VW in Amerika:Es ist noch nicht vorbei

Volkswagen in USA

Warten auf den Bundesrichter: Die VW-Einigung steht unter Vorbehalt.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Auch nach der Einigung auf einen Vergleichsvorschlag kommt VW in den USA nicht zur Ruhe.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Als die schlechte Nachricht endlich bestätigt war, setzte sich Arndt Ellinghorst an seinen Computer und machte sich daran, eine erste Einschätzung zu formulieren: "Das Abkommen sieht vernünftig aus und dürfte die Unsicherheit beenden", schrieb er und traf damit exakt den Ton, der am Dienstag auch an der Börse vorherrschen sollte. Trotz der Rekordsumme von rund 15 Milliarden Dollar, die der Volkswagen-Konzern allein in den USA zur Aufarbeitung des Diesel-Skandals wird aufbringen müssen, legte die Aktie zeitweise um fast fünf Prozent zu.

Doch so wichtig der gemeinsame Vergleichsvorschlag mit der Regierung in Washington und den Anwälten der US-Kunden für VW zweifellos ist: Überwunden ist die Krise damit noch lange nicht, auch nicht in den Vereinigten Staaten.

Da ist zunächst einmal der Vergleich selbst, der noch mehrere Hürden überwinden muss. Schon an diesem Donnerstag kommen in San Francisco alle Verfahrensbeteiligten zum nächsten turnusmäßigen Treffen mit Bundesrichter Charles Breyer zusammen. Noch wichtiger aber ist die darauf folgende Zusammenkunft am 26. Juli, bei der alle Anwälte noch einmal das Recht haben, zur Sache zu sprechen, womöglich im Lichte der ersten Beschwerden, die bis dahin wohl vorliegen werden. Noch während oder kurz nach dieser Sitzung wird Breyer bekannt geben, ob er den gemeinsamen Vorschlag von Klägern und Beklagten vorläufig billigt. Das ist keineswegs sicher: Der erfahrene Juror hat in der Vergangenheit Absprachen schon platzen lassen, wenn er das Gefühl hatte, dass sie eher der Vermögensmehrung der Anwälte dienen als den Interessen der Geschädigten.

Sagt Breyer ja, beginnt eine 45-tägige Frist, in der alle VW-Diesel-Kunden in den USA per Anzeige, E-Mail oder Brief über das Angebot informiert werden. Während dieser Zeit kann jeder Betroffene Änderungen verlangen oder ganz aus dem Sammelklageverfahren ausscheiden, um Volkswagen anschließend individuell vor Gericht zu zerren. Ende September oder Anfang Oktober wird Breyer dann wohl mitteilen, ob er den Vergleich endgültig akzeptiert.

Ausgestanden ist die Sache aber auch dann noch nicht: Anders als in Deutschland nämlich können Autobesitzer in den USA nicht gezwungen werden, ihre Wagen reparieren zu lassen oder an den Hersteller zurückzuverkaufen. Stattdessen muss das betroffene Unternehmen die Kunden überzeugen, was in der Vergangenheit häufig genug misslang und zu Beteiligungsquoten von weit unter 50 Prozent geführt hatte. Um das zu verhindern, bietet VW jedem Mitwirkenden Entschädigungszahlungen zwischen 5100 und etwa 10 000 Dollar pro Auto an. Bis zum 30. Juni 2019 muss der Konzern mindestens 85 Prozent der Kunden überzeugt haben, sonst werden weitere 100 Millionen Dollar an Strafen fällig.

Um die Gesamtkosten zu reduzieren, wird VW zudem versuchen, möglichst viele Autos zu reparieren statt sie zurückzukaufen. Ob das gelingt, ist aber ungewiss, denn der Konzern ist zunächst einmal gezwungen, jedem Kunden den Rückerwerb zumindest anzubieten. Außerdem haben die US-Behörden bisher alle Reparaturkonzepte als unzulänglich zurückgewiesen.

Hinzu kommt, dass sich der jetzt diskutierte Vergleich nur auf Autos mit Zwei-Liter-Motoren bezieht. Das sind in den USA gut 480 000. Hinzu kommen aber weitere 85 000 Modelle der Marken VW, Audi und Porsche mit drei Litern Hubraum. Obwohl der Fall technisch ein wenig anders gelagert ist, wird VW wohl auch hier nicht gänzlich um Entschädigungen herumkommen. Auch bleiben selbst nach Abschluss des Sammelklageverfahrens in San Francisco einzelne Klagen offen: Dazu zählt etwa die Eingabe des Pensionsfonds für Angestellte der Stadt Boston, der Volkswagen-Anleihen im Wert von acht Milliarden Dollar gekauft hatte und sich nun getäuscht sieht.

Schließlich sind da noch die strafrechtlichen Ermittlungen der Justiz, die unabhängig von jedem Zivil-Vergleich weitergehen. David Uhlmann, ehemaliger Leiter der Abteilung Umweltvergehen im Justizministerium, machte gegenüber der New York Times bereits deutlich, dass VW weiteres Ungemach droht. "Die rechtlichen Scherereien für Volkswagen", so der heutige Juraprofessor, "sind mit diesem Dienstag nicht vorbei."

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