen.

Mancher Wähler mag fragen, was die Parteien nach dieser Pandemieerfahrung für Familien planen. Dabei zeigen sich Unterschiede, wie das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung berechnete. SPD, Grüne und Linke planen, ärmeren Eltern per Kindergrundsicherung zu helfen. Generell wollen sie vor allem Geringverdiener und Mittelschicht besserstellen, zu denen Eltern meist zählen.

Bei der CDU/CSU gehört zum selbst ausgegebenen Ziel "Familienland", Unternehmen und Gutverdiener nach der Wahl weitaus mehr zu entlasten als die Mehrheit - und damit als die meisten Eltern. Außerdem will die Union am Ehegattensplitting festhalten, das Ehen fördert, egal ob es Kinder gibt. Und das Mütter finanziell bestraft, wenn sie wieder arbeiten gehen. Die Union sendet ein fatales Signal an Eltern - und an alle Männer und Frauen, die überlegen, ob sie es werden möchten.

Kinder sind wichtig für diese Gesellschaft

Richtig wäre, Eltern mehr soziale Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es geht noch um etwas Zweites. Anders als mancher Bürger zu wissen meint, sind Kinder nicht nur eine schöne Privatsache. Die finanzielle Absicherung für Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit in der Bundesrepublik basiert wesentlich darauf, dass Kinder geboren werden. Die Rente etwa ist vor allem als Umlagesystem konstruiert. Arbeitnehmer und Unternehmen bezahlen Beiträge, aus denen die Renten der aktuellen Ruheständler gezahlt werden. Werden keine neuen Arbeitnehmer geboren, werden keine Renten gezahlt - oder viel geringere. Und den Unternehmen gehen die Fachkräfte aus.

In Deutschland wurden schon in den vergangenen Dekaden viel weniger Kinder geboren, als für den Fachkräftebedarf oder zur Finanzierung wachsender Rentnerzahlen nötig wären. Es wird höchste Zeit, mit Steuervorteilen und Betreuungsangeboten für Familien gegenzusteuern. So wie in Frankreich, wo eine entsprechende Politik Folgen hatte: Das Nachbarland erlebte in den 1990er- und 2000er Jahren auch deshalb eine um 50 Prozent höhere Geburtenrate als die Bundesrepublik.

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