VW-Chef Winterkorn:"Volkswagen muss niemanden fürchten"

VW-Vorstandschef Martin Winterkorn über langsame Entscheidungen von einst, Automodelle von morgen und den Einstieg von Porsche.

Michael Kuntz, Ulrich Schäfer

Als Martin Winterkorn, 60, im Januar nach Wolfsburg kam, war das eine Rückkehr: Seit 1981 arbeitet der promovierte Metallkundler für den VW-Konzern, erst bei Audi in Ingolstadt, von 1993 bis 2002 bei VW in Wolfsburg. In den fünf Jahren danach hat er Audi geführt und die Produktion um die Hälfte erhöht - nun will er dies in Wolfsburg wiederholen.

VW-Chef Winterkorn: VW-Chef Martin Winterkorn: "Schöne Töchter lassen oft auch ihre Mütter attraktiver aussehen."

VW-Chef Martin Winterkorn: "Schöne Töchter lassen oft auch ihre Mütter attraktiver aussehen."

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Winterkorn, der Europäische Gerichtshof hat das VW-Gesetz gekippt. Was bedeutet das für den Konzern?

Martin Winterkorn: Dass wir den eingeschlagenen Erfolgsweg konsequent weitergehen. Volkswagen muss keinen Wettbewerber auf der Welt fürchten. Ich kann jedem gratulieren, der in dieses faszinierende Unternehmen investiert. Wer Anteile besitzt, kann jetzt Stimmrechte entsprechend der Höhe seiner Beteiligung ausüben. Das ist in Ordnung.

SZ: Kann Volkswagen ohne staatlichen Schutz überleben?

Winterkorn: Natürlich. Wir haben heute in dem Land Niedersachsen und der Porsche AG zwei große Investoren, die uns vor feindlichen Übernahmen schützen und die beide ein hohes Interesse an einem starken, gesunden, zukunftsorientierten Unternehmen Volkswagen haben. Schauen Sie nur auf die Vielzahl der Projekte, die wir in den letzten Monaten angeschoben haben. Das ist eine bisher noch nie dagewesene Modelloffensive. Da ist es wichtig, langfristig interessierte, strategische Investoren zu haben.

SZ: Wird das Leben für Sie als Konzernchef ungemütlicher?

Winterkorn: Wissen Sie, ich habe so oder so einen Aufsichtsrat und einen Aufsichtsratsvorsitzenden, denen gegenüber ich verantwortlich bin. Dort sitzen Ansprechpartner, mit denen wir die vielen wichtigen Entscheidungen für die weitere Aufwärtsentwicklung des Konzerns abstimmen.

SZ: Aber Sie sind schon bald nur noch Chef eines Tochterunternehmens, das der Porsche Holding gehört.

Winterkorn: Sagen wir es anders: Wenn es so käme, bliebe ich der Chef des zukunftsfähigsten Autoherstellers der Welt. Im Übrigen: Schöne Töchter lassen oft auch ihre Mütter attraktiver aussehen.

SZ: Wird es VW gelingen, seine Eigenständigkeit zu bewahren?

Winterkorn: Ja. Volkswagen ist eine der bekanntesten und begehrtesten Marken auf der Welt. Sie stellt einen immensen Wert dar. Deswegen muss sie behutsam gepflegt werden.

SZ: Werden Sie mit Porsche enger zusammenarbeiten?

Winterkorn: Das ist sicher möglich. Wir arbeiten ja heute schon sehr eng zusammen, etwa beim Hybridmotor, bei den Geländewagen Audi Q7, Cayenne und Touareg und bald auch beim Panamera. Die Fahrzeugelektronik ist auch ein interessantes Arbeitsfeld mit hohen Synergiepotentialen. Ein Premiumauto enthält heute zwischen 70 und 80 Steuergeräte, die miteinander vernetzt sind. Die Elektronik wird bald 30 Prozent der Kosten eines Autos ausmachen, die Entwicklungsaufwendungen dafür sind relativ hoch. Wenn Sie das auf möglichst viele Fahrzeuge verteilen können, wird die Sache viel kostengünstiger.

SZ: Der Betriebsrat von VW wehrt sich aber vehement dagegen, dass er in der Porsche Holding nicht mehr so viel zu sagen hat. Sind Sie da solidarisch?

Winterkorn: Wenn Sie ins Ausland schauen und feststellen, mit welchen miesen Tricks radikale Gewerkschaften einen Keil zwischen Belegschaft und Management treiben, wie dadurch Wert vernichtet wird und ganze Unternehmen systematisch zugrunde gerichtet werden, bin ich heilfroh über das Prinzip der Mitbestimmung. Die riesigen Produktivitätsfortschritte, die wir in den letzten Monaten gemacht haben, und die wir in den nächsten Monaten anstreben, sind nur mit und nicht gegen die Arbeitnehmer möglich. Deswegen haben unsere über 320.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen maßgeblichen Anteil an unserem Erfolg. Wenn der Betriebsrat in solchen Fragen also gut hinguckt, ist das doch nachvollziehbar.

SZ: Sie stehen nun ein Dreivierteljahr an der Spitze von VW. Wie viel konnten Sie in der kurzen Zeit verändern?

Winterkorn: Ich arbeite ja schon lange für den Konzern. Da kann man schon einiges schneller verändern: bei den Kosten, bei den Produkten und beim Personal. Ich habe wichtige Schlüsselleute von Audi mitgebracht, aber auch viele hier bei VW vorgefunden, die wissen, wie ich ticke und wie wir vorankommen wollen.

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"Volkswagen muss niemanden fürchten"

SZ: Was hat Sie bei der Rückkehr nach Wolfsburg am meisten überrascht?

Winterkorn: Dass die absolute Hinwendung zur Produktqualität und zur Innovation in den vergangenen Jahren etwas gelitten hat. Volkswagen hat sich immer über legendäre, starke Produkte definiert wie beim Käfer oder beim Golf heute. Das müssen wir für die Zukunft untermauern. Etwa mit Autos wie dem Up! oder dem Space Up!

SZ: Es gab lange keine Geländewagen, keine Vans, keine Pick-ups. Ganze Segmente wurden vernachlässigt.

Winterkorn: Toyota als der größte und - von Porsche einmal abgesehen - profitabelste Hersteller hat vor fünf Jahren 5,9 Millionen Autos verkauft, wir lagen bei 5,1 Millionen Fahrzeugen. 2006 haben wir 5,7 Millionen Autos verkauft, Toyota aber fast neun Millionen. VW ist bei den klassischen Personenwagen mit Stufenheck und Schrägheck erfolgreicher, aber bei SUVs, Vans und Geländewagen können wir noch gewaltig zulegen.

SZ: Warum liegen Sie da zurück?

Winterkorn: Für zusätzliche Produkte braucht man kreative Menschen mit neuen Ideen. Die können aber nur umgesetzt werden, wenn auch die nötigen Entscheidungen getroffen werden. Heute bieten uns die modularen Baukästen ganz andere Möglichkeiten, auch Nischenmodelle kostengünstig und mit sehr guten Gewinnmargen zu planen.

SZ: Das hätten Sie als Audi-Chef doch ändern können.

Winterkorn: Haben wir ja. Als wir in Ingolstadt angefangen haben, ging es relativ schnell. Erst haben wir Konzeptstudien auf den Messen gezeigt, aus denen wir zügig neue Autos gemacht haben wie den Q7, den R8 oder den A5. Zum Erfolg gehört eine Vision, man braucht Machbarkeitsstudien, aber auch Entscheidungen. Das starke Wachstum von Audi kommt nicht von ungefähr.

SZ: Wollen Sie jetzt auch bei VW schneller entscheiden?

Winterkorn: Das machen wir längst.

SZ: Sie sind nicht nur Konzernchef, sondern haben gleich auch noch den Job des Markenvorstands für die Marke VW übernommen. Hat sich das bewährt?

Winterkorn: Ja, gerade in so einer wichtigen Aufbruchsphase hier am Standort Wolfsburg und bei der Marke VW gibt das der Belegschaft und dem Management die nötige Orientierung.

SZ: Sie sind dabei in einer komfortablen Situation, weil die unangenehmen Sanierungsschritte Ihre Vorgänger gemacht haben. Wie sehr helfen Ihnen die Zugeständnisse der Belegschaft?

Winterkorn: Diese Vereinbarung mit der Belegschaft ist sicher ein Erfolg des vorherigen Managements. Das hat sehr geholfen, uns bei den Arbeitskosten auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen. Aber damit ist es nicht getan. Wir drehen weiter an allen Stellschrauben. Da lassen wir nicht locker, um in Sachen Kosten, Produktivität und Qualität zu den großen Gewinnern zu gehören. Wie die jüngsten Zahlen zeigen, mit Erfolg. Vergessen Sie aber nicht, dass beim Konzernergebnis nach wie vor ein Großteil von Audi kommt. Da zahlt sich das Wachstum aus, das wir angeschoben haben. Vor fünf Jahren hat Audi nur 620000 Autos pro Jahr gebaut, jetzt sind es 950000. Und das mit der gleichen Belegschaft von gut 50000 Mitarbeitern.

SZ: Es wird doch kaum möglich sein, diesen Erfolg bei VW zu wiederholen.

Winterkorn: Doch, das ist es. Wir werden die Produktivität jedes Jahr um zehn Prozent steigern. Dazu muss man die Mitarbeiter motivieren und Prozesse kontinuierlich verbessern. Allein dafür beschäftigen wir 170 Trainer. Bereits die Entwickler müssen darauf achten, dass die von ihnen konstruierten Teile sich in der Fabrik einfach montieren lassen. Auf diese Weise werden wir beim Wechsel vom Golf 5 zum Golf 6 die Produktivität um mindestens 20 Prozent steigern.

SZ: Werden Sie auch mehr neue Autos auf den Markt bringen?

Winterkorn: In den nächsten drei Jahren werden wir 16 zusätzliche Modelle präsentieren. Unser neuer Kleinstwagen Up! ist dabei eines - mit verschiedenen Varianten. Das ist ein Auto für Schwellenländer wie Indien und China, aber auch hervorragend für europäische Großstädte. Zusätzliche Autos sind auch der Tiguan und der Scirocco, der Audi Q5 und das A3 Cabrio.

SZ: VW wird seinen Umsatz nur dann jedes Jahr um zehn Prozent steigern können, wenn auch der Automarkt insgesamt wächst. Ist das realistisch?

Winterkorn: Weltweit schon. Die klassischen Märkte in Europa, den USA und Japan werden mehr oder weniger stagnieren. Wachstum gibt es aber in Südamerika, China, Russland und Indien. Im November werden wir in Kaluga, unserem neuen russischen Werk, mit der Produktion beginnen. In Indien stehen wir vor der Grundsteinlegung einer neuen Fabrik.

SZ: In Deutschland läuft es nicht so gut. Warum?

Winterkorn: Dafür gibt es einige Gründe: Die Mehrwertsteuererhöhung, die Diskussion zur CO2-Besteuerung, aber auch die lange Lebensdauer heutiger Fahrzeuge. So werden unsere Autos in erster Hand immer älter. Wer sich einen neuen Volkswagen oder Audi kauft, behält ihn heute 6,6 Jahre, das waren früher 5,2 Jahre. Ich hoffe, dass es im nächsten Jahr wieder besser wird.

SZ: Angesichts dessen bräuchten Sie dringend einen Vertriebsvorstand. Warum suchen Sie da so lange vergeblich?

Winterkorn: Weil ich mir sicher sein will, dass ich den richtigen finde. Das neue Team lebt auch von einem großen Vertrauen zueinander und einem reibungslosen Sich-verstehen, und deshalb muss man bei der Auswahl von Menschen, die neu hinzukommen, sehr genau hinsehen.

SZ: Die VW-Aktie ist seit Januar stark gestiegen. Wie hoch ist Ihr Anteil daran?

Winterkorn (lächelnd): Man sagt ja, der Erfolg eines Vorstandsvorsitzenden hänge von der Entwicklung des Aktienkurses ab. Wie viel Anteil die Erfolge der letzten Monate bei Absatz, Umsatz und Ertrag an den steigenden Kursen haben, weiß ich nicht. Ganz sicher ist aber, dass das Vertrauen in die neue Volkswagen AG deutlich gewachsen ist.

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