Wachsende Angst vor Finanzcrash:Vom neuen Goldrausch

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Viele Anleger haben das Vertrauen in herkömmliche Geldanlagen verloren, sie decken sich mit Edelmetallen ein - und verblüffen damit manch etablierten Experten.

Simone Boehringer

Fritz Grassmann* war früh dran. Schon vor eineinhalb Jahren ist er beim damals noch weitgehend unbekannten Münchner Goldhändler Pro Aurum am Prinzregentenplatz aufgetaucht und hat seinen Goldschatz verkauft. "Etwa 50.000 Euro hat der Mann für seine Goldbarren damals erhalten", erinnert sich Robert Hartmann, Gründer und Geschäftsführer des inzwischen größten bankenunabhängigen Edelmetallhandels in Deutschland. Heute hätte Grassmann dafür fast 90.000 Euro kassiert.

Mirko Schmidt ist Geschäftsführer des Goldhändlers Pro Aurum (Foto: Foto: SZ)

Der Goldpreis steigt und steigt und steigt. Auch andere Edelmetalle werden immer teurer. Um die 720 Dollar zahlen die Händler bereits je Feinunze (31,1 Gramm) Gold. Das ist der höchste Stand seit 25 Jahren. Der Mittsechziger Grassmann hätte also durchaus noch ein bisschen mit seinem Verkauf warten können. Trotzdem hat er eine Menge Glück gehabt: Sein Vater hatte im Garten seines ehemaligen Hauses den Goldschatz vergraben - auf der Flucht, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Dort überdauerten die Edelmetallbarren 40 Jahre DDR, den ostdeutschen Bauboom in den ersten Jahren der geeinten Republik und die Einführung des Euro. Das Gold hat für Grassmann seinen Zweck erfüllt: Das Vermögen abzusichern - in Zeiten, die als unsicher empfunden werden.

Dies geht in diesen Tagen auch anderen Menschen so. Viele Sparer haben das Vertrauen in herkömmliche Geldanlagen verloren. Sie kaufen Gold und Silber statt Pfandbriefe oder Anleihen. "Hohe Arbeitslosenraten, steigende Ölpreise und die damit verbundene Angst vor Inflation und Terror, der Irakkrieg und politische Krisen wie jüngst in Iran haben bei vielen Anlegern das Bedürfnis geweckt, sich Edelmetalle wieder physisch ins Depot zu legen", sagt Wolfgang Wrzesniok-Roßbach, leitender Händler beim führenden Edelmetallkonzern Heraeus in Hanau. Doch ob sie damit richtig liegen, ist höchst umstritten: Manche Außenseiter unter den Marktexperten sehen die Gold- und Silberhausse schon als Vorboten eines bevorstehenden globalen Finanzcrashs. Etablierte Börsenkenner halten sie dagegen meist für "übertrieben".

Weltweit lauern Gefahren

Mitte der achtziger Jahre hatte ein Rohstoffdepot noch zum Muss in jedem gut sortierten Anlageportfolio gehört. Mehr als zehn Jahre nach der endgültigen Aufgabe des Goldstandards 1971, also der Golddeckung des Dollars, ging es in Sondermagazinen von Wirtschaftszeitungen noch ausführlich um die Gefahren einer zu hohen Verschuldung für das Geldsystem. "Das Kreditnetz ist so eng um den Globus gezogen, dass wirklich ein Loch an einer Stelle ausreicht, um das ganze Netz zu zerreißen", heißt es etwa in der November-Ausgabe des Handelsblatt-Magazins 1983. "Das wäre der Punkt, da jeder sich glücklich schätzte, Gold zu besitzen."

Doch bislang hat das Netz gehalten, obwohl weltweit Gefahren lauern: Durch die Globalisierung sind die Staaten stärker voneinander abhängig. Bricht ein großer Schuldner zusammen, droht er andere mitzureißen. Und auch die Geldmenge ist weit stärker gestiegen als die reale Wirtschaftskraft. Allein die Vereinigten Staaten, Herausgeber der Weltreservewährung Nummer eins, haben seit den Terroranschlägen im September 2001 die Dollar-Geldmenge um knapp 40 Prozent auf zuletzt offiziell 10,4 Billionen Dollar erhöht - eine Steigerungsrate, die etwa doppelt so hoch ist wie das ausgewiesene Wirtschaftswachstum in dieser Zeit. Dafür hält sich die Geldentwertung bislang in Grenzen.

Aber die Zweifel wachsen. "Ich glaube nicht daran, dass der Staat noch in der Lage ist, die hohen Schulden zu bezahlen, die er uns und den künftigen Generationen aufgebürdet hat. Ich rechne fest mit einer Hyperinflation und anschließender Währungsreform. Deshalb kaufe ich Gold", sagt Markus Beck und steckt zwei kleine Barren und einige Silbermünzen in ein Lederetui, die er soeben bei Pro Aurum erworben hat.

Gold hat in den vergangenen Jahren stark an Wert gewonnen (Foto: Foto: dpa)

Wie der 39-jährige Familienvater argumentieren an diesem Freitagnachmittag noch einige Kunden, die mit ihrem Ersparten noch "schnell etwas Handfestes einkaufen", wie es ein ganz eiliger Schwabe aus Ludwigsburg ausdrückt. Er ist gerade mit einem dunkelblauen VW-Passat bei Pro Aurum vorgefahren und lädt zwei Pappschachteln mit je fünf Kilogramm schweren Silberbarren in seinen Kofferraum. Nur Minuten vorher war erst Nachschub eingetroffen. In wattierten Großkuverts verpackt, hatte ein Geldtransporter die begehrten Stücke abgeliefert. "Bei Silber kommen wir gerade kaum nach", sagt Hartmann.

Auch bei den Lieferanten, den Edelmetallkonzernen Heraeus und Umicore (früher Degussa), ist mittlerweile von "temporären Engpässen bei Silberbarren" die Rede. Die Prägekapazitäten für die derzeitige Nachfrage reichten nicht aus, heißt es. Silber rangiert derzeit bei vielen Kunden noch vor Gold, nachdem sich der Preis für die Feinunze binnen Jahresfrist auf zuletzt mehr als vierzehn Dollar verdoppelte. Über seine Motive reden will der Ludwigsburger Kunde nicht, Zeit hat er auch nicht. "Alles Wichtige steht auf Goldseiten.de", sagt er und braust mit seinem VW davon.

Finanzwissen als Autodidkat erworben

Tatsächlich informieren sich viele Edelmetallfans, Profis wie Privatleute, über den Markt im Internet. Netdania.com, Kitco.com oder eben Goldseiten.de heißen die einschlägigen Seiten, die auch im Handelsraum bei Pro Aurum mitlaufen. Goldseiten.de als einziges großes deutschsprachiges Forum zum Thema genieße wegen seiner Unabhängigkeit inzwischen Kultstatus, versichern mehrere Anleger. Der Macher der Seite, der Maschinenbauer Frank Hoffmann aus Neustadt an der Orla in Thüringen, legt selbst allergrößten Wert darauf, sich und seine Seite als "reine Sammlung von gut begründeten Anlageideen und Artikeln zum Edelmetallthema" zu sehen: "Ich verkaufe nichts außer den Landmaschinen in meinem Familienbetrieb."

Mit vielen privaten Edelmetallanlegern hat Hoffmann eines gemein: Sein Finanzwissen hat er sich als Autodidakt erworben. "Die Goldseiten haben mir geholfen, schneller an Informationen zu kommen, die von den meisten Banken zu diesem Markt bis vor zwei Jahren fast gar nicht zu erhalten waren", sagt er. Doch nicht nur Fachfremde sind im Goldrausch. Auch Anlageberater und Investmentprofis kaufen Edelmetalle. Zum Beispiel in Frankfurt, in der Mittagspause bei Pavol Jurecko, Chef des Edelmetallhändlers Münzkabinett in der Innenstadt. "Die Angestellten der Großbanken gehören zu meinen besten Kunden", versichert der gebürtige Slowake.

Auch zu Pro Aurum findet an diesem Freitagnachmittag noch ein Diplom-Ökonom den Weg. Weißes Hemd, dunkler Anzug, dezente Lederschuhe. Nein, er arbeite nicht bei einer Bank, sondern in der Elektronikbranche, sagt Detlef Herberts. Nur außerhalb des Finanzsystems könne man "die Lage noch mit gesundem Menschenverstand beurteilen", raunt er. Der Enddreißiger legt seit drei Jahren in großem Stil Gold und Silber für die Kinder an, um davon einmal "ihre Ausbildung bezahlen zu können".

Zweimal habe "der Staat die Menschen im 20. Jahrhundert über die Inflation mit anschließender Währungsreform enteignet", sagt Herberts. Mit seinem Investment will er dafür sorgen, dass seine Familie die "derzeit schon schleichend laufende weitere Enteignung schadlos übersteht. Früher waren es die Weltkriege, die den Staat in Schulden trieben und das Geldsystem ruinierten, jetzt ist es der überbordende Sozialstaat, der unfinanzierbar geworden ist", sagt der Mann vom Bodensee, der wegen seiner Edelmetalleinkäufe extra nach München gefahren ist.

Etwa 30 bis 40 Kunden kommen derzeit täglich an den Schalter von Pro Aurum. Vom langhaarigen Mittvierziger mit roten Turnschuhen, der Edelmetalle kauft, weil es "die einzig fassbare Anlageform" sei, bis hin zum Rentnerpärchen, das sich Sorgen um seine "real ständig sinkenden Altersbezüge" macht, und deshalb "für den Krisenfall einer hohen Inflation" eine kleine Münz- und Barrensammlung im heimischen Keller vorhält, sind Kunden in allen möglichen Lebenslagen vertreten. Wartezeiten nehmen sie geduldig in Kauf. "Das ist aber nur ein Ausschnitt unseres Geschäfts", sagt Pro-Aurum-Gründer Hartmann. 95 Prozent der Umsätze kämen über Telefon und Internet zustande, weil die Kunden "auf besondere Diskretion Wert legen".

Das Unternehmen profitiert von der wachsenden Skepsis vieler Menschen. "Das Geschäftsvolumen hat sich seit dem vergangenen Jahr vervierfacht", freut sich Mitgeschäftsführer Mirko Schmidt. Eine wachsende Zahl von Kunden deckt sich inzwischen auch über Einkaufsgemeinschaften mit Gold und Silber ein. Die größte und älteste ist in Walsrode zwischen Hamburg und Hannover. 2000 Anleger haben der im September 2002 gegründeten Vermögen-Sicherung-Gemeinschaft (VSG) inzwischen 30 Millionen Euro anvertraut. "Wir haben insgesamt mehr als 50 Tonnen Edelmetalle bei verschiedenen Sparkassen gelagert", sagt Andreas Popp, Chef der Walsroder Vermögensverwaltung Popp AG, unter dessen Dach die VSG läuft.

"Wir blasen rechtzeitig zum Ausstieg"

Wohl kaum jemand ist in der Szene so umstritten wie der 45-jährige Familienvater, "Autodidakt, Dozent für Makroökonomie und Buchautor", wie er sich selbst bezeichnet. Viele etablierte Edelmetallexperten werfen dem Anlageverwalter "Angst schürenden Populismus" vor, wenn er den nächsten Aktiencrash bis Ende 2007 prognostiziert und eine Währungsreform binnen der nächsten drei Jahre.

Wegen der weltweit "nie mehr rückzahlbaren Schulden" rechnet Popp "mit dem Zusammenbruch des auf dem Dollar basierten Geldsystems bis 2010". Die Anlage in Edelmetallen sei zwar "keine Lösung, aber das wichtigste Mittel, um schadlos, das heißt ohne Enteignung, durch die Krise zu kommen". Umstritten ist Popp auch wegen seines gewagten Kursziels: Bei 6500 Dollar je Feinunze sieht er den Goldpreis bis 2010 und überbietet damit selbst die Prognosen des amerikanischen Rohstoff-Gurus Jim Rogers, der den Preis immerhin bei 1000 Dollar sieht.

Manche Experten erinnert die Edelmetallhausse an den Höhenflug der Kurse in der Aktieneuphorie 1999/2000. "Wir werden rechtzeitig zum Ausstieg blasen, das sind wir unseren Kunden schuldig", verspricht Pro-Aurum-Gründer Hartmann. Die Crash-Thesen von Popp teilt er nicht. Trotzdem ist Hartmann überzeugt: "Die Edelmetallhausse kann noch bis zu fünf Jahre dauern."

* Namen aller Anleger geändert

© SZ vom 13.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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