Wagenknecht und Sinn im Streitgespräch:Sinn und Sinnlichkeit

Sahra Wagenknecht und Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn: In Frankfurt treffen die Gegensätze bei einer Diskussion über die Finanzkrise zusammen - und entdecken dabei überraschende Gemeinsamkeiten.

Harald Freiberger

Hat er sein Wissen vorher noch einmal aufgefrischt oder kennt er seinen Marx auswendig? Egal, die Überraschung ist jedenfalls gelungen. Hans-Werner Sinn, Professor, Präsident des Münchner Ifo-Instituts und Hassfigur vieler Linker, präsentiert sich am Freitag abend ausgesprochen Karl-Marx-fest.

Bundestag - Wagenknecht

Sahra Wagenknecht ist eine Ikone der Linken und für ihre radikalen Positionen bekannt - überraschenderweise fand sie bei einer Diskussion über Banken und die Finanzkrise trotzdem zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

(Foto: dpa)

Er zitiert aus dessen "Gesetz des Ausgleichs der Profitraten" und weiß, in welchem Kapitel es steht, genauso wie den "inversen Zusammenhang von Lohnquote und Wachstum". "Niedrige Löhne machen hohes Wachstum, hohe Löhne machen niedriges Wachstum, das hat Karl Marx gesagt", ruft Sinn in den mit 400 Zuhörern vollbesetzten Saal im Frankfurter Haus der Jugend. Einige reagieren belustigt darauf, die meisten aber schütteln den Kopf.

Professor Sinn untermauert seine Thesen mit Karl Marx - das hat eine gewisse Ironie, besonders wenn man weiß, wo er es tut. Zu der Podiumsdiskussion hat die Partei Die Linke eingeladen, die an diesem Wochenende in Frankfurt einen Kongress abhält. Und auf dem Podium sitzt auch deren wirtschaftspolitische Sprecherin Sahra Wagenknecht.

Ein gegensätzlicheres Diskussionspaar als sie und Sinn lässt sich derzeit in Deutschland kaum denken. Das Thema: "Blasen, Crashs, Renditejagd - sind die Banken noch zu retten?"

"Banken sind große Wettbüros", sagt Wagenknecht in ihrem Eingangsstatement. "Banken konnten mit wenig Eigenkapital ein großes Rad drehen, es war ein Glücksrad", sagt Sinn. In der Diagnose der Ursachen für die Finanzkrise haben die beiden Kontrahenten schon die erste Gemeinsamkeit gefunden. Es sollen noch weitere folgen.

Ein explodierender Finanzsektor, ein durch Lohndumping kaputter Binnenmarkt, ins Ausland wanderndes Kapital, wo Löhne durch Schulden ersetzt wurden, das ist für Wagenknecht der Kern der Krise. "Die Deutschen haben den Löwenanteil ihrer Ersparnisse ins Ausland getragen", sagt Sinn. "Das Geld hat hier gefehlt für die Schaffung von Arbeitsplätzen." Er bekommt dafür Applaus in der Höhle des Löwen.

"Ich bin freiwillig hier"

Weniger gut kommt das an, was der Professor über die deutschen Löhne sagt: "Die Lohnerhöhungen waren in den letzten Jahren zwar moderat, aber es gibt in Deutschland ein hohes Sockelniveau." Laute Pfiffe, die Sinn etwas beleidigt quittiert: "Ich muss ja nicht reden, ich bin ja freiwillig hier."

Weil die Löhne in Südeuropa niedriger waren und weil nach Einführung des Euro die Zinsunterschiede wegfielen, sei das Kapital dorthin abgewandert, so Sinns Analyse, und er zitiert noch einmal Marx: "Das Kapital blüht dort, wo die Renditen hoch sind." Der Exportüberschuss Deutschlands sei ein Reflex auf die binnenwirtschaftliche Flaute wegen fehlender Investitionen gewesen. Wagenknecht pflichtet ihm bei: "Das ist eine Ebene, die schon korrekt ist", sagt sie. Wenn Banken keine Kredit gäben und lieber Finanzwetten machten, könne nicht investiert werden. "25 Prozent Eigenkapitalrendite macht man definitiv nicht mit Mittelstandskrediten."

Damit ist die Bundestagsabgeordnete der Linken beim Thema Deutsche Bank und deren Vorstandschef Josef Ackermann, das bei solchen Diskussionen immer mitschwingt, gerade in Frankfurt, gerade an einem Ort, an dem man die Skyline im Blick hat, wenn man links über den Main schaut. Wagenknecht hält es für "offenen Betrug", dass die Deutsche Bank noch US-Papiere an Banken wie die IKB verkauft habe, obwohl sie gewusst habe, dass sie faul würden. "Es ist ein Skandal, dass man sie jetzt weiter Profit machen lässt, während der Steuerzahler die Schulden aus der Finanzkrise abträgt", sagt sie.

An der Stelle meldet Sinn erstmals Protest an. "Den Betrug kann man nicht einfach behaupten, das müsste man belegen", sagt er zu Wagenknecht. Wenn die IKB betrogen worden wäre, hätte sie die Deutsche Bank sicher angeklagt. Mit der Kategorie Betrug komme man in einer Systemkrise nicht weiter, in der es viele Fehlsteuerungen gegeben habe, die Akteure sich aber meist an die Gesetze gehalten hätten.

Auch bei der Frage, was nun zu tun sei, liegen beide auseinander. Wagenknecht fordert, der riesige Berg Schulden müsse abgeschrieben werden, "und zwar bei denen, die vor der Finanzkrise mit den hohen Renditen aus riskanten Produkten ihr Vermögen vermehrt haben". Die Sparprogramme, die viele Staaten jetzt machten, bewirkten aber genau das Gegenteil: Sie belasteten nicht die Verursacher der Krise, sondern die Masse der Bevölkerung.

Plädoyer in eigener Sache

Sinn sieht die Krise bei den Banken dagegen weitgehend überwunden. Probleme bekämen nun allerdings die hoch verschuldeten Staaten Südeuropas, die USA und Großbritannien. Weil die Deutschen ihr Geld nicht mehr außer Landes trügen, stehe hier "ein Super-Boom" bevor. "Für wen denn?", ruft ein Mann dazwischen. "Das Ifo-Institut befragt jeden Monat 7000 Firmen", erwidert dessen Präsident. "Firmen, ja, ja", kommt es aus dem Publikum.

In der hitzigen Atmosphäre hält Sinn ein Plädoyer in eigener Sache. "Es gibt in Deutschland Kommunikationsarmut zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen", sagt er. Einzelne Gruppen würden ausgegrenzt. "Rechnen Sie es mir doch mal an, dass ich hier bin", ruft er, und er erhält dafür lauten Applaus. Sahra Wagenknecht schließt sich ihm an und beruhigt ihre Anhänger: "In einem Punkt sind wir durchaus einer Meinung", sagt sie zu Sinn. "Meinen großen Respekt, dass Sie hier zugesagt haben." Es sei wichtig, dass man sich zuhöre, auch wenn man in Vielem konträrer Meinung sei.

Die letzte konträre Meinung gibt es darüber, wie die Banken behandelt werden sollen. Wagenknecht plädiert dafür, sie zu vergesellschaften. "Die Stabilität des Finanzsektors ist ein öffentliches Gut, deshalb muss die öffentliche Hand da rein und die Banken strikten Regeln unterwerfen." Sinn dagegen hält es nur für richtig, dass der Staat in der Krise ins Bankenwesen eingegriffen habe. In normalen Zeiten solle er wieder raus. "Eine zentrale Instanz kann nie alle wirtschaftlichen Entscheidungen vernünftig treffen, das schafft ja der Einzelne kaum", sagt er. Und das Geheimnis der Marktwirtschaft sei das Geheimnis der Selbststeuerung. Gerade die Finanzkrise habe aber doch gezeigt, dass viele Akteure Unvernünftiges tun, erwidert Wagenknecht, gerade deshalb müsse man die Banken vergesellschaften.

Zumindest in diesem Punkt werden die Linke und der Professor nicht mehr zusammenkommen.

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