VW-Skandal:Die Staatsaffäre

60 Jahre Bundesrepublik - Millionste VW-Käfer läuft vom Band

Am 5. August 1955 läuft im Wolfsburger Werk der millionste VW Käfer vom Band. Ob VW noch als Identitätsstifter für die Deutschen taugt, ist fraglich.

(Foto: Gerd Herold/dpa)

VW ist am Boden. Das bringt nicht nur den Konzern in Not. Es hat Folgen für das ganze Land.

Von Caspar Busse, Guido Bohsem, Meike Schreiber und Angelika Slavik

Das Auto. So lautet der schlichte Werbespruch, mit dem Volkswagen in vielen Ländern der Welt seine Fahrzeuge angepriesen hat. Das Auto, nachdrücklicher kann man seinen Führungsanspruch kaum geltend machen. Jetzt aber steckt das Unternehmen in dieser großen, in dieser unglaublichen Krise - und das wird nicht nur Auswirkungen auf das eigene Selbstverständnis haben. Denn Volkswagen, das ist tatsächlich weit mehr als nur irgendein Fahrzeughersteller. Die Zukunft dieses Unternehmens wird Folgen für das ganze Land haben.

Die Mitarbeiter

Wer sich in diesen Tagen an den Werkstoren in Wolfsburg umhört, dem schlägt viel Enttäuschung entgegen: Bei Volkswagen zu arbeiten, ist für die meisten weit mehr als ein Job. Und jetzt soll bei dem Unternehmen, bei ihrem Unternehmen, belogen und betrogen worden sein? Das ist schwer zu fassen - und die Konsequenzen für die weltweit 600 000 Mitarbeiter sind noch gar nicht absehbar. Das Geschäft in den USA, das VW mit aller Macht in Gang bringen wollte, hat sich wohl auf absehbare Zeit erledigt. Wie werden sich die Absatzzahlen auf den anderen Märkten entwickeln? Die Mitarbeiter haben Angst um ihre Jobs. "Man weiß ja nicht, wie schlimm das alles noch wird", sagt einer von ihnen. Aber selbst wenn die Arbeitsplätze erhalten blieben, müsse man sich auf Einschnitte gefasst machen, glaubt ein anderer: "Sonderzahlungen wird es jetzt natürlich nicht mehr geben. Ist doch klar."

Die Aktionäre

Für die wenig ausgeprägte Aktienkultur in Deutschland ist der Absturz der Volkswagen-Aktie ein Rückschlag. Ein Kursrutsch von rund 20 Prozent an zwei aufeinanderfolgenden Tagen hat im Dax Seltenheitswert. Zwar waren die Titel in den vergangenen Jahrzehnten bei Privatanlegern nicht ganz so weit verbreitet wie etwa die Deutsche Telekom, dennoch sind die Papiere in vielen Depots von Kleinanlegern zu finden. Denn als Volkswagen 1960 privatisiert wurde, wurde ein großer Teil des Kapitals an Privatanleger ausgegeben. Unternehmensangaben zufolge liegen immer noch etwa zwölf Prozent der Stimmrechte bei Privatanlegern, ein recht hoher Wert. Im deutschen Leitindex hat die VW-Aktie allerdings weniger Gewicht, und damit weniger Einfluss auf den Kursverlauf des gesamten Index als man angesichts ihres Börsenwertes von mehr als 56 Milliarden Euro annehmen würde. Das liegt vor allem an dem gewaltigen Anteil, den die Großaktionäre Porsche und das Land Niedersachsen halten, sie werden bei der Gewichtung des Index herausgerechnet. So oder so waren die vergangenen Tage für die Aktionäre bitter: Der Wert von VW sank in der vergangenen Woche um fast 22 Milliarden Euro.

Die Konkurrenz

Was die Vorgänge bei Volkswagen für die anderen Autohersteller bedeuten könnten, musste am Donnerstag BMW bereits feststellen. Die Aktie des Autokonzerns verlor massiv an Wert, nachdem Autobild berichtet hatte, auch bei BMW seien Grenzwerte bei Abgastests überschritten worden. BMW wies diese Vorwürfe zurück. "Grundsätzlich gilt: Bei der BMW Group wird nicht manipuliert", erklärte das Unternehmen. Trotzdem: Das Vertrauen in die ganze Automobilbranche hat schwer gelitten. Viele Verbraucher werden die Versprechen der Branche in nächster Zeit wohl kritischer hinterfragen als bisher. Zudem kündigten einige Länder Sonderprüfungen für VW-Autos an - gut vorstellbar, dass die auch auf andere deutsche Hersteller ausgeweitet werden. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, fürchtet, dass auch andere Exporteure Schaden nehmen könnten. Schließlich sei VW bislang ein Aushängeschild für Produkte "Made in Germany" gewesen.

Die Fußballklubs

Fußball ist die große Leidenschaft von Martin Winterkorn. Als Jugendlicher kickte er selbst, noch bis zuletzt stand er ab und an auf dem Platz. Unter seiner Regie baute VW das Engagement im Fußball massiv aus. Heute ist der Autokonzern zusammen mit seinen Tochterfirmen der wichtigste Sponsor des deutschen Profifußballs - ohne die vielen Konzern-Millionen sähe der Sport anders aus. Die Wolfsburger sind nicht nur Geldgeber für den Wettbewerb um den DFB-Pokal. Sie sind inzwischen auch direkt an drei Bundesligavereinen beteiligt: VW kontrolliert 100 Prozent am VfL Wolfsburg und 8,3 Prozent am FC Bayern München. Außerdem ist die Konzerntochter Audi mit knapp 20 Prozent am erfolgreichen Aufsteiger FC Ingolstadt beteiligt. Darüber hinaus unterstützen die Konzernmarken VW, Audi, Seat und MAN insgesamt 16 Vereine der ersten und zweiten Liga, von 1860 München über Eintracht Braunschweig bis zu Hannover 96, Borussia Mönchengladbach und Schalke 04. Fußball sei ein positiver "Imageträger", heißt es, das viele Geld damit gut angelegt. Nach den jüngsten Ereignissen aber geht nun die Angst um: Was ist, wenn VW in der Krise den Sponsor-Etat radikal zusammenstreicht? Klaus Allofs, Geschäftsführer beim VfL Wolfsburg, zeigte sich zwar noch gelassen: "Bei dem Engagement von VW handelt es sich um eine strategische Ausrichtung." Das könnte sich schnell ändern - bei VW steht alles auf dem Prüfstand.

Die Heimatregion

Besonders in Wolfsburg wird zwischen der Stadt und dem Konzern praktisch gar nicht unterschieden. "Wer nicht bei Volkswagen arbeitet, arbeitet für Volkswagen", heißt es da. Entsprechend groß ist das Entsetzen, Volkswagen ist mit Abstand der wichtigste Arbeitgeber in der Region - und ein potenter Steuerzahler. Große Auswirkungen dürfte ein Gewinneinbruch deshalb vor allem auf die Stadt Wolfsburg haben, die mit deutlich weniger Gewerbesteuern rechnen muss. Bund und Länder dagegen werden das besser wegstecken. Die Steuerschätzer erwarten für dieses Jahr Einnahmen aus der Körperschaftsteuer von insgesamt 20,8 Milliarden Euro. Das sind die Steuerzahlungen aller Kapitalgesellschaften in Deutschland, wovon VW ja nur eine ist. Das Unternehmen hat 2014 laut Geschäftsbericht in Deutschland zwei Milliarden Euro Steuern gezahlt - Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag. Das ist eine große Summe, angesichts von geschätzten 614,7 Milliarden Euro Gesamteinnahmen von Bund und Ländern aber nicht gravierend.

Die Volksseele

Die Deutschen, so sagt der Wirtschaftspsychologe Stephan Grünewald, brauchten traditionell "Identitätssurrogate" - also Symbole, an denen sie festmachen können, was "typisch deutsch" sei. VW sei so ein Identitätsstifter, das Unternehmen stand bislang für Zuverlässigkeit, Fortschritt, für deutsche Ingenieurskunst und Vertrauenswürdigkeit. Zudem habe es nie eine Verknüpfung zwischen VW und einer bestimmten sozialen Klasse gegeben, weswegen der Niederschlag nun auch ganz Deutschland treffe. "Selbst wenn sie nicht bei VW arbeiten und keinen Golf fahren: Das kränkt die Menschen."

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