Angespannte Situation in Wolfsburg:VW-Mitarbeiter in Angst

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Herbert Diess spricht vor versammelter Belegschaft im VW-Werk Wolfsburg. (Foto: Volkswagen AG/Roland Niepaul/Volkswagen AG)

Die erste Betriebsversammlung in Wolfsburg seit Ausbruch der Corona-Pandemie macht deutlich: Volkswagen steht unter enormem Druck, nicht nur wegen des drängelnden Chefs Herbert Diess. Aber er macht es nicht einfacher.

Von Max Hägler

In den Stunden vor dem großen Aufeinandertreffen ging es mal wieder richtig böse zur Sache. "Paukenschlag bei VW: Konzernchef Diess vor dem Aus", so oder so ähnlich titelten einige Medien vor der Betriebsversammlung bei Volkswagen in Wolfsburg an diesem Donnerstag. Es war ein Weiterspinnen einer ungewöhnlichen Begebenheit: Der Aufsichtsrat bei Volkswagen redet dieser Tage in einem "Vermittlungsausschuss" über seine andauernden Probleme.

Nun ist das mit dem anstehenden Rauswurf derzeit noch überzogen, darauf haben fast alle Seiten verwiesen. Aber tatsächlich nimmt der Druck mal wieder zu. Auf den Hauptstandort Wolfsburg, aber auch auf Vorstandschef Herbert Diess, dessen krawalliges Auftreten weiterhin große Teile des Unternehmens verstört - in einer anderen Qualität als bisher.

Das ist dann auch auf der Betriebsversammlung deutlich geworden. Medienvertreter waren zwar nicht zugelassen in Halle 11 auf dem Gelände des Stammwerks, aber alle Seiten haben Zitate übermittelt und etliche haben ihre Eindrücke geschildert. So lässt sich nachzeichnen, was sich die Mächtigen zu sagen hatten:

Diess auf der einen Seite. Und die anderen.

Der SPD-Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Stephan Weil, der den Vorstandsvorsitzenden namentlich nicht erwähnte, aber forderte: Die Verunsicherung müsse ein Ende haben. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, der warnte, dass ein Spiel verloren ist, wenn der Trainer den Kontakt zu seiner Mannschaft verliert.

VW-Chef Herbert Diess über den härtesten Konkurrenten: "Selbst wenn ich nicht mehr über Elon Musk spreche: Er bleibt da und revolutioniert unsere Industrie." (Archivbild vom Juli 2021) (Foto: Carsten Koall/dpa)

Und vor allem war da natürlich die Betriebsratschefin Daniela Cavallo, die geladen hatte zu dieser ersten großen VW-Zusammenkunft seit dem Ausbruch der Corona-Seuche. "Wie Sie in den letzten Monaten öffentlich aufgetreten sind", sagte Cavallo an Diess gerichtet, "da frage ich mich wirklich, ob Ihnen selbst diese Lage hier an unserem Standort eigentlich bewusst ist und wie das in der Belegschaft ankommt." Seit ihrem Amtsantritt im Mai war die Nachfolgerin des legendären Betriebsratschefs Bernd Osterloh ruhig und still geblieben. Doch hat sie ihre Gangart zuletzt verschärft. Weil der Chef zuerst gar nicht erscheinen wollte auf dieser Betriebsversammlung. Und weil er diese Zahl in die Welt setzte: 30 000 Jobs seien in Gefahr, wenn die Effizienz bei der Marke VW nicht schleunigst zunehme.

Es war eine Aussage im Konjunktiv. Aber sie hat verunsichert - und Diess nahm sie auch nicht zurück auf dieser Versammlung, sondern forderte abermals mehr Leistung ein. Cavallo konterte: Vor wenigen Jahren erst habe das VW-Management erklärt, in Wolfsburg eine Million Autos pro Jahr bauen zu wollen. Doch stattdessen schaffe man in diesem Jahr nur 400 000 Autos, habe Kurzarbeit und einen Produktionsstand wie zuletzt Ende der 1950er-Jahre. "Nicht das Werk oder die Beschäftigten sind ineffizient, nein, natürlich nicht! Uns fehlen schlicht die Teile, mit denen wir unsere Autos bauen können."

Es geht um die Computerchips, die in der ganzen Branche fehlen. Manche Autobauer bekommen die Produktion dennoch einigermaßen hin, BMW etwa, weil sie einen vernünftigen Umgang mit den Lieferanten pflegen, und Tesla, weil sie die Sachen selbst herstellen und - so kann man annehmen - die Lieferanten diesen immer weiter aufsteigenden Branchenstar bevorzugt bedienen. Der Einkauf des VW-Konzerns indes arbeitet mit harten Bandagen, was in Zeiten des Mangels nicht zuträglich ist. Und dann werden die raren Teile auch noch zu Ungunsten der Kernmarke Volkswagen verteilt. Nicht im Golf oder Tiguan landen die Chips, sondern in den teuren Autos, die viel Marge bringen, also jenen von Audi oder Porsche. Was man da gerade erlebe sei "in ein Armutszeugnis für einen Weltkonzern", sagte Cavallo. "Und es ist die Verantwortung von Ihnen, sehr geehrte Konzernvorstände!"

Die Betriebsratschefin klagt: Der Chef gehe bergwandern, anstatt Probleme zu lösen

Doch anstatt dass diese die Situation lösten, so klagte die Betriebsratschefin bei der Versammlung, gehe Herbert Diess ausweislich seiner Social-Media-Posts bergwandern mit Kollegen. Oder radle im Werk herum. Tatsächlich hat Diess nie verstanden, wieso man dieses gewaltige Fabrikareal nicht mit dem Rad befahren darf, sondern nur mit dem Auto - und hat sich schließlich durchgesetzt gegen den Betriebsrat, der Sicherheitsbedenken hatte. Für ihn ein Symbol, dass er einen Sieg errungen hat gegen die veraltete, verkrustete VW-Kultur. Für den Betriebsrat indes eine überflüssige Diskussion. "Das finden wir ja schön und gut", ätzte Cavallo, "nur müssen leider gerade viel zu wenig Menschen überhaupt im Werk arbeiten, sodass die Frage nach dem Fahrradfahren sich vielleicht nicht ganz so dringend stellt."

Und schließlich: Der in den Augen von Cavallo eigenartige Umgang mit "unserem größten Konkurrenten". Gemeint ist Tesla. Immer wieder stellt Diess auf das Elektroauto-Unternehmen aus den USA ab; jüngst schaltete er bei einer Managementversammlung dessen Chef Elon Musk sogar live hinzu.

Der Vorstandschef möge doch bitte seinen Kontakt mit den Mitarbeitern verbessern, forderte VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo. (Foto: Roland Niepaul/Volkswagen AG)

Das Urteil der Arbeitnehmer: "Die Faszination, die Sie offenbar gegenüber Herrn Musk empfinden, und den Elan, den Sie in die Kontaktpflege mit ihm stecken, das würden wir Beschäftigten uns auch für unsere aktuell großen Herausforderungen im Konzern sichtbar wünschen", sagte Cavallo, deren Vater dereinst schon in Wolfsburg arbeitete. Den Arbeitnehmern sei "eindeutig bewusst, dass sich sehr viel im Zuge der Elektromobilität und Digitalisierung verändern wird, sogar muss".

Doch anstatt diese Herausforderung konstruktiv und verlässlich im Miteinander zu gestalten, verunsichere Diess seine Mitarbeiter immer wieder, etwa durch die Spekulationen über den Stellenabbau: "Sie haben Angst!", fasst Cavallo die Stimmung in der Belegschaft zusammen, "Angst um ihre Arbeit, um ihre Familien, um ihre Existenz. Und Sie streuen immer wieder Salz in die Wunde, und das ohne Not."

Wobei Diess das mit der Not eben anders sieht. Ihm geht der Wandel zu langsam. Viel zu langsam. Zumal eben am Hauptstandort Wolfsburg, dort wo das Herz von Volkswagen schlägt. "In der Verbrenner-Welt sind wir Spitze", sagte der Vorstandschef in seiner Rede, die wie die gesamte Veranstaltung ins VW-Intranet übertragen wurde. Gerade eben habe er sich auch wieder einen Golf GTI bestellt: "Das beste Auto der Welt." Das war ein hübsches Seelenstreicheln für die Wolfsburger Werker, die ja vor allem mit dem Bau dieses Wagens beschäftigt sind.

"Aber in der neuen Welt erwartet uns ein Wettbewerb", sagte Diess dann eben auch, ein Wettbewerb, den Volkswagen so noch nie erlebt habe. Das Auto werde zum komplexesten Hightech-Produkt auf Erden, Apple und Google drängten in diesen Markt, genauso wie chinesische Anbieter, die "richtig gut" seien. Und den Maßstab setze eben: Tesla. "Selbst wenn ich nicht mehr über Elon Musk spreche: Er bleibt da und revolutioniert unsere Industrie und wird schnell immer wettbewerbsfähiger."

Der Appell des Vorstandschefs: "Der nächste Golf darf kein Tesla sein!"

Tesla entwickle Autos um die Software herum, das sei ein völlig neuer Ansatz, bei dem alte Erfolge nicht mehr zählten - und dessentwegen sich auch der Standort Wolfsburg ändern müsse: "Die heute bestehenden Jobs werden innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre sicher weniger", sagte Diess. Vor allem in der Verwaltung auf Konzernebene, aber auch in der Produktion und in der Entwicklung. Andere und neue Arbeitsplätze würden dazukommen: "Aber nicht Herbert Diess oder Daniela Cavallo entscheiden darüber. Die Kunden entscheiden, indem sie entweder ein Auto aus Brandenburg oder ein Auto aus Wolfsburg kaufen."

Brandenburg, damit ist das Tesla-Werk in Grünheide gemeint, das wohl zum Jahreswechsel seinen Betrieb aufnehmen wird. Und in dem Musk Autos in zehn Stunden bauen lassen will - was weit schneller sei als die VW-Produktion bislang.

Mit solchen Rechnungen rücke Diess ein ums andere Mal die Leistung des eigenen Hauses in ein schlechtes Licht, klagt Cavallo hingegen, die auch von "inhaltlichem Unfug" sprach: Man könnte in Wolfsburg mit dem bestehenden Produktionspersonal ja viel mehr Wagen bauen - sofern ausreichend Teile da wären, und möglichst bald auch der Fertigungsauftrag für ein angesagtes Elektromodell, das Beschäftigung sichere. "Der Betriebsrat will den Wandel, die Belegschaft will den Wandel, Wolfsburg will den Wandel", sagte Cavallo. Aber eins müsse auch klar sein: Den Wandel gebe es nur mit VW-Kultur.

Das ist eine Warnung an den Vorstandschef, die er kaum erfüllen wird, kaum erfüllen will. Denn der ungeduldige, eigensinnige Treiber Herbert Diess und die konsensorientierte VW-Kultur, das wird nie ideal zusammenpassen, das glauben mittlerweile fast alle im Unternehmen. Auch wenn Cavallo ihm zustimmt bei seinem Appell: "Der nächste Golf darf kein Tesla sein! Der nächste Golf darf nicht aus China kommen! Die nächste Ikone muss wieder ein Wolfsburger sein!"

Tatsächlich lief diese Versammlung wohl ruhiger ab als vor zwei Jahren, damals bekam er schon einmal Buh-Rufe, diesmal habe es immerhin ein wenig Applaus am Ende seiner Rede gegeben, wird berichtet von Teilnehmer. Aber nicht nur einer sagt: Man spüre zugleich eine zunehmende Entfremdung.

Und wie geht es weiter? Auf die Frage, ob es noch eine weitere Betriebsversammlung mit Herbert Diess als Konzernvorsitzenden geben werde oder die Lage zu verfahren sei, hieß es nach der Versammlung von verschiedenen Menschen aus diesem Konzern: Schwer zu sagen.

Eigentlich habe er im Zuge der ihm zugebilligten Vertragsverlängerung jüngst zugesagt, seinen Rabauken-Stil zu ändern. Aber davon sei kaum etwas zu spüren. Resignation klingt entsprechend bei manchen durch. Und es wird auf die üblichen VW-Prozeduren verwiesen: Mal wieder würden die kommenden Wochen entscheidend. Bis zum 9. Dezember sollen die Investitionen für die kommenden Jahre geklärt werden. Dann will der Aufsichtsrat die Pläne für die kommenden Jahre beschließen. Bislang erkauften sich Diess wie seine Vorgänger die Zustimmung zu konzernweiten Sparprogrammen durch besonders große Investitionen in Wolfsburg und Umgebung. Ob das diesmal auch funktioniert? Schwer zu sagen.

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