Wachstumsmarkt:Das Frauen-Wirtschaftswunder

Frauen könnten mit ihrer immensen Wirtschaftskraft locker die Welt retten. Zu dumm, dass sie von männlichen Managern konsequent ignoriert werden.

Carsten Matthäus

Irgendwann zu Beginn des Jahrtausends wollte Siemens etwas Neues machen. Man wollte auch mal so trendy sein wie der damalige Handy-Weltmarktführer Nokia. Also bauten die Ingenieure Mobiltelefone zum Umhängen oder mit eingebautem Schminkspiegel. "Die ultimativen Highlights aus Beauty und Mode" sollten diese Xelibri-Handys "miteinander verschmelzen", hieß es in der Pressemitteilung.

Wachstumsmarkt: Flop-Gerät: Xelibri-Handy mit Schminkspiegel

Flop-Gerät: Xelibri-Handy mit Schminkspiegel

(Foto: Foto: dpa)

Sie taten es nicht. Die Xelibri-Geräte landeten bald auf Grabbeltischen, die Siemens-Ingenieure schraubten wieder an ihren beige-schwarzen Telefonknochen mit illustren Namen wie S4 und Siemens hatte einen handfesten Flop gelandet.

Xelibri ist nur einer von vielen gescheiterten Versuchen, eine Kundengruppe anzusprechen, die zugleich die mächtigste, die anspruchsvollste, die am meisten missverstandene und die am meisten unterschätzte ist: Frauen.

Die Macht der Frauen

Mit Einkünften in Höhe von 13 Billionen Dollar (2009) und einer erwarteten Steigerung auf 18 Billionen Dollar bis 2014 stehen Frauen der Weltbank zufolge für einen mehr als doppelt so großen Wachstumsmarkt wie die Boomländer China und Indien zusammengenommen. Doch das eigene Einkommen ist nur ein Teil der Wahrheit. Frauen kontrollieren durchschnittlich etwa 70 Prozent des verfügbaren Welteinkommens - als Tochter, Familien-Chefin, Geschiedene oder Witwe. Zu diesem Ergebnis kommen Martin Silverstein und Kate Sayre von der Boston Consulting Group (BCG) in ihrer als Buch veröffentlichten Studie "Women want more". Damit läge die finanzielle Macht der Frauen weltweit bei 20 Billionen Dollar für 2009 und 28 Billionen Dollar für 2014.

Auf der Überholspur

Wichtiger als die schiere Masse ist das Wachstumstempo des Frauen-Marktes. In allen Feldern sind Frauen derzeit auf der Erfolgsspur. In Ländern mit annähernd gleichen Startbedingungen liegt der Anteil von Frauen mit einem akademischen Abschluss immer über 50 Prozent. In den USA werden am Ende des Jahres erstmals mehr Frauen einer regelmäßigen Arbeit nachgehen als Männer.

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Fleißig und kaufkräftig: Fabrikarbeiterinnen in einem Dessous-Werk in Dongjang, China

(Foto: Foto: dpa)

Alle Statistiken zeigen, dass Frauen in Führungspositionen zwar noch in der Minderheit sind, ihr Anteil aber kontinuierlich steigt. Auch die Ungleichheit bei der Bezahlung nimmt Stück für Stück ab. So berichtet die New York Times, dass junge Frauen im Alter von 21 bis 30 Jahren in den großen US-Städten bereits ein deutlich höheres Einkommen erreichen als ihre männlichen Konkurrenten. Silverstein und Sayre schätzen, dass Frauen in den USA aufgrund ihrer besseren Bildung und ihres zunehmenden gesellschaftlichen Einflusses ab dem Jahr 2028 im Schnitt mehr verdienen werden als Männer.

Aufstieg der Factory Girls

Auch als Konsumentinnen sind es vor allem die Frauen, die der Welt-Ökonomie wieder auf die Füße helfen. So stieg in China der private Konsum trotz Finanzkrise um 15 Prozent. Verantwortlich dafür sind laut China Market Research Group vor allem Frauen unter 35 Jahren. Der überwiegende Teil dieser Bevölkerungsgruppe wird inoffiziell als "factory girls" bezeichnet: Junge Frauen, die sich mit hohem Arbeitseinsatz aus der Armut kämpfen und gleichzeitig als Konsumentinnen für wirtschaftliche Dynamik sorgen.

Im Schnellkochtopf

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Allein mit zu viel Arbeit: Frauen schultern Job, Familie und den Löwenanteil der Hausarbeit

(Foto: Foto: dpa)

Die Typologie weiblicher Konsumenten lässt jedoch eines sehr schnell erkennen: Der größere Teil von ihnen steht unter Druck. Sei es, dass sie Kindererziehung, Haushalt und Arbeit unter einen Hut bekommen müssen oder sei es, dass ihr finanzielles Budget viel zu knapp ist, um allen Ansprüchen der eigenen Familie gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass es in der Regel die Frauen sind, die sich um die Pflege der alternden Eltern und Großeltern kümmern müssen. Und noch immer schultern Frauen - ob sie arbeiten oder nicht - den Löwenanteil der Hausarbeit.

Silverstein und Sayre haben 12.000 Frauen in mehr als 20 Ländern befragt, wie stark sich der männliche Partner im Haushalt beteiligt. Die Antwort fiel erschreckend aus: 74 Prozent der japanischen Frauen gaben an, nie oder nur wenig Hilfe von ihrem Mann zu erhalten, in Italien waren es 50 Prozent und auch in Deutschland sind es immer noch 40 Prozent. Eine der weiblichen Konsumtypen wurde unter anderem deshalb als "pressure cooker" bezeichnet. Auf Deutsch übersetzt hieße das Schnellkochtopf, meint aber Frauen, die verheiratet sind und Kinder haben, und entweder ihre vielen Aufgaben erfolgreich jonglieren können oder ständig gegen das Chaos ankämpfen.

Womenomics auf dem Vormarsch

Die hohe Alltagsbelastung führt der Studie zufolge unmittelbar zu einem sehr knappen Zeitbudget und damit zu hohen Ansprüchen an Konsum- und Arbeitswelt. Frauen brauchen mehr Flexibilität im Beruf, was die beiden amerikanischen Fernsehmoderatorinnen Katty Kay und Claire Shipman unter dem Titel "Womenomics" einfordern. Ihre These: Sorgt für mehr Flexibilität und Frauen-Power in den Unternehmen, das führt automatisch zu einer höheren Profitabilität.

"Zynisch und oberflächlich"

Kay und Shipman stützen sich dabei auf Universitätsstudien. So habe beispielsweise die Pepperdine University im kalifornischen Malibu in einem 19-Jahres-Vergleich herausgefunden, dass Unternehmen mit mehr weiblichen Führungskräften die Konkurrenz in Umsatz und Gewinn "zwischen 41 und 116 Prozent" übertrafen. Andere Studien besagen, dass Unternehmen, die Frauen gehören, im Vergleich zum Durchschnitt mit dem doppelten Tempo wachsen.

Damit das Frauen-Wirtschaftswunder auch im großen Stil möglich wird, müsste laut Kay und Shipman allerdings eine Grundregel der Arbeitswelt geändert werden: Das Alles-oder-nichts-Prinzip, bei der eine Karriere nur möglich ist, wenn der Mitarbeiter alle privaten Bedürfnisse dem Job unterordnet. "Wir wollen arbeiten, aber nach unseren eigenen Bedingungen und in einer Weise, dass noch ein eigenes Leben möglich ist", so ihre Forderung.

Schwer enttäuscht von Banken

Wenngleich sich Frauen als Mitarbeiterinnen vielerorts schwertun, diese Forderungen durchzusetzen, als Konsumentinnen können sie es und tun es immer bestimmter. Doch auch hier werden sie von der Männerwelt noch viel zu häufig falsch verstanden und "unzureichend bedient", wie die BCG-Berater Silverstein und Sayre konstatieren. Da werden technische Geräte wie oben beschrieben mit Schminkspiegeln versehen oder in eine pinke Vollverkleidung gesteckt, dazu ein paar dümmliche Beauty-, Mode- oder Kochtipps. Solche billigen Marketingaktionen, die nur simple Klischees bedienen, sind der Studie zufolge hoch gefährlich für die Marke. Sie werde als "zynisch und oberflächlich" gebrandmarkt und von den Einkäuferinnen künftig gemieden. Schwer enttäuscht seien Frauen insbesondere von Banken, Versicherungen, Autoherstellern und der Elektronikindustrie.

Eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren auf dem potentiell riesigen Frauen-Wachstumsmarkt ist Silverstein und Sayre zufolge die Zeit. Insbesondere bei regelmäßigen Einkäufen muss die Warenwelt nicht pink, nach Rosen duftend und verspiegelt sein, sondern vor allem effizient funktionieren. Einige Unternehmen haben die Zeichen der Zeit erkannt, allen voran der schwedische Möbelriese Ikea. Er bietet nicht nur eine großzügig ausgestattete Kinderbetreuung und schenkt Müttern Babynahrung im Restaurant. Den Kundinnen werden auch Abkürzungen durch den Einkaufsparcours verraten. Wie richtig dieses Bemühen ist, zeigt ein andere Zahl der BCG-Studie: 94 Prozent der Kaufentscheidungen bei Möbeln werden von Frauen getroffen.

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