Süddeutsche Zeitung

Währungskrise in Argentinien:Das Geld und der Schwarzmarkt

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Traumatisiert von der Hyperinflation: In Argentinien stürzt der Peso ab, und die Menschen trauen den Zahlen der Regierung nicht mehr. Nur die Geldwechsler machen gute Geschäfte mit einer Parallelwährung. Ein Minister beschuldigt Shell, gegen das Land zu spekulieren.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Sie verkaufen ihn in Hinterzimmern, die Höhlen heißen, cuevas. Auf den Straßen bieten die Geldwechsler, die die Menschen Bäumchen nennen, arbolitos, ihn an. In Argentinien gedeiht derzeit eine Branche mit geheimnisvollen Namen, ihre Ware: ein Parallel-Dollar, der "Dólar Blue". Viele Argentinier versuchen, an den blauen Dollar zu kommen, weil der Wert ihrer eigenen Währung verfällt. Der 100-Peso-Schein, Argentiniens höchste Banknote, ist, gemessen am offiziellen Wechselkurs, gerade noch neun Euro wert. Gemäß dem Kurs auf dem Schwarzmarkt noch einen Euro weniger. Einen solch niedrigen Spitzenwert gibt es in kaum einem anderen Land der Welt.

Und so hat diese Woche in Argentinien mit der Frage begonnen, mit der die vergangene schon endete: Wie geht es mit dem Peso und der Finanzlage im Land weiter? Beruhigt sich der Kursverfall wieder? Hat die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner die Lage noch im Griff?

Am Donnerstag war die argentinische Währung so stark abgestürzt wie seit zwölf Jahren nicht: Ein US-Dollar, die ewige Referenz des südamerikanischen Landes, kostete auf offiziellem Wege plötzlich acht Pesos und auf dem Schwarzmarkt zwischenzeitlich 13 Pesos - beides Rekord. In der Hauptstadt Buenos Aires gediehen die Gerüchte und die Angst. Am Freitagmorgen sorgte die Regierung für weitere Turbulenzen. Künftig könnten unter bestimmten Bedingungen wieder legal Dollar bei Banken und Wechselstuben erstanden werden, informierte Kabinettschef Jorge Capitanich, eskortiert von Wirtschaftsminister Axel Kicillof. Mehr als zwei Jahre war der Devisenhandel stark eingeschränkt gewesen.

Gebannt warteten Bewohner und Investoren also darauf, was als Nächstes geschehen würde. Aber Präsidentin Fernández de Kirchner flog erst mal zum lateinamerikanischen Gipfel nach Kuba und traf dort auch den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro - es war ihre erste Auslandsreise, nachdem sie aufgrund einer Hirnblutung operiert worden war. Die Rückkehr zur Routine sollte Gelassenheit demonstrieren. Doch in Argentinien wächst wieder das Misstrauen in die staatlichen Zahlen.

Viele Argentinier erinnern sich an düstere Zeiten. Da war nach der mörderischen und verschwenderischen Militärdiktatur die Hyperinflation der Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, als die Scheine stündlich an Wert verloren. Dann kam das größenwahnsinnige Experiment des Präsidenten Carlos Menem, der den Peso in einem Verhältnis von 1:1 an den Dollar ketten ließ. Vor elf Jahren dann: der Staatsbankrott. Die einst so reiche Republik mit ihrer Natur, ihren Bodenschätzen und ihrem Talent war pleite. Der Schuldendienst wurde gestoppt, der Peso abgewertet, Guthaben wurden vorübergehend eingefroren. Corralito nannten sie das, Laufstall, bis heute ein gefürchtetes Wort.

"Fußfesseln" für Kreditkarten

Das Ehepaar Kirchner kam an die Macht, erst er, dann sie, und es ging dank hoher Nachfrage, verbilligter Ressourcen und umfangreicher Sozialhilfe wieder bergauf, ehe Néstor Kirchner 2010 starb und seine politisch umstrittene Witwe die Richtung verlor. Die lange Zeit wieder üppigen Dollarreserven sinken bedrohlich, von knapp 48 Milliarden auf zuletzt noch 29 Milliarden Dollar. Die Inflation hat mehr als 25 Prozent erreicht, obwohl die Kirchner-Regierung behauptet, sie betrage nur die Hälfte. Die Strategen am Río de la Plata brauchen enorme Dollarmengen. Sie versuchen, Schuld und Zins zumindest teilweise zu bezahlen; im Rahmen der Sommerhitze die Energiekrise mit Stromausfällen mit Importen von Gas und Öl zu lindern - und außerdem den Peso zu stützen. Denn Zugriff zum internationalen Kreditmarkt hat Argentinien kaum oder nur zu sehr ungünstigen Konditionen.

Auch deshalb verbot die Regierung Ende 2011 den freien Verkauf von Dollar, um die nationale Dollarsucht zu bekämpfen und sich selbst Vorräte zu sichern. Dazu kamen Hürden beim Import und kürzlich sogar beim Einkauf mit Kreditkarte auf ausländischen Websites sowie Preiskontrollen. Cepo heißt das im Jargon: Fußfesseln.

Der junge Wirtschaftsminister Kicillof macht Spekulanten für den Kursverlust verantwortlich, vorneweg den Ölkonzern Shell. "Es gab einen sehr starken spekulativen Angriff", klagte Kicillof beim Radiosender Continental. Shell habe 3,5 Millionen Dollar bestellt und einen Wechselkurs von 8,40 Peso geboten, obwohl da noch 7,20 Peso zu Buche standen. Die Zentralbank sei seit einer Woche über die Dollar-Käufe informiert gewesen, Shell habe das Geld für seine Importgeschäfte und Kraftstoffexporte gebraucht, konterte das Unternehmen. Beobachter wunderten sich, dass 3,5 Millionen Dollar den Peso 14 Prozent nach unten drücken.

Oppositionelle beschweren sich, haben aber auch keine vernünftige Idee, wie die Inflation zu stoppen sein könnte. Obendrein stehen bald Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften bevor, die Angestellten verlangen angesichts der rasenden Entwertung deutlich mehr Geld. Für Luxusgüter wie Autos und Elektrogeräte gab es angesichts der Unklarheit am Wochenende teilweise keine Preise mehr.

Am Montag erläuterten Kirchners Statthalter in Buenos Aires dann die Lockerungen. Mit einem deklarierten Monatsgehalt ab 7200 Pesos können Sparer monatlich 2000 Dollar kaufen. Eine Fortsetzung der argentinischen Saga Peso/Dollar folgt bestimmt.

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Quelle:
SZ vom 28.01.2014
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