Süddeutsche Zeitung

Wachstum und Wohlstand:Kurven des Kapitalismus

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Ist der Sozialismus dem Kapitalismus überlegen? Oder andersrum? Drei grafische Argumentationshilfen für die nächste Grundsatzdebatte.

Von Jannis Brühl, Christopher Eichfelder und Salvan Joachim

Kann gemessen werden, ob der Kapitalismus dem Sozialismus überlegen ist? Oder andersrum? Das ist klassischerweise eine Glaubensfrage. Einer Antwort zumindest annähern kann man sich allerdings mit Daten internationaler Organisationen. Auch damit lassen sich keine Kausalitäten nachweisen, aber immerhin bestimmte Auffälligkeiten.

Die Systeme als Ganzes sind schwierig zu vergleichen. Doch ein Blick lohnt sich auf einzelne Aspekte, die für die Lebensqualität von Menschen entscheidend sein können.

Wirtschaftslabor Korea

Ökonomen können nicht unter Laborbedingungen forschen. Allerdings glauben manche, dass die Länder, die während des Kalten Krieges getrennt waren, so etwas ähnliches bieten können: Kapitalistische und sozialistische Staaten, die nebeneinander existierten, mit ähnlicher Geschichte und Kultur.

Wer auf die Überlegenheit des Kapitalismus schwört, kann diese Grafik präsentieren:

Ein Beispiel: Korea. Noch in den 1970er Jahren hatte der kommunistische Norden ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf als der Süden. Während sich Südkorea wirtschaftlich immer mehr öffnete, stieg das BIP pro Kopf in dem Land steil an. In Nordkorea dagegen verharrte es auf sehr niedrigem Niveau, heute ist das Land eines der ärmsten der Welt.

Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Denn in den Jahren, in denen der Süden den Norden überflügelte, regierte der Militärdiktator Park Chung-hee. Es gab eine enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft. Park Chung-hee schob die exportorientierte Wirtschaft an - wofür er sich deutlich mehr interessierte als für die Menschenrechte seiner innenpolitischen Gegner.

Frei und ungleich

Der Kapitalismus erwirtschaftet also Wohlstand, aber wie gerecht verteilt er ihn? Ziemlich ungleich, zeigt der Gini-Index, wie ihn die Weltbank erhoben hat. Bei einem theoretischen Gini-Wert von 0 verdienen alle Menschen gleich viel, es gibt keine Ungleichheit. Bei einem Wert von 100 verdient ein Einzelner alles verfügbare Einkommen und der Rest nichts. Je höher der Wert, desto ungleicher die Einkommensverteilung in der Gesellschaft.

In Ländern, die sich der freien Marktwirtschaft zugewendet haben, ist die Ungleichheit stark angestiegen: Russland, China und Vietnam.

Auch die Verteilung in Schweden und Deutschland ist ungleicher geworden - allerdings in weitaus geringerem Ausmaß. Ihr eher sozialdemokratisches Modell - freier Markt mit starkem Sozialstaat - wirkt offensichtlich besser gegen Ungleichheit.

In Brasilien ging die Ungleichheit im Vergleich zu den 80er Jahren zurück - das Land hat sich für ausländisches Kapital geöffnet. In den betroffenen Zeitraum fallen auch die großangelegten Sozialprogramme und hohe Investitionen der Regierung von Präsident Lula.

Wo Kuba die USA übertrumpft

Kindersterblichkeit gilt als einer der besten Indikatoren für die medizinische Lage in einem Land. Mangelernährung, niedrige Impfraten und schlechte hygienische Bedingungen lassen sie steigen. In den letzten 20 Jahren ist sie praktisch überall auf der Welt rapide gesunken.

In Staaten wie China ging das mit der Öffnung zum Kapitalismus einher. Doch eine Regel, dass sozialistische Staaten bei diesem Indikator schlechter abschneiden, lässt sich nicht aufstellen. Eines der wenigen verbleibenden sozialistischen Länder hat eine niedrigere Kindersterblichkeit als die Vereinigten Staaten: Kuba, dessen staatliches Gesundheitssystem einen größeren Teil der Bevölkerung abdeckt als das teilprivatisierte System der USA.

Können Daten überzeugen?

Aber kommt es überhaupt auf solche Zahlen an, wenn Gegner wie Befürworter des Kapitalismus an die moralische Überlegenheit ihres Wirtschaftsmodells glauben? "Dass der Kapitalismus bessere Ergebnisse liefert, ist eine ziemlich moderne Idee", sagt Max Roser, Ökonom in Oxford. Er untersucht die historische Entwicklung von Wachstum und Lebensqualität - und ist glühender Verfechter des freien Marktes. Aber eben nicht wegen der Ergebnisse, sondern weil er die Freiheit des Marktes für eine essentielle Freiheit des Menschen hält. Das sei besser als eine kommunistische Parteielite, die politische Ämter halte und noch dazu die Wirtschaft kontrolliere.

Am Ende ist es also oft eine ideologische Frage. Datensätze werden die wahren Gläubigen nicht überzeugen - egal, von welchem Politik- oder Wirtschaftssystem sie überzeugt sind. Wer an die Überlegenheit des Kapitalismus glaubt, der argumentiert, dass es wahre Freiheit des Einzelnen nur in Marktwirtschaft gibt. Da könnte ihm ein Sozialist noch so viele schöne Grafiken vorlegen.

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