Wie im Jahr 2021 hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung berechnet, was die Deutschen nach der nächsten Bundestagswahl finanziell erwartet. Durch welche Parteien haben welche Einkommensschichten mehr Geld zu erwarten – oder weniger? Die ZEW-Berechnungen etwa zu Steuern, Mindestlohn oder Klimageld zeigen, dass es zwischen den Parteien große Unterschiede gibt.
Der Ökonom Achim Truger sieht zwei Lager und fasst die Ergebnisse so zusammen: „Union und besonders AfD und FDP wollen vor allem höhere und höchste Einkommen stark entlasten und Bezieher unterer bis mittlerer Einkommen wenig bis gar nicht“, so Truger, der die Bundesregierung als Wirtschaftsweiser berät. Während Union, AfD und FDP Spitzenverdienern ab 250 000 Euro im Jahr 13 000, 20 000 beziehungsweise 21 000 Euro mehr verfügbares Einkommen pro Jahr versprechen, sind es bei Haushalten mit bis zu 80 000 Euro Verdienst im Jahr höchstens 900 Euro (Union), 2400 Euro (AfD) und 2800 Euro (FDP) pro Jahr. Truger: „Dagegen wollen SPD, Grüne, Linke und BSW untere und mittlere Einkommen moderat entlasten und die höchsten Einkommen dafür mehr belasten.“
Die Ergebnisse lösen eine Debatte zwischen den Parteien aus. So wirft SPD-Generalsekretär Matthias Miersch Union, FDP und AfD vor, sie würden vor allem Spitzenverdiener entlasten. „Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökonomisch unverantwortlich“, sagt Miersch der SZ. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck erklärt, im Unterschied zu seinem Wahlprogramm profitierten bei Union, FDP und AfD „die Reichen und die Reichsten in diesem Land. Ist es politische Aufgabe, den Reichtum für einige zu mehren? Oder dafür zu sorgen, in dieser gereizten, in dieser porösen Zeit, dass die Gesellschaft zusammenbleibt?“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sieht das anders: „Wir reden bei höheren Einkommen über Leistungsträger, die bereits hohe Lasten schultern.“ Dürr erwähnt Selbständige und Unternehmer. „Da wir im internationalen Wettbewerb stehen, stellt sich die Frage, ob neue Arbeitsplätze in Deutschland oder woanders entstehen.“ Das Steuersystem sei derart ungerecht, dass viele Menschen hinterfragten, ob sich Leistung noch lohne. „Das wollen wir ändern.“
An Schuldenbremse festhalten und Spitzenverdiener entlasten?
Dürr sagt, die FDP wolle viel für die Mitte tun, er bezeichnet es als nicht korrekt, dass die FDP nach den Berechnungen manche kleineren Einkommen finanziell stärker belaste. Das ZEW bezieht sich allerdings bei den Rechnungen auf das Wahlprogramm der FDP, wonach etwa Bürgergeld und Wohngeld zusammengefasst werden sollen. Das ZEW rechnet mit der Annahme, dass das Wohngeld in diesem Fall abgeschafft wird, das Bürgergeld aber die Kosten des Wohnens abdeckt. Umgesetzt als Freibetragsrate von 25 Prozent ab dem ersten Euro im Bürgergeld, wie es das Ifo-Institut 2024 in einer Studie fürs Bundesfinanzministerium unter Führung von FDP-Chef Christian Lindner modelliert hat.
BSW-Generalsekretär Christian Leye kritisiert die AfD dafür, dass sie laut ZEW Topverdiener am meisten entlastet: „Für viele Menschen könnte interessant sein, dass die AfD von der Wut der arbeitenden Menschen auf die ungerechte Politik der letzten Jahre profitiert und dann selber Politik für die Reichsten machen möchte“, so Leye. „Rein wirtschaftspolitisch ist das so, als würden sich enttäuschte Wähler auf der Suche nach Gerechtigkeit an die FDP wenden. Auf die Idee kommt ja auch kein vernünftiger Mensch.“
Eine Debatte entbrennt auch über die Finanzierung. Laut ZEW kosten die Pläne der Mitte-links-Parteien wenige Milliarden oder bringen Mehreinnahmen, während Union, AfD und FDP Haushaltslöcher von 47 beziehungsweise 97 und 116 Milliarden Euro reißen. Der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger nennt es „erstaunlich, dass Parteien, die an der Schuldenbremse festhalten wollen, großzügige Steuergeschenke für Spitzenverdiener versprechen“. Habeck sagt, Union und FDP führten die Menschen hinter die Fichte: „Die können beide nicht sagen, wo das Geld für ihre Vorschläge herkommen soll.“ SPD-Generalsekretär Miersch forderte CDU-Kanzlerkandidat Merz auf, „seine geheimen Kürzungspläne auf den Tisch zu legen, bevor die Wähler entscheiden. Wer soll das bezahlen? Die Rentnerinnen und Rentner?“ Union und AfD äußerten sich auf eine SZ-Anfrage zunächst nicht zu den Wahlrechnungen.