VW-Chef Müller:"Zeigen Sie, dass Sie hinter Volkswagen stehen"

Betriebsversammlung VW

Sich Mut machen: Die Belegschaft in Wolfsburg trifft sich zur Betriebsversammlung.

(Foto: dpa)
  • Der neue VW-Chef Matthias Müller versucht bei der Betriebsversammlung in Wolfsburg, gute Stimmung zu verbreiten - und bereitet die Belegschaft gleichzeitig auf Einsparungen vor.
  • Die Mitarbeiter haben Angst vor Kündigungen.

Von Angelika Slavik, Wolfsburg

Zehntausend weiße T-Shirts hat die Gewerkschaft bedrucken lassen für diesen Tag. Darauf steht: "Ein Team. Eine Familie." Es gibt auch Anstecknadeln und Aufkleber. Es ist ein beinahe rührender, wenn auch ungelenker Versuch, dieser traditionell so stolzen Mannschaft von Volkswagen ein bisschen Trost zu spenden. Das berühmte Wolfsburger Gemeinschaftsgefühl hat gelitten in den vergangenen Wochen. Seit klar wurde, dass manche in diesem Konzern Entscheidungen getroffen haben, die zur Manipulation der Abgaswerte in den USA geführt haben und nun die Existenz dieses Unternehmen bedrohen könnten, ist nichts mehr wie vorher. Kein Aufkleber dieser Erde kann daran etwas ändern: Die Mitarbeiter haben Angst um ihre Jobs.

Es ist ein ungewohntes Szenario an diesem Dienstag in Wolfsburg, nicht nur, weil bei den Betriebsversammlungen der vergangenen Jahre Martin Winterkorn Wohlfühlstimmung verbreiten konnte, wo nun Matthias Müller mit dem kollektiven Kater umgehen muss. Früher, da waren Betriebsversammlungen bei Volkswagen ein großes Schulterklopfen. Die Spieler des konzerneigenen Fußballklubs VfL Wolfsburg kamen zu Besuch, schrieben Autogramme und posierten für Fotos. Diesmal kommen keine Fußballspieler. Diesmal hat der Betriebsrat zusätzliche Leinwände und Lautsprecher aufstellen lassen - falls mehr als die üblichen 18 000 Leute kommen und nicht alle in Halle 11 passen.

Die Leinwände werden gebraucht. Halb zehn Uhr morgens, der Termin für die Betriebsversammlung liegt mitten in der Frühschicht. Für die, die erst um 14 Uhr zur Arbeit kommen müssten und für die, die bis sechs Uhr morgens in der Halle standen, ist das ein denkbar ungünstiger Termin. Trotzdem sind sie gekommen, zu Tausenden. Sie wollen hören, was der neue Chef zu sagen hat.

"Arsch in der Hose zeigen"

In Halle 11 üben sich die Redner in Seelenmassage. Journalisten sind dabei nicht erwünscht. Ein bisschen etwas erfährt man trotzdem. Der Betriebsratschef Bernd Osterloh fängt an und spricht fast eine Stunde. Er sagt, was seine Leute nun am dringendsten hören wollen: Dass die aktuelle Krise keine Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben werde, zumindest vorerst nicht. Aber natürlich könne niemand sagen, wie sich die Autokäufer in Zukunft verhalten werden. Der Vertreter der IG Metall, Hartwig Erb, äußert die Sorge, die Umbrüche, die dem Konzern nun bevorstehen, könnten genutzt werden, um den Einfluss der Belegschaft zu verringern. Das werde man nicht zulassen. Stattdessen sei es Aufgabe des Managements, die Affäre schnell und vollständig aufzuklären. Es werde Zeit, "dass Sie Arsch in der Hose zeigen", sagt Erb.

Matthias Müller, der neue Konzernchef, macht indes seine Mission deutlich: Er sei heute vor allem gekommen, um den Mitarbeiten Mut zu machen, sagt er. Es ist die Zeit der Durchhalteparolen, etwas anderes bleibt ihm ja gar nicht übrig. "Wir können und wir werden diese Krise bewältigen", sagt Müller. Schließlich habe man "die beste Auto-Mannschaft, die man sich wünschen kann". Ein bisschen Zucker für die Truppe.

"Als kleine Arbeiter können wir da sowieso nichts machen"

Dennoch würden harte Zeiten auf das Unternehmen zukommen, sagt der neue Chef. Die 6,5 Milliarden Euro, die Volkswagen bereits zurückgestellt habe, würden bei weitem nicht reichen: "Wir müssen mit erheblichen Strafzahlungen rechnen." Deshalb würden alle geplanten Investitionen hinterfragt. "Was jetzt nicht zwingend nötig ist, wird gestrichen oder geschoben." Man müsse massiv sparen, um die Krise zu bewältigen, "aber gleichzeitig dürfen wir uns nicht um die Zukunft sparen".

Was das konkret bedeuten wird, bleibt an diesem Tag unklar. Müller appelliert an die Mitarbeiter, ihr Bekenntnis zu Volkswagen nach außen zu tragen. Jeder sei nun ein Botschafter des Konzerns. "Zeigen Sie, dass Sie hinter Volkswagen stehen!"

Bei vielen kommt das gut an, bei Klaus Hoppe zum Beispiel. Als er gegen Mittag wieder aus dem Werk kommt, trägt er das T-Shirt von der Gewerkschaft und lächelt. 40 Jahre hat Hoppe bei Volkswagen gearbeitet, jetzt ist er eigentlich schon im Ruhestand. "Ich bin natürlich trotzdem gekommen, ich war doch sehr besorgt. Sind wir alle." Aber Matthias Müller hat einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen. "Ich bin positiv überrascht. Er hat gesagt, wir schaffen das und das glaube ich auch. Das kriegen wir wieder hin."

Ein jüngerer Mitarbeiter sieht das nüchterner. "Jetzt ist halt das große Stühlerücken, mal sehen", sagt er. "Als kleine Arbeiter können wir da sowieso nichts machen." Hinter ihm läuft eine Vierergruppe unter dem wolkenbedeckten Wolfsburger Himmel. "Kommt mir plötzlich alles rosarot vor", sagt einer. "Offenbar färbt das ab."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: