VW, Deutsche Bank, Daimler:Wenn der eine dumme Moment alles zunichtemacht

North American International Auto Show

In die Enge getrieben: VW-Chef Matthias Müller ist in Detroit von Journalisten und Mikrofonen umringt und sagt schließlich das Falsche.

(Foto: dpa)
  • Genau wie kürzlich VW-Chef Müller leisten sich auch andere Topmanager immer wieder unbedachte Äußerungen, die später für sie enorme Konsequenzen haben können.
  • In diesen seltenen Momenten komme hinter der PR-Fassade der eigentliche Mensch zum Vorschein und man könne sehen, wie dieser wirklich tickt, erklärt eine Psychologin.

Von Caspar Busse und Andrea Rexer

Es war der 11. August 1984 auf einer Ranch in Kalifornien: Der amerikanische Präsident bereitet sich auf seine wöchentliche Ansprache vor. Noch vor der offiziellen Aufnahme durch das National Public Radio (NPR) gibt es einen Tontest, Ronald Reagan ist zum Scherzen aufgelegt. "Meine amerikanischen Mitbürger", beginnt der Ex-Schauspieler und fügt an, er habe gerade ein Gesetz unterzeichnet, das die Sowjetunion für vogelfrei erkläre: "Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten." Es sollte ein Witz sein, aber die Äußerung wurde öffentlich und sorgte für weltweite Empörung.

Auch wenn Reagan die Affäre vor mehr als 30 Jahren vergleichsweise unbeschadet überstand - es sind oft unbedachte, scheinbar nebensächliche oder unwichtige Äußerungen, die enorme Konsequenzen haben können. Gerade für Topmanager kann sich so der Lauf ganzer Karrieren ändern - oder die Zukunft ihres Unternehmens. Manchmal kosten die Fehltritte Milliarden. Für die Öffentlichkeit aber sind diese Sätze hochinteressant, denn sie können das wahre Gesicht eines Managers zeigen.

Matthias Müller, VW: "Technisches Problem"

Wie heikel die Dinge manchmal sind, musste gerade Volkswagen-Chef Matthias Müller erleben. Im Interview mit eben jenem National Public Radio, das auch Ronald Reagan für seine Radioansprache nutzte, erlebte er kurz vor Beginn der Automesse in Detroit ein Desaster. Müller redete den Skandal um manipulierte Abgas-Software als "technisches Problem" klein.

Als der Reporter fragte, ob es dabei nicht vor allem um eine moralische Verfehlung gehe, wies Müller das zurück und meinte bloß: "Wir hatten [...]nicht die richtige Auslegung der amerikanischen Gesetze." Als die Kommunikationsleute von VW den Fauxpas bemerkten, bestanden sie auf einer neuen Version des Interviews, doch die Aussagen sind nun in der Welt. Die laufenden Verhandlungen mit dem amerikanischen Umweltamt EPA um eine Beilegung des Skandals sind erschwert, das Image in den USA weiter beschädigt. In der kommenden Woche wird sich nun das Präsidium des VW-Aufsichtsrats mit der USA-Reise Müllers und dem Stand der Aufarbeitung des Skandals beschäftigen.

"In Krisensituationen sind es manchmal ganz kurze Momente, die entscheiden, ob die Sache in die richtige oder in die falsche Richtung läuft", sagt Krisenberater Dirk Popp, Deutschland-Chef der Kommunikationsberatung Ketchum Pleon. Oft werde alles minutiös vorbereitet, und dann sei es eine Nebenbemerkung, die alles zunichte macht.

Kurz kann man sehen, wie die Person wirklich tickt

Was verleitet gut bezahlte Manager dazu, solch unbedachte Sätze in öffentlichen Situationen zu sagen? "Wenn sich Menschen in die Enge getrieben fühlen, können sie ihren inneren Impuls nicht mehr steuern", sagt Monika Spiegel. Die Wiener Wirtschaftspsychologin befasst sich seit vielen Jahren mit den Persönlichkeitsstrukturen von Managern. In Interviewsituationen komme es vor, dass ein Manager Angst habe, etwas Falsches zu sagen, so die Psychologin. Dann steige die Panik. Schnell wolle der Manager irgendetwas sagen, um den Journalisten los zu werden - und schon sei der unbedachte Satz gefallen. "Der Verstand schaltet sich aus, das Gefühl bricht durch. In Situationen der Not zeigt sich der wahre Charakter", sagt Spiegel, die an der Wiener Siegmund Freud-Privatuniversität das Institut Psyche und Wirtschaft leitet.

Der Moment der Wahrheit ist für das Publikum aufschlussreich. Denn dann kommt hinter der Fassade ein Mensch zum Vorschein: Einen kurzen Augenblick kann man sehen, wie die Person wirklich tickt. Was im Regelfall von Führungspersonen sichtbar ist, ist ihre öffentliche Maske, die gezielt von PR-Experten aufgebaut wurde. Es geht darum, ein perfektes Bild abzuliefern - aber genau das erhöht den Druck auf die Manager noch zusätzlich, so Spiegel. Der glatt geschliffene Manager weiß, dass er sich keine Fehler in der Öffentlichkeit leisten kann. "Manager werden dafür bezahlt, immer zu funktionieren, keine Schwächen zu zeigen", erklärt die Wirtschaftspsychologin.

Die Verfehlungen von Breuer, Schrempp und Blankfein

Fortsetzung Prozess gegen Deutsche-Bank-Manager

Rolf Breuer: "Der Finanzsektor ist nicht bereit, noch weitere Mittel zur Verfügung zu stellen."

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ein besonders extremes Beispiel dafür ist der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer. Ein einziger Satz in einem Interview löste einen Rechtsstreit aus, der bis heute nicht beendet ist. Der Streit kostete ihn seine Karriere und die Bank unter dem Strich bislang über eine Milliarde Euro. Gesagt hatte er den fraglichen Satz in einem Fernsehinterview für die Nachrichtenagentur Bloomberg, am 4. Februar 2002: "Nach allem was man hört und liest, ist der Finanzsektor nicht bereit, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen." Gemeint war, dass der Medienunternehmer Leo Kirch kurz vor der Pleite steht.

Wenig später wird Kirch tatsächlich zahlungsunfähig, er macht Breuers öffentliche Bemerkung dafür verantwortlich und überzieht die Bank mit einer Flut von Klagen. Bei einem Interview in Deutschland hätte die Bank vermutlich versucht, es vor der Veröffentlichung zurückzuziehen. In den USA jedoch ist so etwas undenkbar.

"Im englischsprachigen Raum gelten andere Regeln", sagt Krisenmanager Popp. Denn dort gelte bei Interviews das gesprochene Wort, eine spätere Autorisierung des Gesagten, so wie in Deutschland, ist unbekannt. Das aber müssten gerade Top-Manager wissen und entsprechend darauf vorbereitet sein, sonst kann es zu verhängnisvollen Fehlern kommen.

Jürgen Schrempp wird 70

Jürgen Schrempp: "Wir mussten aus psychologischen Gründen einen Umweg machen."

(Foto: picture alliance / dpa)

Diese Erfahrung musste auch der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp machen. Im Oktober 2000 erklärte er gegenüber der Financial Times, beim Zusammenschluss von Daimler und dem US-Autobauer Chrysler habe es sich nicht - wie immer öffentlich bekundet - um eine Fusion unter Gleichen gehandelt, sondern vielmehr um eine Übernahme Chryslers durch Daimler. Chrysler-Aktionäre fühlten sich deshalb getäuscht, verlangten Schadenersatz in zweistelliger Milliardenhöhe und zogen vor Gericht. Schrempp sagte damals dem Journalisten ungewöhnlich offen: "Die Struktur, die wir jetzt haben, habe ich immer gewollt, wir mussten nur aus psychologischen Gründen einen kleinen Umweg machen".

The Davos World Economic Forum 2015

Lloyd Blankfein: "Ich bin nur ein Banker, der Gottes Werk verrichtet."

(Foto: Bloomberg)

Ähnlich freimütig, wenn auch auf einer viel persönlicheren Ebene, zeigte sich Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein. Im Jahr 2009, als die Finanzkrise gerade an ihrem Höhepunkt angelangt war, fragten die Redakteure der britischen Sunday Times ihn immer wieder, warum er glaube, dass er seine Millionen-Gage verdient habe. Der Chef von Goldman Sachs war nicht nur einer der bestbezahlten Manager an der Wall Street, seine Bank galt als überaus ehrgeizig und geheimnisumwoben. Blankfein wurde von Kollegen mit Beinamen wie "Sonnengott" bedacht.

Im Interview redete er sich in Rage, erklärte wortreich, dass die Banken einen "sozialen Zweck" erfüllen, indem sie mit ihren Krediten Unternehmen beim Wachstum helfen. Man könne ihn als bösartig beschimpfen. Aber eigentlich sei er nur ein Banker, "der Gottes Werk verrichtet". Kaum ein anderes Zitat erhitzte die Gemüter in der Finanzkrise mehr als dieses, der Hass der Bevölkerung schlug ihm ins Gesicht. Auch wenn sich die Wogen der Krise wieder geglättet haben, das Zitat haftet Blankfein an. Seither gibt es so gut wie kein Portrait, keinen Bericht über ihn, der ohne den Verweis darauf auskommt.

Heute sind es nicht mehr die Banker, die ihre Arroganz zur Schau stellen, sondern immer öfter die Gründer der Tech-Unternehmen. Travis Kalanick, der Gründer von Uber, einer Art moderner Mitfahrzentrale, hat zuletzt Milliarden eingesammelt und expandiert weltweit. Eigentlich bemüht er sich um ein Image als jemand, der die Welt mit Hilfe der Share Economy, also des Prinzips des Teilens, besser macht. Doch dann platzte vor zwei Jahren mitten in einem Interview die Aggressivität aus ihm heraus: "Der Gegner ist ein Arschloch namens Taxi", sagte er vor laufenden Kameras. Und sein Image als einer, der die Welt verbessern will, war dahin.

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