Waffen-Exporte:Empfang beim "Lord of War"

Sig Sauer

Soll illegal Waffen nach Kolumbien geliefert haben: Waffenexporteur Sig Sauer.

(Foto: dpa)

In der Affäre um mutmaßlich illegale Geschäfte des Waffenherstellers Sig Sauer rückt nun der Eigentümer ins Zentrum der Ermittlungen. Laut Informationen von SZ, NDR und WDR könnte Michael Lüke von den Ausfuhren gewusst haben.

Von Volkmar Kabisch, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer

Anfang der Woche war es dann doch so weit: Die Ermittler standen auch vor dem Privathaus des Mannes, der einer der ganz Großen im weltweiten Geschäft mit Kleinwaffen ist: Michael Lüke.

Der Mann hinter der Waffenschmiede Sig Sauer wohnt im nordrhein-westfälischen Städtchen Emsdetten, in einem Villenviertel, in dem vor und in den Garagen der Bewohner große teure Autos stehen und das Blau der Pools aus den Gärten leuchtet.

Auch in Lükes Garten ist ein Pool, aber die Polizisten, die sein Anwesen durchsuchten, waren auf der Suche nach etwas ganz anderem: Sie fahndeten nach weiteren Belegen für fragwürdige Waffengeschäfte, in die Lükes Firma verwickelt ist.

Im Kern geht es um die Frage, wie Sig-Sauer-Waffen aus deutscher Produktion in Kolumbien und Kasachstan landen konnten - obwohl für diese Länder keine Exportgenehmigungen vorlagen. Im Zentrum der Ermittlungen stand bislang der deutsche Firmensitz von Sig Sauer im schleswig-holsteinischen Eckernförde. Dort waren Ermittler schon im Januar wegen Lieferungen nach Kasachstan zu Besuch.

Neuer Fokus auf Eigentümer Lüke

Vergangene Woche, nachdem Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung den Blick auf Kolumbien gelenkt hatten, kamen die Ermittler wieder. In einer dritten Welle widmete sich der Staatsanwalt nun offenbar verstärkt der Rolle jenes Mannes, der seine Villa in Emsdetten stehen hat: Michael Lüke, Großwildjäger, Waffenliebhaber und Unternehmer.

Bei ihm, das ist der Verdacht, sollen die Fäden zusammenlaufen. Im Geflecht der von ihm gesteuerten Firmen sollen durch Hin- und Herschieben von Aufträgen und durch mutmaßliche Falschangaben auf offiziellen Dokumenten deutsche Exportvorschriften umgangen worden sein.

Das Dach der vielen Gesellschaften ist die Holding L&O, die ihren Sitz ebenfalls in Emsdetten hat. Auch dort, in den Geschäftsräumen, wurden die Fahnder Anfang der Woche vorstellig.

Die L&O-Holding gehört dem 58-jährigen Lüke mit seinem Geschäftsfreund Thomas Ortmeier. Die Geschäfte der beiden erlebten vor 14 Jahren eine erstaunliche Wendung: Bis dahin hatten sie ein Vermögen im Textilgeschäft gemacht, dann, im Jahr 2000, stiegen sie ins Waffengeschäft ein. Sie kauften die Firmen Blaser, Sig Sauer, Swiss Arms und Mauser. Keine ganz kleinen Firmen, sondern Waffenmanufakturen von internationalem Rang.

Seither kümmert sich Ortmeier, so heißt es, vor allem um das Textilgeschäft, während Lüke sich der Waffen annimmt.

Und tatsächlich: In den meisten Waffenfirmen der L&O-Holding taucht sein Name in den Registerunterlagen auf, ebenso auf heiklen vertraulichen Dokumenten. Internen E-Mails zufolge waren seine Vertrauten diejenigen, die über dubiose Deals diskutierten. Über die Frage etwa, ob deutsche Sig-Sauer-Waffen nun nach Kolumbien geliefert werden könnten, ob das rechtlich eher als Grauzone oder als verboten gelte, und was man riskiere, wenn man es dennoch tue.

Sig Sauer bestreitet Lükes Beteiligung am operativen Geschäft

Sig Sauer versucht, dem Eindruck entgegenzutreten, dass Michael Lüke aktiv in schmutzige Waffendeals verwickelt sein könnte. "Herr Lüke ist grundsätzlich nicht in das operative Geschäft und in einzelne Geschäftsvorfälle involviert", teilte Sig Sauer der SZ mit. Soll wohl heißen: Wenn denn etwas Widerrechtliches abgelaufen sei, habe Lüke davon nichts gewusst.

Die Staatsanwaltschaft scheint dieser Argumentation nur bedingt zu folgen - andernfalls wären die Ermittler schwerlich am Montag vor seinem Privathaus aufgetaucht. Michael Lüke steht nun im Zentrum eines Skandals, der das Aus für einen der bekanntesten deutschen Kleinwaffenhersteller bedeuten könnte. Oder zumindest für den deutschen Standort, denn die L&O-Holding hat die Produktion etlicher Waffen mittlerweile in die USA verlagert.

Von dem plötzlichen Interesse der Fahnder scheint Lüke überrascht gewesen zu sein, das jedenfalls erzählt ein Vertrauter. "Er war auf 180, als tatsächlich sein eigenes Haus durchsucht wurde." Die Ermittler suchten in seinem Haus nach allem, was belegen könnte, dass der 58-Jährige involviert war in die Vorgänge in seinen Firmen. Festzustehen scheint, dass bei Sig Sauer gegen das deutsche Ausfuhrrecht verstoßen wurde. Im Raum steht nun die Frage, ob Lüke als Geschäftsführer davon nicht zumindest hätte wissen müssen.

Hinzu kommt nun auch noch ein Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Tübingen, das Lüke in Bedrängnis bringt. Dort sind zwei Männer angeklagt, die Waffendeals mit Kasachstan eingefädelt haben sollen - unter anderem für Sig Sauer. Konkret geht es um Dutzende Pistolen, die 2010 an die kasachische Präsidentengarde geliefert wurden. Sig Sauer Deutschland hatte für die Lieferung damals keine Exportgenehmigung der deutschen Behörden bekommen. Dennoch landeten Sig-Sauer-Waffen am Ende in Kasachstan.

Unterlagen legen nahe, dass Sig Sauer Behörden umgangen hat

Interne E-Mails legen nahe, dass Sig Sauer die deutschen Behörden mit einem Trick umgangen hat: In den USA könne man die Exportlizenz ganz einfach bekommen, soll ein Sig-Sauer-Mann im Januar 2010 an seine Kunden geschrieben haben.

Wenn man die Bestellung an die US-Tochter weitergebe, wäre alles kein Problem. Sig Sauer Deutschland hat die Waffen daraufhin von Eckernförde an die Schwesterfirmen in den USA geschickt, vermuten die Ermittler. Dafür die nötige Genehmigung zu bekommen war offenbar nicht schwer, schließlich soll Sig Sauer angegeben haben, dass die Waffen für den amerikanischen Zivilmarkt bestimmt sind. Die Pistolen sollen jedoch nach Kasachstan weitergeschickt worden sein. Sig Sauer Deutschland äußerte sich nicht dazu.

Geschäfte mit dem "Lord of War"

Hört man sich in dem Unternehmen in Eckernförde um, bekommt man eines immer wieder zu hören: In den vergangenen Jahren hätten sich Sig Sauer Deutschland und Sig Sauer USA in Bereiche vorgewagt, die früher tabu waren. "Wenn wir uns immer wie Engel verhalten hätten, hätten wir die Firma gleich dicht machen können", sagt ein Ex-Sig-Sauer-Mann. Wichtige Kunden, etwa die Bundeswehr, hatten ihre Aufträge zurückgefahren, das musste irgendwie ausgeglichen werden.

Um auf dem lukrativen Rüstungsmarkt in Indien Fuß zu fassen, soll Sig Sauer die Dienste des berüchtigten Waffenlobbyisten Abishek Verma - Spitzname: "Lord of War"- in Anspruch genommen haben. Und dies zu einer Zeit, als bereits über die Verstrickungen Vermas in Skandale um schmutzige Rüstungsdeals berichtet wurde.

Ausgerechnet mit Hilfe dieses Mannes soll Sig Sauer USA ein Joint Venture in Indien gegründet haben, wie ein Ex-Geschäftspartner von Verma später zu Protokoll gab. Lüke reiste 2011 offenbar nach Indien, um Verma zu treffen. Der indische Strippenzieher hatte zu einem Gala-Empfang geladen "zu Ehren von Herrn Michael Lüke", wie der Spiegel 2013 berichtete.

War Lüke also doch etwas mehr ins Alltagsgeschäft seiner Firmen eingebunden, als Sig Sauer glauben lassen will? Auf eine Anfrage von SZ, NDR und WDR antwortete er bis Freitagabend nicht.

Ein Blick ins Handelsregister zeigt: Lüke firmiert seit Jahren als Geschäftsführer von Sig Sauer Deutschland, zeitweise offenbar auch allein.

Aus internen Dokumenten geht hervor, dass Lüke in dieser Funktion mutmaßlich auch Exportdokumente gebilligt hat. Dokumente, in denen es darum geht, wie viele Waffen welchen Typs wann wohin geliefert werden.

Lüke wird darin als "Ausfuhrverantwortlicher" bezeichnet. Und der Ausfuhrverantwortliche einer Firma ist derjenige, der sich für mögliche illegale Waffenexporte in erster Linie verantworten muss - im Zweifel auch vor Gericht.

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