Autobauer:Bei VW stehen bald die Bänder still

VW: Volkswagen-Fabrik in Wolfsburg.

Auf diesem Archivbild rollt die Produktion noch: Blick in die Volkswagen-Fabrik in Wolfsburg.

(Foto: Rainer Jensen/dpa)
  • Der Autohersteller schafft es nur so, neue Abgasprüfungen einzuführen.
  • Dabei sind die seit Jahren absehbar. Die neue Messmethode zeigt besser, wie viel Benzin ein Auto wirklich verbraucht und wie viel CO₂ es ausstößt.
  • Auch Daimler spricht von Mehrarbeit. BMW-Vertreter geben sich hingegen unaufgeregt.

Von Max Hägler

Schon das Wort klingt unangenehm: "Schließtage" werde es im Herbst geben, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess in dieser Woche vor Fabrikarbeitern im Stammwerk Wolfsburg. Schließtage, das heißt: Die Bänder stehen still, keine Autos werden gebaut. Ein Zustand, den alle Automanager vermeiden wollen, denn Stillstand kostet Umsatz und Gewinn - sofern es Kunden gibt, die eigentlich gerne einen Neuwagen fahren würden.

Bei VW ist die Nachfrage, weltweit gesehen, exzellent. Der Grund, die Fabriken zuzusperren, ist vielmehr bürokratischer Natur und trägt einen sperrigen Namen: WLTP. Für alle Neuwagen müssen auf Anordnung der EU-Kommission ab September Spritverbrauch und damit CO2-Ausstoß per "Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicle Procedure" nachgewiesen werden. Eigentlich seit Jahren bekannt, bringt der Test die Branche dennoch in Unordnung: Erst wenn die neuen Wagen diese Prüfung absolviert haben, werden sie ausgeliefert, hat Diess angeordnet. Zuvor werden sie zwischengelagert, oder eben gar nicht erst gebaut. Bei anderen Herstellern in Europa ist es ähnlich.

WLTP soll den Kraftstoffverbrauch etwas ernsthafter angeben. Bislang, beim sogenannten NEFZ-Prüfzyklus, konnten die Autobauer ihre Wagen total optimieren für den Prüfstand: Es wurden etwa extra schmale und gut aufgepumpte Reifen aufgezogen, und innen war nur die Basisausstattung verbaut, die wenig wiegt und damit Sprit spart. Das Ergebnis: den beworbenen, meist niedrigen Spritverbrauch konnte selbst der sanfteste Fahrer nie erreichen. Mit dem WLTP sind die Bedingungen härter geworden. So hat sich beispielsweise die Länge der Teststrecke verdoppelt und die gefahrene Geschwindigkeit erhöht, Sonderausstattungen wie Spoiler oder Breitreifen müssen berücksichtigt werden. Der Automobilverband VDA rechnet damit, dass die mit dieser Methode ermittelten Werte um etwa 20 Prozent höher liegen als bisher. Das hat Auswirkungen auf die Kfz-Steuer, die bei allen steigen dürfte. Und dennoch begrüßen Verbraucherschützer, Politiker und Manager die neue Maßeinheit, weil sie näher am echten Fahren ist - wenn sie auch "weiterhin nicht real" ist, wie es der VDA formuliert. Denn nicht berücksichtigt sind etwa eine eingeschaltete Klimaanlage (ein Liter Sprit pro 100 Kilometer) oder Steigungen und Kurvenfahrten, die Energie kosten.

Und doch machen die WLTP-Tests Schwierigkeiten. "Wir müssen allein bei der Marke Volkswagen innerhalb kürzester Zeit über 200 Modellvarianten neu prüfen und zulassen", erklärt VW-Chef Diess. Die Testprozedur sei drei- bis viermal so aufwendig wie bisher, heißt es bei VW. Daimler spricht zumindest vom doppelten Aufwand. Rund um die Uhr lassen die Hersteller ihre Wagen in den Prüfständen messen, wobei die Anlagen sowieso schon gut ausgelastet sind durch allerlei Dieselmotoren diverser Hersteller, die neue Software-Varianten aufgespielt bekommen. Der fortdauernde Dieselskandal führt dann auch dazu, dass alles noch länger dauert, heißt es bei Beteiligten: Alles soll nun besonders korrekt ablaufen bei den Messungen. Weder die Prüfstandsbetreiber, etwa der TÜV oder die Dekra, noch die Hersteller wollen sich Schludrigkeiten leisten.

Die Interventionen der Lobbyisten in Brüssel halfen nichts

Wobei es schon auch ein wenig Schludrigkeit der Industrie war, dass nun derart überstürzt geprüft werden muss, oder Leichtfertigkeit: Die Autohersteller wissen bereits seit mehreren Jahren, dass die Messmethode umgestellt wird, aber sie haben den Aufwand unterschätzt - und den Zeitpunkt. Tatsächlich war lange im Gespräch, dass die neuen Regeln erst ab 2019 gelten sollen. Doch die Kommission war streng, wohl auch angesichts der Skandale in der Autoindustrie, und entschied im vergangenen Sommer: In einem Jahr schon gilt WLTP. Da halfen die Interventionen der Autolobbyisten nichts.

Und sie halfen auch nichts bei einer zweiten Änderung, die bald in Kraft treten wird: Zu der neuen Messmethode kommt dann noch eine weitere Verschärfung bei Grenzwerten, der den Konstruktions- und Produktionsaufwand bei Benzinmodellen erhöht - und von dem die Industrie auch lange glaubte, ihn nach hinten schieben zu können: Für die Abgasanlagen neuer Benzinmotoren gilt ebenfalls ab Herbst ein neuer Feinstaub-Grenzwert, der nur zu erreichen ist, wenn ein Filter eingebaut wird. So groß wie ein Aktenordner ist das Teil, kostet etwa 100 Euro - muss aber untergebracht werden in den Wagen, und zudem muss das Zusammenspiel mit den anderen Komponenten richtig eingestellt werden. Und auch dies muss dann wieder getestet und zugelassen werden. "Das ist keine Megaüberraschung, aber wir haben es ein bisschen unterschätzt", heißt es von einem deutschen Hersteller, der deshalb den Verkauf einiger Modelle fürs Erste stoppen muss.

Wobei die Aufregung nicht bei allen Autobauern gleich groß ist: Auch bei BMW messen und prüfen sie einerseits im Akkord, und haben andererseits einige Modelle aus dem Programm genommen, etwa den 7er mit Benzinmotor. Aber dieses Modell verkaufte sich in Europa sowieso nur gut 3000 Mal im vergangenen Jahr. Die Kunden würden eben andere Antriebe wählen, heißt es bei BMW, und sie könnten es auch, denn insgesamt habe man sich seit fünf Jahren auf die neuen Regeln vorbereitet: Prüfstandskapazitäten gebucht und Partikelfilter vorbestellt. "Schließtage" haben sie bislang jedenfalls nicht in Planung in München.

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