VW-Dieselskandal:Chefsache

Auch gegen Konzernchef Herbert Diess gibt es nun eine Anklage im Abgasskandal. Haben er und andere Volkswagen-Manager die Anleger getäuscht?

Von Max Hägler

Von "Grünstrom" und vom Regenwald redete Herbert Diess vor wenigen Tagen erst, auf der Automesse in Frankfurt. Am "Konzernabend" hatten sie ein neues Elektroauto zu ihm auf die Bühne gestellt, genannt ID3. Ein wichtiger Tag sei das für VW und der Wagen ein Symbol für den Wandel, sagte der VW-Konzernchef. Weg vom Dieselskandal, hin zur nachhaltigen Mobilität, das war die Botschaft. Und ausgerechnet jetzt, beim Schritt in die Zukunft, wird VW von der Vergangenheit eingeholt. Und wie. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat Diess, seinen Vorvorgänger Martin Winterkorn sowie Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch angeklagt, Anleger im Jahr 2015 nicht rechtzeitig über die Risiken der Dieselaffäre in den USA informiert zu haben. Bislang war der Skandal vor allem das Problem der alten Garde, nun erreicht er die aktive Spitze. Damals, 2015, habe eine mögliche Belastung in Höhe von 23 Milliarden Dollar gedroht, so die Strafverfolger. Die Manager hätten jedoch "jeder für sich bewusst und gewollt" von der erforderlichen Meldung an die Aktionäre abgesehen, um den Börsenkurs der Volkswagen-Aktie auf dem bisherigen Stand zu halten; Marktmanipulation heißt das bei Juristen. Pötsch war damals noch Finanzchef und Diess der neue Chef der Konzernmarke Volkswagen. Konkret hätten die drei die Strategie verfolgt, "ohne Offenlegung aller relevanten Umstände" mit den US-Behörden einen Vergleich zu erzielen.

Diese Anklage aus Braunschweig geht nicht speziell der Frage nach, wer zu welchem Zeitpunkt die Manipulation angeordnet hatte, das wird aller Voraussicht nach in zwei Betrugs-Strafprozessen in Braunschweig und München ermittelt. Die Untersuchungen reichen dabei bis zum Jahr 2005 zurück. Öffentlich geworden ist die Manipulation von Dieselautos in den USA - in diesem Land und nur dort hat VW auch selbst eingestanden, dass der Stickoxid-Ausstoß falsch dargestellt wurde -, am 18. September 2015 durch eine Mitteilung der US-Behörden. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist nun eben der Meinung, dass dies früher hätte geschehen müssen: Winterkorn hätte spätestens seit Mai 2015, Pötsch seit 29. Juni 2015 und Diess seit 27. Juli 2015 "jeweils vollständige Kenntnis von den Sachverhalten und den daraus sich ergebenden erheblichen Schadensfolgen" gehabt. VW musste in den USA schließlich über 20 Milliarden Euro an Strafen und Schadenersatz zahlen.

Es geht um den Vorwurf der Markmanipulation. Die Manager weisen alles zurück

Die Strafverteidiger aller drei Angeschuldigten wiesen die Vorwürfe dennoch umgehend und entschieden zurück, ebenso wie VW: "Sollte es zu einem Prozess kommen, sind wir überzeugt davon, dass sämtliche Vorwürfe sich als haltlos erweisen werden", erklärte Hiltrud Werner, Rechtsvorständin im VW-Konzern. So weit ist man noch nicht, die 636 Seiten lange Anklageschrift liegt nun zur Prüfung beim Landgericht Braunschweig. Die Richter müssen darüber befinden, ob die Vorwürfe gravierend genug und stark genug belegt sind für eine Hauptverhandlung.

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VW-Chef Herbert Diess vor zwei Wochen auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt. Jetzt kam unangenehme Post.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Die US-Umweltbehörden hatten 2015 die Zulassung neuer Diesel-Modelle verweigert, obwohl diese schon gefertigt worden waren. Der Grund: VW konnte das Überschreiten von Stickoxid-Grenzwerten um Faktor 15 bei Vorgänger-Modellen nicht zufriedenstellend erklären - kein Wunder, wie sich mittlerweile gezeigt hat: Der Hersteller konnte die Werte nur durch Schummelei einhalten. Im Sommer spitzte sich die Situation zu. Pötsch habe damals "mehrfach Berührung mit der US-Dieselproblematik" gehabt, erklärt sein Anwalt Norbert Scharf nun. Doch keine dieser Informationen hätten solchen "Inhalt und Qualität" gehabt, dass daraus eine "kapitalmarktrechtliche Relevanz" erwachsen sei. Ähnlich äußern sich auch die beiden anderen Anwälte.

Ein wesentlicher Termin ist der sogenannte "Schadenstisch" am 27. Juli 2015. Hier diskutierten Vorstände mit Ingenieuren. Auf der offiziellen Tagesordnung finden sich die US-Probleme nicht, von Lenkradvibrationen beim Passat ist stattdessen die Rede. Allerdings gab es im Nachgang eine kurze USA-Besprechung, mit kleinerem Publikum, darunter: Winterkorn und Diess, der zu diesem Zeitpunkt erst knapp vier Wochen im Amt war. Wie deutlich dabei der willentliche Betrug und das finanzielle Risiko klargestellt wurden, ob das Wort "Defeat Device" fiel und Transparenz gegenüber den US-Behörden angemahnt wurde oder das Gegenteil, darüber gehen die Aussagen jedoch auseinander.

870 Millionen Euro Bußgeld für Daimler

Im ersten Moment klingt es nach einer schlechten Nachricht, nach einem weiteren Rückschlag im Kampf um die Zukunft des Unternehmens. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich: Mit diesem Bußgeld in Höhe von 870 Millionen Euro kann der Stuttgarter Autobauer Daimler gut leben. Denn erstens ist damit eine der lästigen Baustellen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal abgeräumt. Zweitens kann die Summe aus den jüngst aufgestockten Rückstellungen bezahlt werden, der Konzern muss keine weitere Gewinnwarnung veröffentlichen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt in der Affäre um mutmaßlich illegale Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung von Diesel-Autos seit Jahren gegen Daimler. Nun ist zumindest das Ordnungswidrigkeitsverfahren abgeschlossen; wegen einer "fahrlässigen Verletzung der Aufsichtspflicht" auf Abteilungsleiter-Ebene hätten Dieselfahrzeuge der Marke Mercedes Genehmigungen erhalten, obwohl sie mehr Stickoxide ausgestoßen haben als erlaubt. Deshalb muss Daimler das Millionen-Bußgeld an die Staatskasse zahlen. Der Konzern kündigte an, keine Rechtsmittel einzulegen. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen einzelne Daimler-Mitarbeiter wegen Betrug-Verdachts dauern unterdessen an. stma

Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, Diess hätte spätestens an jenem Tag das Milliardenrisiko erkennen müssen. Dessen Anwalt Tido Park sagt hingegen, seinem Mandanten sei in diesem Sommer von externen US-Juristen und VW-Mitarbeitern "wiederholt" der Eindruck vermittelt worden, "es werde eine einvernehmliche und wirtschaftlich beherrschbare Lösung mit den US-Behörden geben". Und auch was das Risiko anbelangt, herrschen unterschiedliche Sichtweisen bei Strafverfolgern und Angeschuldigten. Im Raum stand zwar eine maximale Strafe von 37 500 Dollar pro Wagen, aber in vergleichbaren Fällen hätten die US-Behörden stets eine höchstens dreistellige Dollar-Summe pro Wagen als Strafe verlangt, argumentieren Manager und Konzern. Dass die USA dann bei Volkswagen einen "historischen Paradigmenwechsel" vollzogen hätten, sei für Diess nicht vorhersehbar gewesen, sagt Park. Er habe sich jedenfalls nicht das Geringste zuschulden kommen lassen und werde "weiterhin mit vollem Engagement seine Aufgaben im Konzern wahrnehmen".

Wobei die Aufgaben gewachsen sind: Er wird künftig noch mehr erklären müssen, nicht nur zur Zukunft von VW, sondern auch zur Vergangenheit.

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