Währungskrisen:Schwellenländer in großer Not

Lira Tumbles as Trump Deals Crumbling Currency Yet Another Blow

Ein Goldhändler in der Innenstadt von Istanbul.

(Foto: Bloomberg)

Argentinien, Indien, Südafrika: Die Krise der türkischen Lira reißt andere Schwellenländer mit. Was die USA damit zu tun haben und wie schlimm es noch werden könnte - ein Überblick.

Von Victor Gojdka

Als Argentiniens Staatspräsident Mauricio Macri sich am Montag mit einer Rede an sein Volk wandte, da musste man ihm nicht einmal zuhören, um die Botschaft zu verstehen. Macri legte die Stirn in Falten, kniff die Augenbrauen zusammen und atmete tief durch. Die Lage, das sprang ihm aus dem Gesicht, ist ernst. Die argentinische Währung ist seit Jahresbeginn um 50 Prozent gefallen. Das Land befinde sich in einer Notlage, alle müssten nun "Opfer bringen". Die Exporteure, die künftig höhere Abgaben zahlen müssen. Die zehn Minister, um die er sein Kabinett verkleinert. Macri macht das alles, um den internationalen Finanzmärkten zu signalisieren: Wir tun etwas. Allein, geholfen hat es bislang nicht.

Auch wenn alles mit der Türkei begonnen hatte, Macris Auftritt machte der Welt klar: Auch andere Länder sind betroffen, wie in Panik ziehen Investoren derzeit große Summen aus vielen Schwellenländern ab. Anfang des Monats sackte die türkische Lira stark ab, dann nahmen die Anleger Argentinien in den Blick. Wie ein Virus scheinen die Nachrichten andere Schwellenländer zu befallen: Die indische Rupie fällt, die indonesische Rupiah ebenfalls, der brasilianische Real hat zu kämpfen, der südafrikanische Rand siecht. In all diesen Ländern leuchten die Kurstafeln über den Geldwechselstuben tiefrot - und Anleger stellen sich dieser Tage nur eine Frage: Wiederholt sich die Geschichte? Wird nun wie zu Zeiten der großen Asienkrise Ende der 90er-Jahre Schwellenland um Schwellenland erfasst?

Der Auslöser Die Krise begann mit einer Nachricht, die eigentlich keine war. Anfang August verschärfte US-Präsident Donald Trump seine Strafzölle auf importierten türkischen Stahl und Aluminium. Selbst in einem pessimistischen Szenario würden das kaum mehr als 0,04 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Man könnte sagen: Es ging um Kinkerlitzchen. Dennoch schickte Trump die türkische Lira an jenem Tag auf Talfahrt, lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Land in der Krise mit einem zweifelhaften Herrscher an der Spitze.

Trump stieß die Investoren mit der Nase darauf, dass Erdoğan im Juni seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zum Finanzminister gemacht hatte, dass er immer wieder von Zinsen als "Mutter und Vater alles Bösen" sprach und damit der Zentralbank die Linie vorgab. Zinserhöhungen angesichts der davonlaufenden Inflation? Lieber nicht. Dabei könnte wohl nur dieser Schritt die Inflation in Schach halten und ausländische Investoren veranlassen, ihr Geld im Land zu lassen. Bis jetzt hat Erdoğan keine Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Die Notenbank tagt zum nächsten Mal am 13. September. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie die Märkte auch dann enttäuschen wird.

Die Abschussliste Ein türkischer Präsident, der mit den Finanzmärkten auf Kriegsfuß steht. Ein argentinischer Präsident, der ihnen alles recht machen will und dennoch scheitert. Auf den ersten Blick mag es merkwürdig wirken, dass solch unterschiedliche Politikstile dasselbe Ergebnis zeitigen: eine taumelnde Währung. Wer das verstehen will, muss sich vertiefen in die Publikationen, die derzeit Banken an ihre Kunden verschicken. Darin erklären sie, welche Länder als nächstes auf der Abschussliste der Finanzmärkte stehen dürften. Und worin die gemeinsamen Probleme der ganz unterschiedlichen Schwellenländer liegen .

Drei Faktoren sind für Anleger dabei relevant. Besonders gefährdet sind demnach Länder, die mehr importieren als exportieren. Weil sie sich so gegenüber dem Ausland verschulden, sind sie darauf angewiesen, dass immer frisches Geld ins eigene Land fließt. Ist das der Fall, sind die Ungleichgewichte in der Handelsbilanz kein Problem. Versiegt der Geldstrom jedoch, bekommen die Länder Schwierigkeiten. Die Türkei, Argentinien, Brasilien und Kolumbien haben hohe Handelsdefizite.

Ein einstiges Krisenland ist heute Musterschüler

Auch Unternehmen, die es mit der Verschuldung in den vergangenen Jahren übertrieben haben, geraten jetzt in den Blick der Märkte. In vielen Ländern haben sich die Firmen massiv in ausländischen Währungen verschuldet. Die Auslandskredite schienen süß, denn die US-Zinsen lagen deutlich unter dem heimischen Niveau. Doch jetzt fallen sie den Unternehmern vor die Füße: Mit massiv fallenden Landeswährungen müssen sie auf einmal viel mehr Landeswährung auf den Tisch legen, um ihre Dollarkredite zurückzuzahlen. Insgesamt betragen die auf Dollar lautenden Fremdwährungskredite von Unternehmen in Schwellenländern 3700 Milliarden Dollar, so hat es das Institute for International Finance berechnet. Doppelt so viel, wohlgemerkt, wie noch 2010. Besonders zugelangt haben Unternehmer in Argentinien, Chile und der Türkei. "Kann die Zentralbank nicht gegensteuern, droht in der Türkei eine Insolvenzwelle", sagt Schwellenländerexperte Janis Hübner von der Deka-Bank.

Auch wer als Nation in den Bannstrahl von US-Präsident Donald Trump kommt, muss sich hüten. So reichten Trump schon seine Zollverdoppelungen auf ein bisschen türkischen Stahl und Aluminium, um das Land wirtschaftlich in Schwierigkeiten zu bringen. Vor allem Russland hat ebenfalls mit dieser Gefahr zu kämpfen. Auch wenn sich Trump und Putin erst vor einigen Wochen in Helsinki trafen, drohte der Senat wenig später mit einem Gesetzentwurf, der es in sich hatte: Transaktionen mit russischen Staatsanleihen könnten verboten werden, russische Banken möglicherweise gar ganz vom Dollar abgeschnitten werden. Als der Entwurf öffentlich wurde, sackte der Rubelkurs ab.

Der mächtige Amerikaner Noch mächtiger als US-Präsident Trump dürfte in Sachen Schwellenländer ein anderer Landsmann sein: Jerome Powell, Chef der amerikanischen Notenbank Fed. Denn die Leitzinsen der Amerikaner stehen inzwischen wieder bei 1,75 bis zwei Prozent. Weil deswegen auch die Zinsen auf US-Staatsanleihen steigen, überlegen sich Anleger zweimal, ob sie das Risiko in den Schwellenländern überhaupt noch eingehen sollen. Außerdem entzieht die amerikanische Notenbank dem Markt Geld, indem sie ihre Bilanz reduziert. Dass nicht mehr so viel Geld auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit vorhanden ist, spüren die Schwellenländer nun.

Die Ausnahme Ausgerechnet der Geburtsort der einstigen Schwellenländerkrise ist nun zum Musterschüler geworden: Thailand hat seine Lektionen aus der einstigen Krise gelernt, weist heute einen Handelsbilanzüberschuss auf. Der thailändische Baht hat sich in der Krise so gut gehalten wie keine andere Währung eines Schwellenlandes.

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