Waffenhandels-Experte Andrew Feinstein:"Fehlende Ethik und Moral sind eine Qualifikation"

Wer 50.000 Dollar übrig hat, kann sich ein Boden-Luft-Raketensystem kaufen: Der ehemalige südafrikanische ANC-Politiker Andrew Feinstein hat die dunkle Welt des internationalen Rüstungshandels erforscht und die Händler des Todes getroffen. Ein Gespräch über eine der korruptesten Branchen der Welt, deutsche Waffen in Libyen und darüber, wie man Waffenschieber wird.

Jannis Brühl

Andrew Feinstein führt einen Kreuzzug aus Enttäuschung: Der heute 47-jährige Südafrikaner war einer jener Weißen, die Nelson Mandelas African National Congress (ANC) im Kampf gegen die Apartheid unterstützten. Nach deren Ende musste er allerdings feststellen, dass sich manche Dinge nicht ändern: Als er offensichtliche Korruption beim gigantischen Rüstungsdeal der Regierung mit mehreren Firmenkonsortien untersuchen wollte, hinderten ihn die Mächtigen des ANC daran. Er trat aus und kämpft seitdem für strengere Kontrollen des internationalen Waffenhandels. Sein neues Buch Shadow World - Inside the International Arms Trade erscheint im Frühjahr als Schwarzbuch Waffenhandel auf Deutsch.

Andrew Feinstein

Andrew Feinstein hat die dunklen Winkel des internationalen Waffengeschäfftes erforscht.

(Foto: Simone Sultana)

sueddeutsche.de: Bei dem Wort "Waffenhändler" denken viele Leute an die Figur, die Nicholas Cage in Lord of War - Händler des Todes spielte. Sie haben einige der großen Dealer interviewen können. Was muss ich können, um internationaler Waffenhändler zu werden?

Andrew Feinstein: (lacht) Was mich bei diesen Leuten überrascht hat, war, dass sie meist charmant sind mit großen Egos, Figuren wie direkt von der Leinwand. Das ist wohl der Grund, warum sie mit ihren Klienten so gut können. Aber eine weitere Qualifikation ist wohl ein fast völliger Mangel an Ethik und Moral, an der Schwelle zum Soziopathischen. Ich glaube, deshalb haben sie mit mir gesprochen. Sie wollten erzählen, wie sie der Welt Gutes getan haben.

sueddeutsche.de: Bitte? Was tun Waffenhändler der Welt denn Gutes?

Feinstein: Ich traf Joe der Hovsepian, einen libanesischen Armenier, in Amman in Jordanien. Er hatte übrigens ein Büro in Deutschland und startete seine Karriere bei einer deutschen Firma ...

sueddeutsche.de: ... die ein ehemaliger Offizier der Waffen-SS nach dem Krieg gründete. Das Unternehmen verkaufte im Auftrag des Bundesnachrichtendienstes Bundeswehrmaterial ins Ausland.

Feinstein: Genau. Der Hovsepian sagte mir, dass alles, was er in den vier Jahrzehnten seiner Karriere gemacht hat, der Verteidigung der Menschheit diente. Dass er Unmengen an Geld verdient hat, indem er UN-Embargos und nationale Gesetze brach, tat er fast als Zufall ab. Er verkaufte eigentlich an jeden, zum Beispiel während der Balkankriege. Nur an Israel verkaufte er nie. Auch zur Politik der USA äußerte er sich sehr kritisch. Aber dann zog er Erkennungsmarken heraus, die er als Auftragnehmer für das US-Verteidigungsministerium im Irak und in Afghanistan bekommen hatte - und die ihn als solchen identifizieren.

sueddeutsche.de: Das ist nicht sehr konsequent.

Feinstein: Da war er nicht der Einzige. Ein Wiener Lobbyist...

sueddeutsche.de: ... der mit mehreren Korruptionsaffären in Verbindung gebracht wird, zuletzt bei Ermittlungen um österreichische Ex-Regierungsmitglieder...

Feinstein: ... erzählte mir, er habe viele schlimme Dinge getan. Ich dachte schon: 'Ah, jetzt kommt das Geständnis.' Und er sagte: 'Zu viele Frauen, zu viel Wein, aber ich habe nie Bestechungsgeld bezahlt.' Er behauptete, lediglich politische und wirtschaftliche Informationen geliefert zu haben. Die Dokumente zeigen aber, dass er tatsächlich hohe Bestechungssummen an Politiker gezahlt hat, damit ein britisches Rüstungsunternehmen an Aufträge kommt. Eine weitere Qualifikation scheint also die Fähigkeit zu sein, sich selbst zu täuschen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt denn Korruption im Waffenhandel?

Feinstein: Transparency International hat berechnet, dass 40 Prozent aller weltweiten Korruption im Waffenhandel stattfindet. Eine beängstigende Zahl, weil 60 Milliarden Dollar jährlich für Waffen ausgegeben werden. Der Grund dafür ist, dass auf der Ebene der großen Deals zwischen Regierungen nur vier bis sechs Aufträge pro Jahr vergeben werden. Sie sind Zig-Milliarden Dollar wert und deshalb von allergrößter Bedeutung für die beteiligten Unternehmen. Die Entscheidungen über diese Summen werden von sehr wenigen Menschen in den Regierungen getroffen - manchmal nicht mehr als ein halbes Dutzend. Zusätzlich findet alles hinter dem Schleier der Geheimhaltung wegen der nationalen Sicherheit statt. Ein fruchtbarer Boden für Korruption.

sueddeutsche.de: Aber die Politik hat doch die Kontrolle über den Waffenhandel?

Feinstein: Rüstungsfirmen und Regierungen sind sich sehr nah. Die Unternehmen sind Teil der nationalen Verteidigung, haben enge Verbindungen zu Verteidigungsministerien und Geheimdiensten. Gleichzeitig haben sie starke Verbindungen zu jenen illegalen Waffenhändlern und nutzen sie oft als Mittelsmänner. Deshalb unterscheide ich nicht zwischen dem angeblich sauberen - aber tatsächlich extrem korrupten - Handel auf Regierungsebene, und dem illegalen Handel, dem Schwarzmarkt. Meiner Meinung nach sind sie völlig miteinander verflochten und sogar voneinander abhängig. Hinzu kommt, dass Rüstungsfirmen oft mit politischen Parteien verquickt sind, am extremsten in den USA: Dort spenden die Unternehmen hohe Summen an die Parteien. Deshalb kommt es nur sehr, sehr selten vor, dass Kongressabgeordnete gegen große Verteidigungsprojekte im Land stimmen.

sueddeutsche.de: Gilt das auch für Deutschland?

Feinstein: Auch hier sind enge Kontakte von Waffenverkäufern und Parteien üblich. Die Affäre um Helmut Kohls CDU und den Waffenlobbyisten Karl-Heinz Schreiber ist ein berüchtigtes Beispiel. Das beschränkt sich aber nicht auf Deutschland. In dem Fall in Südafrika, den ich als Abgeordneter untersuchen wollte, ging es um die Frage, ob fast die Hälfte des gesamten Bestechungsgeldes von 300 Millionen Dollar an den ANC selbst gegangen ist - und wir damit unseren zweiten Wahlkampf 1999 bestritten haben.

Amerikas Todfeinde, Amerikas Waffen

sueddeutsche.de: Was bedeutet die Korruption für demokratische Staaten?

Waffenhandels-Experte Andrew Feinstein: Libysche Rebellen feuern im Kampf gegen Gaddafi eine Rakete ab (Archivbild). Nach dem Ende des Bürgerkrieges sind Andrew Feinstein zufolge Waffen aus dem Land in Ägypten aufgetaucht.

Libysche Rebellen feuern im Kampf gegen Gaddafi eine Rakete ab (Archivbild). Nach dem Ende des Bürgerkrieges sind Andrew Feinstein zufolge Waffen aus dem Land in Ägypten aufgetaucht.

(Foto: AP)

Feinstein: Sie führt dazu, dass Regierungen ihre eigenen Gesetze ignorieren, um ebenjene Bestechung zu verschleiern. Auch gegen Deutsche Unternehmen gibt es Vorwürfe bestochen zu haben, etwa um als Teil des großen Auftrags 1999 mehrere Korvetten liefern zu dürfen. Deutsche Staatsanwälte verfolgten sie aber nicht wegen Korruption, sondern wegen Steuervergehen. Ein Konzern musste Steuern zurückzahlen: Öffentlich wurden Schmiergelder aber nicht erwähnt, die überhaupt erst zu dem Steuervergehen geführt hatten - trotz aller Beweise, die den Ermittlern vorlagen. So heißen Behörden letztendlich illegales Verhalten gut.

sueddeutsche.de: Diese Vorgänge liegen bereits einige Jahre zurück. Blicken wir auf das Jahr 2011. Die Nato-Staaten haben sich nach dem Sieg über das libysche Regime selbst gefeiert. Müssen wir uns wegen Gaddafis Waffen Sorgen machen?

Feinstein: Absolut! Die Ironie von Libyen ist, dass die Nato-Flugzeuge bei ihren Angriffen zuerst Ausrüstung zerstören musste, die Nato-Staaten seit 2003 selbst an Gaddafi verkauft hatten. Die Briten, die Franzosen, die Deutschen, die Italiener haben Waffen für Hunderte Millionen Euro an ihn verkauft.

sueddeutsche.de: Deutsche Waffen wie Panzerabwehrraketen und Sturmgewehre sind in Libyen aufgetaucht. Was ist nach dem Bürgerkrieg damit passiert?

Feinstein: Die nächste Ironie: Gaddafi kaufte den Europäern so viele Waffen ab, dass er nicht einmal genug Soldaten hatte, um alle zu benutzen. Sie wurden einfach in Hallen gelagert, unbewacht. Die wurden während des Aufstandes geplündert. Ein beträchtlicher Teil dieser Waffen ist auf dem Schwarzmarkt gelandet, zum Beispiel in Ägypten. Wer 50.000 Dollar übrig hat, kann sich ein Boden-Luft-Raketensystem kaufen, mit dem man einen kommerziellen Airliner abschießen kann. Die Chancen, dass unsere Waffen in falsche Hände geraten, sind extrem hoch. Ich glaube, wir werden ähnliches wie in Libyen in den nächsten Monaten im Jemen sehen.

sueddeutsche.de: Wieso im Jemen?

Feinstein: Vor allem die USA haben Präsident Saleh, seine Wachen und Soldaten mit vielen Waffen versorgt. In Anbetracht der Instabilität und der vielen Gruppen, die Saleh stürzen wollen, ist wirklich unklar, was mit ihnen passiert. Al-Qaida ist extrem stark im Jemen. Es ist also durchaus möglich, dass Amerikas Waffen letztendlich in den Händen von Amerikas Todfeinden landen. Es wäre nicht das erste Mal - siehe Irak und Afghanistan.

sueddeutsche.de: Die Kontrollmechanismen funktionieren also derzeit nicht. Aber Kriege und Waffen wird es immer geben. Was kann getan werden, um den Waffenhandel zu entschärfen?

Feinstein: Ich fordere gar nicht, dass wir die Produktion einstellen. Wir sollten den Handel besser kontrollieren. Wir brauchen ein besseres Tracking-System und klarere Vereinbarungen, wie Waffen gesichert werden müssen und wem sie verkauft werden dürfen. Außerdem müssen wir mehr Transparenz beim Verkauf schaffen. Zum Beispiel könnte man gesetzlich vorschreiben, Informationen über die Mittelsmänner zu veröffentlichen, über die der Großteil der Korruption abläuft: Wer sie sind, wie viel sie verdienen und was genau sie für das Geld tun. In der gemeinsamen Position der EU zum Waffenexport würde ich gern einen starken, für Staaten verpflichtenden Anti-Korruptions-Mechanismus sehen. Der internationale Waffenhandels-Vertrag wird derzeit bei den Vereinten Nationen verhandelt. Auch er braucht starke Vorgaben gegen Korruption, vor allem müssen aber Vorschriften auch ernsthaft durchgesetzt werden. Im Moment gibt es dafür keinen politischen Willen. Dabei regulieren wir auch Tabak und Alkohol. Der Waffenhandel ist mindestens genauso gefährlich.

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