Süddeutsche Zeitung

Währung:Was der Absturz der türkischen Lira bedeutet

Lesezeit: 2 min

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die türkische Lira ist an diesem Freitag auf einen historischen Tiefstand gefallen. Gegenüber dem Dollar verlor sie zeitweise mehr als 22 Prozent an Wert. Ein Dollar war am Freitag etwa 6,6 Lira wert. Anders formuliert: Wer heute 100 Lira kaufen will, muss dafür weniger als 16 Dollar zahlen. Seit Jahresbeginn hat die türkische Währung damit mehr als ein Drittel ihres Werts verloren.

Der Kursverfall setzt Präsident Recep Tayyip Erdoğan zunehmend unter Druck. Er hat die Türken aufgerufen, ihre ausländischen Devisen einzutauschen, um dem Verfall der Lira zu begegnen. Es gehe um einen "nationalen Kampf", sagte er bei einer Kundgebung in der Schwarzmeerregion Bayburt. "Wenn Ihr Dollar, Euro oder Gold unter dem Kopfkissen habt, geht zur Bank und tauscht es in türkische Lira. Dies ist ein nationaler Kampf." Am Vortag hatte er bei einer Wahlkampfveranstaltung die Menschen dazu aufgerufen, den "verschiedenen Kampagnen", die gegen die Türkei vorbereitet würden, keine Aufmerksamkeit zu schenken. "Wo die ihre Dollar haben, haben wir unser Volk, unsere Gerechtigkeit und unseren Gott", sagte Erdoğan.

Ein wichtiger Grund für den dramatischen Verfall der Lira ist die wachsende Einflussnahme von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf die Zentralbank, die internationale Investoren seit Monaten beunruhigt. Hinzu kommt der Streit zwischen Washington und Ankara über den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson. Gespräche hochrangiger Regierungsvertreter beider Seiten brachten bislang keinen Durchbruch.

Für viele Türken werden Kreditrückzahlungen teurer

Währungsturbulenzen wie nun in der Türkei sind Ausdruck von Misstrauen. Die internationalen Finanzmärkte zweifeln an der türkischen Wirtschaftskraft, verweigern und verteuern neue Kredite und streichen Investitionen. Für die Türkei hat das unmittelbare Konsequenzen: Wichtige Importe, die in Euro und Dollar bezahlt werden müssen, werden deutlich teurer. Viele Türken haben sich aufgrund der niedrigeren Zinsen in der Euro-Zone zudem Kredite in Fremdwährungen aufgeladen, etwa um Häuser zu kaufen. Deren Rückzahlung wird durch die Lira-Schwäche teurer, mancher Kredit könnte ausfallen.

Die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) schaut sich schon seit Wochen jene Banken an, die in der Türkei Kredite vergeben haben. Vor allem französische, italienische und spanische Institute sind betroffen. So ist der spanische Bankensektor mit 80, der französische Bankensektor mit 35 und die deutschen Banken mit 17 Milliarden Dollar investiert, zeigen Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).

Eine systemische Gefahr für den europäischen Bankensektor droht derzeit nicht, einzelne Kreditinstitute könnten aber in Schwierigkeiten geraten. Die Unruhe in der Türkei strahlt in andere Staaten ab. So ist die russische Währung ebenfalls unter Druck geraten und gegen den US-Dollar auf den tiefsten Stand seit zwei Jahren gefallen. Es mehren sich Stimmen, die Türkei solle Hilfe vom Internationale Währungsfonds (IWF) erbitten. Die türkische Regierung weigert sich bislang. Ein Rettungsplan mit dem IWF würde an den Finanzmärkten als Gütesiegel für die Türkei interpretiert werden, denn die IWF-Hilfen wären an wirtschaftspolitische Reformversprechen gebunden. Das könnte das Vertrauen der Börsen in das Land wieder stärken.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4088352
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.