Waffenmesse:Deutschland bewaffnet sich bis an die Zähne

Ein Besucher testet ein Zielfernrohr des schweizer Herstellers Sig Sauer am 04 03 2016 während der J

Ein Besucher testet ein Zielfernrohr auf der Jagd- und Sportwaffenmesse IWA OutdoorClassics in Nürnberg.

(Foto: imago/isslerimages)
  • Die Waffenmesse IWA hatte noch nie so viele Aussteller und Besucher wie in diesem Jahr.
  • Die Zahl der Waffenbesitzer steigt rasant. "Freie Waffen für freie Bürger", heißt es von der Lobby.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Das hektisch blinkende, knallrote Ding sieht aus wie ein harmloser Schlüsselanhänger. Mit dem Unterschied, dass Schlüsselanhänger normalerweise nicht auf Knopfdruck ohrenbetäubend losjaulen wie amerikanische Polizeisirenen. Es gibt auch eine gasgetriebene Variante. Die ist noch lauter. Oder den Lippenstift, der beim Auseinanderziehen markerschütternd schrillt. "Mit solchen Geräten können Sie einen Angreifer verschrecken und Aufmerksamkeit auf sich ziehen", sagt Beate Hoffmann. Ihre Firma KH Security mit Sitz in einem Dorf im Taunus handelt auch mit Teleskop-Schlagstöcken, Elektroschockern oder CS-Gas. "Vor allem die Hersteller von Pfeffersprays und Alarmgeräten kommen nicht mehr nach", sagt Hoffmann. "Wenn genug geliefert würde, könnten wir das Zehn- bis Fünfzehnfache verkaufen."

Dabei schaffen es die 15 Mitarbeiter von KH Security schon jetzt nicht mehr, alle Bestellungen schnell abzuarbeiten. Nach den Kölner Vorkommnissen der Silvesternacht sei die Nachfrage förmlich explodiert, erzählt Hoffmann. Und nichts deutet darauf hin, dass sich daran so schnell etwas ändert. Die Deutschen rüsten auf. Auch mental und verbal.

Die Waffenbranche fühlt sich so unverzichtbar wie lange nicht mehr

"Freie Waffen für freie Bürger", fordert der Herausgeber des Branchenmagazins Waffenmarkt-Intern im Editorial der März-Ausgabe. Schließlich sei die "Zivilgesellschaft im Wandel", und es kämen viele Menschen aus Kulturkreisen, "in denen individuelle Gewaltausübung einen anderen Stellenwert hat als in Mitteleuropa." Ein anderes Waffenmagazin befand gerade ernsthaft, da der Staat die innere Sicherheit nicht mehr garantieren könne, dürften die Bürger "den Schutz ihres Lebens nicht allein dem Staat überlassen".

Mit Großzügigkeit in Sachen Waffen lässt sich in solch aufgeregten Zeiten auch Politik machen. "Keine Verschärfung des Waffenrechts für Jäger und Sportschützen", plakatierten die Freien Wähler großflächig neben das Konterfei ihres Bundes- und bayerischen Landesvorsitzenden Hubert Aiwanger. "Das hätten sie sich vor zwei, drei Jahren nicht getraut", kommentierte ein CSU-Politiker. Die Plakate hingen in den vergangenen Tagen unübersehbar an der Ausfahrt des Nürnberger Messegeländes, wo die IWA über die Bühne ging, nach der "Shot Show" in Las Vegas die zweitgrößte Waffen-Fachmesse weltweit.

Die IWA gibt es seit 43 Jahren, aber noch nie hatte sie mehr Aussteller und mehr Besucher als in diesem Jahr. Über die schieren Zahlen hinaus wirkt jedoch das Selbstbewusstsein, das die Waffenbranche in Nürnberg ausstrahlte. Sie fühlt sich so unverzichtbar wie schon lange nicht mehr.

Pinkfarbene Pistolen und gewaltige Macheten

Dabei scheint auf den ersten Blick alles beim Alten. Etwa eine Million Menschen besitzen legal Schusswaffen in Deutschland, ihre Zahl ist seit Jahren konstant. Die etwa 1200 deutschen Waffen- und Munitionshersteller meldeten 2015 im zweiten Jahr in Folge einen Produktionsrückgang. Der hänge vor allem mit den Wirtschaftssanktionen gegen Russland zusammen, sagt Klaus Gotzen, Geschäftsführer des Branchenverbandes JSM. "Deutsche Waffen haben dort unter Jägern einen sehr guten Ruf", sagt er, und wer sich als russischer Jäger eine deutsche Waffe kauft, ist eher nicht arm.

Nun muss es nicht gleich ein teures Jagdgewehr sein. Der Absatz frei verkäuflicher Waffen habe sich 2015 verdoppelt, in manchen Fachgeschäften sogar verdreifacht, meldet der Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverband VDB. Gas- und Schreckschusspistolen, Reiz- oder Signalwaffen tun es auch. Um sie tragen zu dürfen, braucht man den kleinen Waffenschein. Ende 2014 waren 262 500 Menschen mit der entsprechenden Erlaubnis im Nationalen Waffenregister registriert, ein Jahr später bereits 285 900. Seit Silvester ist ihre Zahl auf 330 000 hochgeschnellt. Und dann gibt es noch 1,4 Millionen Sportschützen und 374 000 Menschen mit Jagdscheinen und damit auch Waffen. Von den schätzungsweise 20 Millionen illegalen Schießeisen ganz zu schweigen. Die Menschen in Deutschland, so scheint es, sind bis an die Zähne bewaffnet.

Neben Ängstlichen gibt es auch Enthusiasten

Die Szene der Waffenträger changiert von seriös bis schillernd. Auf der Nürnberger Messe waren neben klassischer Jagd- und Sportausrüstung auch pinkfarbene Pistolen und gewaltige Macheten, Schalldämpfer, Nachtsichtgeräte, Messer und paramilitärische Tarnanzüge zu sehen.

Minox, als Hersteller winziger Spionagekameras seit Jahrzehnten bekannt, wartete mit einer Produktreihe auf, die schon nach kurzer Zeit am Markt zum Verkaufsschlager wurde: Hightech-Kameras mit Bewegungsmeldern und grün-braunen Tarnhüllen. Sie liefern auch nachts gestochen scharfe Bilder und senden sie bei Bedarf auf das Smartphone. Eigentlich sind sie für Jäger gedacht, die Wildbewegungen in ihrem Revier überwachen wollen. Tatsächlich werden sie meistens ganz anders genutzt, weiß Minox-Chef Thorsten Kortemeier. Käufer hängen die handgroßen Geräte an ihre Häuser, Garagen oder Bäume in ihrem Garten. Um Eindringlinge abzuschrecken oder um sie leichter überführen zu können. "Die Aufträge für diese Geräte haben sich verdreifacht", sagt Kortemeier.

Neben vielen Ängstlichen gibt es einige Enthusiasten. Solche, die sich ein Gewehr-Unikat in Handarbeit fertigen lassen, zum Preis eines Autos. Nur zwei Dutzend solcher Waffen stellen Büchsenmacher Gerd Hauptmann und seine fünf Mitarbeiter aus Ferlach in Österreich in ihrer Manufaktur jedes Jahr her, pro Stück für 18 000 Euro aufwärts. Hartmann, ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle, zieht eigens weiße Handschuhe an, bevor er eine besonders wertvolle, erkennbar aufwendig gefertigte Büchse in die Hand nimmt. Sie hat auch einen Namen: "Die sieben Todsünden". Was das bedeutet, will Hartmann nicht sagen.

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